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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. zahlwörtercomposita.
instinct, auf dasselbe mittel, das ihre schwestern nicht
viel früher in größerer ausdehnung ergriffen hatten. Der
nhd. zunächst steht die nnl., welche das -s außer der
zusammensetzung in vertraulicher rede auch dem frei
vorstehenden gen. fem. gestattet, was durch die un-
gleich weiter eingerißne verwirrung der organischen ge-
schlechtsverhältnisse sichtbar erleichtert wird. Im engl.
erscheint die einmischung des -s noch um einen grad ge-
setzmäßiger, da sie sich auf alle feminina erstreckt und in
dem edelsten stil zuläßig ist; mit der composition hat sie
schon weniger zu schaffen, mit der eigentlichen gar
nichts. Im schwed. und dän. sehen wir den gebrauch
des -s am weitesten getrieben, zur förmlichen flexion des
gen. fem. geworden kann es dem regierenden nomen
vor- oder nachgestellt, wie der gen. masc. construiert
werden, auch unbedenklich uneigentliche zusammensetzun-
gen bilden helfen. Ich habe 1, 804. gewis fehlerhaft be-
hauptet, im schw. oder dän. gen. sols, krafts sei die ur-
sprüngliche genitivflexion forterhalten worden. Mit dem
alten gen. fem. auf -s bei Ulf. steht dieser neueingeführte
in keiner verbindung und im altschwed. altdän. zeigen
die sem. vocalischen ausgang des gen. sg., die starken,
nachdem sie das altn. -r abgelegt haben (analog den ahd.
und mhd.), die schwachen, weil schon im altn. das -n
apocopiert war. Es wird historisch ermittelt werden kön-
nen, in welchem jh. die schwed. und dän. -s des gen.
sg. (und gen. pl.) zuerst beginnen.

g) die hochdeutsche mundart verletzt am geringsten
das organische verhältnis; die übrigen haben durch ihr
kühneres einschreiten einige äußere vortheile davon ge-
tragen.


§. 7. composita mit zahlwörtern,

hier ist zweierlei zu betrachten: die zusammensetzung
der zahlen untereinander und mit andern wörtern.

I. composition der zahlwörter selbst. Es gibt in allen
deutschen sprachen nur zehn einfache zahlen, alle weite-
ren werden durch zusammensetzung dieser theils mit sich,
theils mit andern nominibus hervorgebracht. Die oft
ganz verwachsene und unkenntliche zusammensetzung ist
überall eine uneigentliche und zwar aus wirklicher appo-
sition
entsprungne. Obschon nämlich auch der eigentli-
chen composition appositionelle verhältnisse zu grund lie-

O o o

III. zahlwörtercompoſita.
inſtinct, auf daſſelbe mittel, das ihre ſchweſtern nicht
viel früher in größerer ausdehnung ergriffen hatten. Der
nhd. zunächſt ſteht die nnl., welche das -s außer der
zuſammenſetzung in vertraulicher rede auch dem frei
vorſtehenden gen. fem. geſtattet, was durch die un-
gleich weiter eingerißne verwirrung der organiſchen ge-
ſchlechtsverhältniſſe ſichtbar erleichtert wird. Im engl.
erſcheint die einmiſchung des -s noch um einen grad ge-
ſetzmäßiger, da ſie ſich auf alle feminina erſtreckt und in
dem edelſten ſtil zuläßig iſt; mit der compoſition hat ſie
ſchon weniger zu ſchaffen, mit der eigentlichen gar
nichts. Im ſchwed. und dän. ſehen wir den gebrauch
des -s am weiteſten getrieben, zur förmlichen flexion des
gen. fem. geworden kann es dem regierenden nomen
vor- oder nachgeſtellt, wie der gen. maſc. conſtruiert
werden, auch unbedenklich uneigentliche zuſammenſetzun-
gen bilden helfen. Ich habe 1, 804. gewis fehlerhaft be-
hauptet, im ſchw. oder dän. gen. ſols, krafts ſei die ur-
ſprüngliche genitivflexion forterhalten worden. Mit dem
alten gen. fem. auf -s bei Ulf. ſteht dieſer neueingeführte
in keiner verbindung und im altſchwed. altdän. zeigen
die ſem. vocaliſchen ausgang des gen. ſg., die ſtarken,
nachdem ſie das altn. -r abgelegt haben (analog den ahd.
und mhd.), die ſchwachen, weil ſchon im altn. das -n
apocopiert war. Es wird hiſtoriſch ermittelt werden kön-
nen, in welchem jh. die ſchwed. und dän. -s des gen.
ſg. (und gen. pl.) zuerſt beginnen.

