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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomp. -- trennb. part. mit verb.
nierbaren mit dem verbo wirklich verbunden wird, ist
noch im nhd. die betonung für beide fälle verschieden.
vgl. z. b. umsang (complexus) unterhalt (vitae suftentio)
mit umfangen (complecti) unterhalten (v. sustentare),
Jede dieser zus. setzungen muß daher selbständig für sich
entsprungen sein, kein ableitungsmittel liegt dazwischen.
Folglich darf auch nicht von anblick, niedergang, zu-
tritt etc. auf anblicken, niedergehen, zutreten geschloßen
werden, wiewohl hier die betonung gleich ist. Etwas
anderes ist, wenn eine derivation in der mitte liegt:

a) aus componierten verbis abgeleitete nomina behal-
ten noch heutzutage gänzlich die geringere betonung der
partikel, die vor den verbis stattfindet, vgl. übertretung,
umarmung mit übertreten, umarmen. Aus verbis, die
sich nur unvollständig componieren, dürfen gleichwohl
nomina geleitet werden (z. b. anstellung, absendung, vor-
stellung, zurüstung etc.) sei nun dabei auf den inf. oder
auf andere fälle, wo die partikel vorsteht, rücksicht ge-
nommen. Dieser gegenstand bedarf noch weiterer nach-
forschung, weil es ableitungen gibt, die an sich, beides
zu nomiuibus und verbis treten können (s. 704.) und nur
bisweilen in der früheren sprache die form der partikel
entscheidet. Im ahd. z. b. stehet ap-, wenn das zweite wort
ein nomen ist, apa hingegen vor verbis (s. 708.), folglich
ist das adj. abe-lage (torpens) N. Cap. 29. auf das ver-
bum abe ligen (torpere) zurückzuführen, nicht anzuneh-
men, daß die partikel zu einem einfachen (unerweisli-
lichen) adj. lage getreten sei. Sind alle mhd. abe- (s. 709.)
so anzusehen? Widar-winno (hostis) kann wirklich auf
doppelte weise gedacht werden, entw. als ableitung von
widar-winnan, oder als verbindung der partikel mit dem
(nicht unwahrscheinlichen) nomen winno (ags. vinna, bel-
lator); im ersten fall ist es schwächer, im zweiten stärker
accentuiert.

b) aus componierten nominibus geleeitete verba sind
wirkliche, untrennbare composita, wenn sie schon eine
part. enthalten, die sich mit verbis selbst nur unvollstän-
dig zus. setzt. Sie haben daher auch ganz den accent,
welcher der part. vor dem nomen zusteht. Tritt ihnen
ge- im part. praet. oder sonst hinzu, so hat es seine stelle
vor der partikel. Es gibt nhd. nur wenige solcher verba.
Ein mhd. beispiel ist sunder-sprachen Nib. 6932. Gudr.
22b 46b. Beispiele aus dem ahd.: ana-gangon (initium
facere) N. Cap. 51. ana-gangeron (versare) Bth. 195;
ana-brechon (reprehendere) O. IV. 19, 128. mohtin gi-

III. partikelcomp. — trennb. part. mit verb.
nierbaren mit dem verbo wirklich verbunden wird, iſt
noch im nhd. die betonung für beide fälle verſchieden.
vgl. z. b. úmſáng (complexus) únterhált (vitae ſuftentio)
mit umfángen (complecti) unterhálten (v. ſuſtentare),
Jede dieſer zuſ. ſetzungen muß daher ſelbſtändig für ſich
entſprungen ſein, kein ableitungsmittel liegt dazwiſchen.
Folglich darf auch nicht von anblick, niedergang, zu-
tritt etc. auf anblicken, niedergehen, zutreten geſchloßen
werden, wiewohl hier die betonung gleich iſt. Etwas
anderes iſt, wenn eine derivation in der mitte liegt:

α) aus componierten verbis abgeleitete nomina behal-
ten noch heutzutage gänzlich die geringere betonung der
partikel, die vor den verbis ſtattfindet, vgl. übertrétung,
umármung mit übertréten, umármen. Aus verbis, die
ſich nur unvollſtändig componieren, dürfen gleichwohl
nomina geleitet werden (z. b. anſtellung, abſendung, vor-
ſtellung, zurüſtung etc.) ſei nun dabei auf den inf. oder
auf andere fälle, wo die partikel vorſteht, rückſicht ge-
nommen. Dieſer gegenſtand bedarf noch weiterer nach-
forſchung, weil es ableitungen gibt, die an ſich, beides
zu nomiuibus und verbis treten können (ſ. 704.) und nur
bisweilen in der früheren ſprache die form der partikel
entſcheidet. Im ahd. z. b. ſtehet ap-, wenn das zweite wort
ein nomen iſt, apa hingegen vor verbis (ſ. 708.), folglich
iſt das adj. abe-lâge (torpens) N. Cap. 29. auf das ver-
bum abe ligen (torpere) zurückzuführen, nicht anzuneh-
men, daß die partikel zu einem einfachen (unerweiſli-
lichen) adj. lâge getreten ſei. Sind alle mhd. abe- (ſ. 709.)
ſo anzuſehen? Widar-winno (hoſtis) kann wirklich auf
doppelte weiſe gedacht werden, entw. als ableitung von
widar-winnan, oder als verbindung der partikel mit dem
(nicht unwahrſcheinlichen) nomen winno (agſ. vinna, bel-
lator); im erſten fall iſt es ſchwächer, im zweiten ſtärker
accentuiert.

