Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

ab; ich gehe nach Paris, London, Madrid, Kairo, wohin du willst. Man thut, was man gewohnt ist, wenn man nichts Nöthigeres zu thun hat. Soll ich mich etwa auf das Land setzen und alle Sonntag zum Essen hinüber fahren zu Emil und seiner Frau? Er lachte. Dann aufstehend und sich den Rock zuknöpfend: Ich wollte dich nur noch aufgesucht haben, Therese. -- Bleib noch ein Weilchen, sagte sie. -- Ist es dir lieb? -- Ja, sehr lieb.

Er nahm seinen Platz wieder ein. Er sah sich um, die Stube heimelte ihn an, sie war ruhig und behaglich. Draußen hörte er die Wagen im Schnee vorüber fahren, und die Räder pfiffen noch im Frost; aber der Ofen strahlte sanfte Wärme aus. Seine Kisten und Seltenheiten fielen ihm ein, als er auf einem Schränkchen Allerlei stehen sah, das er Theresen geschenkt hatte. Ein Ekel überkam ihn vor diesen Dingen, ein Ekel vor dem planlosen Umherschwärmen durch die fremden Länder und die fremden Gesichter. Eine Leidenschaft hatte er bis auf den letzten Tag zu Emma nicht gehabt, aber alle Gedanken an Glück und Zukunft mit Energie an sie gekettet. Das war nun von ihm gerissen; Jedermann war froh und an der rechten Stelle, er allein war überall zuviel; er konnte es nicht mehr ertragen, er mußte fort.

Therese, sagte er, auf die Uhr sehend, ich habe wirklich noch einige dringende Geschäfte. Leb' wohl! -- Du willst durchaus fort -- leb wohl! -- Giebst

ab; ich gehe nach Paris, London, Madrid, Kairo, wohin du willst. Man thut, was man gewohnt ist, wenn man nichts Nöthigeres zu thun hat. Soll ich mich etwa auf das Land setzen und alle Sonntag zum Essen hinüber fahren zu Emil und seiner Frau? Er lachte. Dann aufstehend und sich den Rock zuknöpfend: Ich wollte dich nur noch aufgesucht haben, Therese. — Bleib noch ein Weilchen, sagte sie. — Ist es dir lieb? — Ja, sehr lieb.

Er nahm seinen Platz wieder ein. Er sah sich um, die Stube heimelte ihn an, sie war ruhig und behaglich. Draußen hörte er die Wagen im Schnee vorüber fahren, und die Räder pfiffen noch im Frost; aber der Ofen strahlte sanfte Wärme aus. Seine Kisten und Seltenheiten fielen ihm ein, als er auf einem Schränkchen Allerlei stehen sah, das er Theresen geschenkt hatte. Ein Ekel überkam ihn vor diesen Dingen, ein Ekel vor dem planlosen Umherschwärmen durch die fremden Länder und die fremden Gesichter. Eine Leidenschaft hatte er bis auf den letzten Tag zu Emma nicht gehabt, aber alle Gedanken an Glück und Zukunft mit Energie an sie gekettet. Das war nun von ihm gerissen; Jedermann war froh und an der rechten Stelle, er allein war überall zuviel; er konnte es nicht mehr ertragen, er mußte fort.

Therese, sagte er, auf die Uhr sehend, ich habe wirklich noch einige dringende Geschäfte. Leb' wohl! — Du willst durchaus fort — leb wohl! — Giebst

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="2">
        <p><pb facs="#f0078"/>
ab; ich gehe nach      Paris, London, Madrid, Kairo, wohin du willst. Man thut, was man gewohnt ist, wenn man nichts      Nöthigeres zu thun hat. Soll ich mich etwa auf das Land setzen und alle Sonntag zum Essen      hinüber fahren zu Emil und seiner Frau? Er lachte. Dann aufstehend und sich den Rock      zuknöpfend: Ich wollte dich nur noch aufgesucht haben, Therese. &#x2014; Bleib noch ein Weilchen,      sagte sie. &#x2014; Ist es dir lieb? &#x2014; Ja, sehr lieb.</p><lb/>
        <p>Er nahm seinen Platz wieder ein. Er sah sich um, die Stube heimelte ihn an, sie war ruhig und      behaglich. Draußen hörte er die Wagen im Schnee vorüber fahren, und die Räder pfiffen noch im      Frost; aber der Ofen strahlte sanfte Wärme aus. Seine Kisten und Seltenheiten fielen ihm ein,      als er auf einem Schränkchen Allerlei stehen sah, das er Theresen geschenkt hatte. Ein Ekel      überkam ihn vor diesen Dingen, ein Ekel vor dem planlosen Umherschwärmen durch die fremden      Länder und die fremden Gesichter. Eine Leidenschaft hatte er bis auf den letzten Tag zu Emma      nicht gehabt, aber alle Gedanken an Glück und Zukunft mit Energie an sie gekettet. Das war nun      von ihm gerissen; Jedermann war froh und an der rechten Stelle, er allein war überall zuviel;      er konnte es nicht mehr ertragen, er mußte fort.</p><lb/>
        <p>Therese, sagte er, auf die Uhr sehend, ich habe wirklich noch einige dringende Geschäfte.      Leb' wohl! &#x2014; Du willst durchaus fort &#x2014; leb wohl! &#x2014; Giebst<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] ab; ich gehe nach Paris, London, Madrid, Kairo, wohin du willst. Man thut, was man gewohnt ist, wenn man nichts Nöthigeres zu thun hat. Soll ich mich etwa auf das Land setzen und alle Sonntag zum Essen hinüber fahren zu Emil und seiner Frau? Er lachte. Dann aufstehend und sich den Rock zuknöpfend: Ich wollte dich nur noch aufgesucht haben, Therese. — Bleib noch ein Weilchen, sagte sie. — Ist es dir lieb? — Ja, sehr lieb. Er nahm seinen Platz wieder ein. Er sah sich um, die Stube heimelte ihn an, sie war ruhig und behaglich. Draußen hörte er die Wagen im Schnee vorüber fahren, und die Räder pfiffen noch im Frost; aber der Ofen strahlte sanfte Wärme aus. Seine Kisten und Seltenheiten fielen ihm ein, als er auf einem Schränkchen Allerlei stehen sah, das er Theresen geschenkt hatte. Ein Ekel überkam ihn vor diesen Dingen, ein Ekel vor dem planlosen Umherschwärmen durch die fremden Länder und die fremden Gesichter. Eine Leidenschaft hatte er bis auf den letzten Tag zu Emma nicht gehabt, aber alle Gedanken an Glück und Zukunft mit Energie an sie gekettet. Das war nun von ihm gerissen; Jedermann war froh und an der rechten Stelle, er allein war überall zuviel; er konnte es nicht mehr ertragen, er mußte fort. Therese, sagte er, auf die Uhr sehend, ich habe wirklich noch einige dringende Geschäfte. Leb' wohl! — Du willst durchaus fort — leb wohl! — Giebst

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/78
Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/78>, abgerufen am 27.11.2024.