Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

doch nahe genug, um die Musik auf dem Platze wie ein liebliches Gesumme zu vernehmen, mit dem die Winde spielten. Die Gondel flog so sicher dahin, das Kind war so glücklich. Seine Hand ruhte in Albert's Arm, in der andern hielt es einen Veilchenstrauß, der ihm am Morgen von einem blumenverkaufenden Mädchen zugeworfen ward und dessen Blüthen größer waren, als sie bei uns wachsen. Seine Seele war frei und glatt wie der Himmel, in dem sein Auge versank, nur keine Sterne darin, doch auch keine Wolken.

Viele Gondeln fuhren umher, manche ganz nah vorüber, rechts oder links ausweichend, wie Schwalben, die über die Fläche huschen, spitz, schlank und flüchtig. Plötzlich fühlte Albert, daß die Hand des Mädchens zitterte und sich seinem Arm entzog. Eine Gondel streifte an der ihren vorüber, ein paar dunkle Gestalten saßen darin: es war nicht möglich, auch nur eine Spur ihrer Gesichter zu erkennen. Was ist dir, Emma? fragte er. Sie schwieg. -- Du zitterst? -- Ja, ich zitterte. Man merkte es ihrer Sprache an. -- Gieb mir deine Hand wieder!

Doch sie schlug die Arme untereinander, plötzlich aber warf sie die Veilchen ins Meer und senkte den Kopf in ihre Hände. -- Emma, fragte er wieder, was ist dir? -- Nichts, antwortete sie und er fragte sie nicht weiter.

Sie hatte dagesessen und die Welt schwamm vor ihren Augen sehnsuchtslos und still vorüber. Da kam

doch nahe genug, um die Musik auf dem Platze wie ein liebliches Gesumme zu vernehmen, mit dem die Winde spielten. Die Gondel flog so sicher dahin, das Kind war so glücklich. Seine Hand ruhte in Albert's Arm, in der andern hielt es einen Veilchenstrauß, der ihm am Morgen von einem blumenverkaufenden Mädchen zugeworfen ward und dessen Blüthen größer waren, als sie bei uns wachsen. Seine Seele war frei und glatt wie der Himmel, in dem sein Auge versank, nur keine Sterne darin, doch auch keine Wolken.

Viele Gondeln fuhren umher, manche ganz nah vorüber, rechts oder links ausweichend, wie Schwalben, die über die Fläche huschen, spitz, schlank und flüchtig. Plötzlich fühlte Albert, daß die Hand des Mädchens zitterte und sich seinem Arm entzog. Eine Gondel streifte an der ihren vorüber, ein paar dunkle Gestalten saßen darin: es war nicht möglich, auch nur eine Spur ihrer Gesichter zu erkennen. Was ist dir, Emma? fragte er. Sie schwieg. — Du zitterst? — Ja, ich zitterte. Man merkte es ihrer Sprache an. — Gieb mir deine Hand wieder!

Doch sie schlug die Arme untereinander, plötzlich aber warf sie die Veilchen ins Meer und senkte den Kopf in ihre Hände. — Emma, fragte er wieder, was ist dir? — Nichts, antwortete sie und er fragte sie nicht weiter.

Sie hatte dagesessen und die Welt schwamm vor ihren Augen sehnsuchtslos und still vorüber. Da kam

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="1">
        <p><pb facs="#f0051"/>
doch nahe genug, um die Musik auf dem      Platze wie ein liebliches Gesumme zu vernehmen, mit dem die Winde spielten. Die Gondel flog so      sicher dahin, das Kind war so glücklich. Seine Hand ruhte in Albert's Arm, in der andern hielt      es einen Veilchenstrauß, der ihm am Morgen von einem blumenverkaufenden Mädchen zugeworfen ward      und dessen Blüthen größer waren, als sie bei uns wachsen. Seine Seele war frei und glatt wie      der Himmel, in dem sein Auge versank, nur keine Sterne darin, doch auch keine Wolken.</p><lb/>
        <p>Viele Gondeln fuhren umher, manche ganz nah vorüber, rechts oder links ausweichend, wie      Schwalben, die über die Fläche huschen, spitz, schlank und flüchtig. Plötzlich fühlte Albert,      daß die Hand des Mädchens zitterte und sich seinem Arm entzog. Eine Gondel streifte an der      ihren vorüber, ein paar dunkle Gestalten saßen darin: es war nicht möglich, auch nur eine Spur      ihrer Gesichter zu erkennen. Was ist dir, Emma? fragte er. Sie schwieg. &#x2014; Du zitterst? &#x2014; Ja,      ich zitterte. Man merkte es ihrer Sprache an. &#x2014; Gieb mir deine Hand wieder!</p><lb/>
        <p>Doch sie schlug die Arme untereinander, plötzlich aber warf sie die Veilchen ins Meer und      senkte den Kopf in ihre Hände. &#x2014; Emma, fragte er wieder, was ist dir? &#x2014; Nichts, antwortete sie      und er fragte sie nicht weiter.</p><lb/>
        <p>Sie hatte dagesessen und die Welt schwamm vor ihren Augen sehnsuchtslos und still vorüber. Da      kam<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0051] doch nahe genug, um die Musik auf dem Platze wie ein liebliches Gesumme zu vernehmen, mit dem die Winde spielten. Die Gondel flog so sicher dahin, das Kind war so glücklich. Seine Hand ruhte in Albert's Arm, in der andern hielt es einen Veilchenstrauß, der ihm am Morgen von einem blumenverkaufenden Mädchen zugeworfen ward und dessen Blüthen größer waren, als sie bei uns wachsen. Seine Seele war frei und glatt wie der Himmel, in dem sein Auge versank, nur keine Sterne darin, doch auch keine Wolken. Viele Gondeln fuhren umher, manche ganz nah vorüber, rechts oder links ausweichend, wie Schwalben, die über die Fläche huschen, spitz, schlank und flüchtig. Plötzlich fühlte Albert, daß die Hand des Mädchens zitterte und sich seinem Arm entzog. Eine Gondel streifte an der ihren vorüber, ein paar dunkle Gestalten saßen darin: es war nicht möglich, auch nur eine Spur ihrer Gesichter zu erkennen. Was ist dir, Emma? fragte er. Sie schwieg. — Du zitterst? — Ja, ich zitterte. Man merkte es ihrer Sprache an. — Gieb mir deine Hand wieder! Doch sie schlug die Arme untereinander, plötzlich aber warf sie die Veilchen ins Meer und senkte den Kopf in ihre Hände. — Emma, fragte er wieder, was ist dir? — Nichts, antwortete sie und er fragte sie nicht weiter. Sie hatte dagesessen und die Welt schwamm vor ihren Augen sehnsuchtslos und still vorüber. Da kam

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/51
Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/51>, abgerufen am 27.11.2024.