γ) die hochdeutſche mundart verletzt am geringſten
das organiſche verhältnis; die übrigen haben durch ihr
kühneres einſchreiten einige äußere vortheile davon ge-
tragen.


§. 7. compoſita mit zahlwörtern,

hier iſt zweierlei zu betrachten: die zuſammenſetzung
der zahlen untereinander und mit andern wörtern.

I. compoſition der zahlwörter ſelbſt. Es gibt in allen
deutſchen ſprachen nur zehn einfache zahlen, alle weite-
ren werden durch zuſammenſetzung dieſer theils mit ſich,
theils mit andern nominibus hervorgebracht. Die oft
ganz verwachſene und unkenntliche zuſammenſetzung iſt
überall eine uneigentliche und zwar aus wirklicher appo-
ſition
entſprungne. Obſchon nämlich auch der eigentli-
chen compoſition appoſitionelle verhältniſſe zu grund lie-

O o o
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[945/0963] III. zahlwörtercompoſita. inſtinct, auf daſſelbe mittel, das ihre ſchweſtern nicht viel früher in größerer ausdehnung ergriffen hatten. Der nhd. zunächſt ſteht die nnl., welche das -s außer der zuſammenſetzung in vertraulicher rede auch dem frei vorſtehenden gen. fem. geſtattet, was durch die un- gleich weiter eingerißne verwirrung der organiſchen ge- ſchlechtsverhältniſſe ſichtbar erleichtert wird. Im engl. erſcheint die einmiſchung des -s noch um einen grad ge- ſetzmäßiger, da ſie ſich auf alle feminina erſtreckt und in dem edelſten ſtil zuläßig iſt; mit der compoſition hat ſie ſchon weniger zu ſchaffen, mit der eigentlichen gar nichts. Im ſchwed. und dän. ſehen wir den gebrauch des -s am weiteſten getrieben, zur förmlichen flexion des gen. fem. geworden kann es dem regierenden nomen vor- oder nachgeſtellt, wie der gen. maſc. conſtruiert werden, auch unbedenklich uneigentliche zuſammenſetzun- gen bilden helfen. Ich habe 1, 804. gewis fehlerhaft be- hauptet, im ſchw. oder dän. gen. ſols, krafts ſei die ur- ſprüngliche genitivflexion forterhalten worden. Mit dem alten gen. fem. auf -s bei Ulf. ſteht dieſer neueingeführte in keiner verbindung und im altſchwed. altdän. zeigen die ſem. vocaliſchen ausgang des gen. ſg., die ſtarken, nachdem ſie das altn. -r abgelegt haben (analog den ahd. und mhd.), die ſchwachen, weil ſchon im altn. das -n apocopiert war. Es wird hiſtoriſch ermittelt werden kön- nen, in welchem jh. die ſchwed. und dän. -s des gen. ſg. (und gen. pl.) zuerſt beginnen. γ) die hochdeutſche mundart verletzt am geringſten das organiſche verhältnis; die übrigen haben durch ihr kühneres einſchreiten einige äußere vortheile davon ge- tragen. §. 7. compoſita mit zahlwörtern, hier iſt zweierlei zu betrachten: die zuſammenſetzung der zahlen untereinander und mit andern wörtern. I. compoſition der zahlwörter ſelbſt. Es gibt in allen deutſchen ſprachen nur zehn einfache zahlen, alle weite- ren werden durch zuſammenſetzung dieſer theils mit ſich, theils mit andern nominibus hervorgebracht. Die oft ganz verwachſene und unkenntliche zuſammenſetzung iſt überall eine uneigentliche und zwar aus wirklicher appo- ſition entſprungne. Obſchon nämlich auch der eigentli- chen compoſition appoſitionelle verhältniſſe zu grund lie- O o o

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 945. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/963>, abgerufen am 22.11.2024.