β) aus componierten nominibus geleîtete verba ſind
wirkliche, untrennbare compoſita, wenn ſie ſchon eine
part. enthalten, die ſich mit verbis ſelbſt nur unvollſtän-
dig zuſ. ſetzt. Sie haben daher auch ganz den accent,
welcher der part. vor dem nomen zuſteht. Tritt ihnen
ge- im part. praet. oder ſonſt hinzu, ſo hat es ſeine ſtelle
vor der partikel. Es gibt nhd. nur wenige ſolcher verba.
Ein mhd. beiſpiel iſt ſunder-ſprâchen Nib. 6932. Gudr.
22b 46b. Beiſpiele aus dem ahd.: ana-gangôn (initium
facere) N. Cap. 51. ana-gangerôn (verſare) Bth. 195;
ana-brëchôn (reprehendere) O. IV. 19, 128. mohtin gi-

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[919/0937] III. partikelcomp. — trennb. part. mit verb. nierbaren mit dem verbo wirklich verbunden wird, iſt noch im nhd. die betonung für beide fälle verſchieden. vgl. z. b. úmſáng (complexus) únterhált (vitae ſuftentio) mit umfángen (complecti) unterhálten (v. ſuſtentare), Jede dieſer zuſ. ſetzungen muß daher ſelbſtändig für ſich entſprungen ſein, kein ableitungsmittel liegt dazwiſchen. Folglich darf auch nicht von anblick, niedergang, zu- tritt etc. auf anblicken, niedergehen, zutreten geſchloßen werden, wiewohl hier die betonung gleich iſt. Etwas anderes iſt, wenn eine derivation in der mitte liegt: α) aus componierten verbis abgeleitete nomina behal- ten noch heutzutage gänzlich die geringere betonung der partikel, die vor den verbis ſtattfindet, vgl. übertrétung, umármung mit übertréten, umármen. Aus verbis, die ſich nur unvollſtändig componieren, dürfen gleichwohl nomina geleitet werden (z. b. anſtellung, abſendung, vor- ſtellung, zurüſtung etc.) ſei nun dabei auf den inf. oder auf andere fälle, wo die partikel vorſteht, rückſicht ge- nommen. Dieſer gegenſtand bedarf noch weiterer nach- forſchung, weil es ableitungen gibt, die an ſich, beides zu nomiuibus und verbis treten können (ſ. 704.) und nur bisweilen in der früheren ſprache die form der partikel entſcheidet. Im ahd. z. b. ſtehet ap-, wenn das zweite wort ein nomen iſt, apa hingegen vor verbis (ſ. 708.), folglich iſt das adj. abe-lâge (torpens) N. Cap. 29. auf das ver- bum abe ligen (torpere) zurückzuführen, nicht anzuneh- men, daß die partikel zu einem einfachen (unerweiſli- lichen) adj. lâge getreten ſei. Sind alle mhd. abe- (ſ. 709.) ſo anzuſehen? Widar-winno (hoſtis) kann wirklich auf doppelte weiſe gedacht werden, entw. als ableitung von widar-winnan, oder als verbindung der partikel mit dem (nicht unwahrſcheinlichen) nomen winno (agſ. vinna, bel- lator); im erſten fall iſt es ſchwächer, im zweiten ſtärker accentuiert. β) aus componierten nominibus geleîtete verba ſind wirkliche, untrennbare compoſita, wenn ſie ſchon eine part. enthalten, die ſich mit verbis ſelbſt nur unvollſtän- dig zuſ. ſetzt. Sie haben daher auch ganz den accent, welcher der part. vor dem nomen zuſteht. Tritt ihnen ge- im part. praet. oder ſonſt hinzu, ſo hat es ſeine ſtelle vor der partikel. Es gibt nhd. nur wenige ſolcher verba. Ein mhd. beiſpiel iſt ſunder-ſprâchen Nib. 6932. Gudr. 22b 46b. Beiſpiele aus dem ahd.: ana-gangôn (initium facere) N. Cap. 51. ana-gangerôn (verſare) Bth. 195; ana-brëchôn (reprehendere) O. IV. 19, 128. mohtin gi-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 919. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/937>, abgerufen am 22.11.2024.