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Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wie die Nymphen lachen, wenn sie sich im Walde jagen. Es war nicht Unbesorgtheit, nicht Uebermuth, nicht Ausgelassenheit, aber es war, als hätten die Grazien von alledem ein Paar leichte Fäden in den Schleier mit eingewebt, in den sie des Kindes Seele hüllten. Und Emil's jugendliches Herz (Emil war der Name des jungen Mannes) schien sein Gewand aus demselben Stoffe empfangen zu haben, daß sie sich Beide erkannten und begrüßten, wie zwei Vögel, die dasselbe Gefieder tragen und sich doch im Walde zum ersten Male begegnen.

Therese ging mehr schweigend neben ihnen her. Sie setzten sich endlich auf eine Bank, die unter einer breiten Linde stand. Bald sprang das Eine auf, bald das Andere und kehrte wieder zurück, dann wollte Emil auf den Baum klettern und, nachdem er die niedern Aeste betreten, das Kind überreden, auch herauf zu kommen, wogegen Therese protestirte, aber unschuldig und so, daß sie am Ende selbst Lust bekam, denn die Aeste hingen tief bis zum Rasen herab und boten sich auf das Bequemste dar. Wie wenig bedarf es zur Unterhaltung, wenn junge Leute zusammen sind! Es ist ein elektrisches Feuer in der Jugend, erquickender als die geistreichsten Gedanken. Was braucht es mehr als Wärme? was braucht die Sonne mehr, als die Erde, um sie zu überscheinen, und die Erde mehr, als erwärmt ihr Geschenk zurückzustrahlen?

So ging eine Stunde hin; da zeigte sich in der

wie die Nymphen lachen, wenn sie sich im Walde jagen. Es war nicht Unbesorgtheit, nicht Uebermuth, nicht Ausgelassenheit, aber es war, als hätten die Grazien von alledem ein Paar leichte Fäden in den Schleier mit eingewebt, in den sie des Kindes Seele hüllten. Und Emil's jugendliches Herz (Emil war der Name des jungen Mannes) schien sein Gewand aus demselben Stoffe empfangen zu haben, daß sie sich Beide erkannten und begrüßten, wie zwei Vögel, die dasselbe Gefieder tragen und sich doch im Walde zum ersten Male begegnen.

Therese ging mehr schweigend neben ihnen her. Sie setzten sich endlich auf eine Bank, die unter einer breiten Linde stand. Bald sprang das Eine auf, bald das Andere und kehrte wieder zurück, dann wollte Emil auf den Baum klettern und, nachdem er die niedern Aeste betreten, das Kind überreden, auch herauf zu kommen, wogegen Therese protestirte, aber unschuldig und so, daß sie am Ende selbst Lust bekam, denn die Aeste hingen tief bis zum Rasen herab und boten sich auf das Bequemste dar. Wie wenig bedarf es zur Unterhaltung, wenn junge Leute zusammen sind! Es ist ein elektrisches Feuer in der Jugend, erquickender als die geistreichsten Gedanken. Was braucht es mehr als Wärme? was braucht die Sonne mehr, als die Erde, um sie zu überscheinen, und die Erde mehr, als erwärmt ihr Geschenk zurückzustrahlen?

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:24:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:24:04Z)

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Zitationshilfe: Grimm, Herman: Das Kind. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–356. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_kind_1910/26>, abgerufen am 27.04.2024.