Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. partikelcomp. -- trennb. part. mit verb.
ziehen, da es etwas widersinniges hat, eine praeposition
zwischen zwei wörter sestzuklemmen. Ausnahmsweise
wird auch die partikel nicht ans verbum geschrieben,
wenn es das hilfswort sein ist, z. b. es heißt nicht bloß
direct: das lied ist aus, die sonne ist unter, sondern auch
indirect: wenn das lied aus ist, die sonne unter ist (nicht:
ausist, unterist) und so vor dem inf., weil hier die part.
zuviel macht hat, oder man sich ein ausgelaßenes: ge-
sungen, gegangen dazwischen denkt. Für die anhängung
der partikel, wenigstens an inf. und part. praes., folglich
annahme wirklicher (freilich immer uneigentlicher) zus.
setzung in diesen fällen, läßt sich allerdings ein grund
beibringen. Dieselben partikeln verbinden sich ohne
schwierigkeit mit nominibus; inf. und participium grei-
sen aber ins nomen über. Wenn nun in wörtern wie
an-fang, hin-blick, aus-lauf die part. unzertrennlich ans
nomen gewachsen ist, warum sollte sie es nicht sein in
an-fangen, hin-blicken aus-laufen? Noch mehr, es laßen
sich aus so componierten verbis nomina (auf -er, -ung,
-ig etc.) ableiten, in denen die part. wiederum festwur-
zelt, z. b. ab-brecher, dar-leiher, dar-bringung, fort-
schaffung, an-stellig; warum wollte man kein ab-bre-
chen, dar-leihen, dar-bringen, fort-schaffen, an-stellen
dulden? Das ist zwar einzuräumen, wie auch selig-
sprecher, frei-sprechung auf selig-sprechen, frei-sprechen
zurückführt; doch glaube ich sollten wir die ungebunden-
heit der partikeln vor verbis, eine gute eigenschaft unse-
rer sprache, so weit als möglich behaupten *). Ohnehin
sind die dichter an jene prosaische vor- oder nachstellung
nicht völlig gebunden, d. h. sie dürfen auch zuweilen
mit besonderem nachdruck im conj. und inf. die part.
nachsetzen (daß er fange an, wie soll ich sangen an die
rede) oder im ind. und imp. vor (auf-schlag die augen,

* andere gründe für die eingetretene zus. setzung kann abge-
ben, a) daß sich das part. praet. mit privativem un- componiert,
z. b. unabgebrochen, unangefochten, unangemeldet, unaufgescho-
ben, unaufgefordert, unausgemittelt, uneingetragen, unhergestellt,
unvorbereitet, unzubereitet, unzusammengesetzt etc. doch scheinen
diese bildungen sehr neu und gelten nicht in allen fällen, man
sagt nicht leicht: unbeigebracht, undargebracht, unfortgetragen,
unhingestellt, unmitgenommen, unnachgelaßen, unniedergeschla-
gen. b) daß das part. praet. mit haben und sein construiert auch
in directer rede die partikel vor sich behält, z. b. ich habe aufge-
fangen, wer hat aufgefangen? während es sonst heißt: ich sange
auf, wer fängt auf?

III. partikelcomp. — trennb. part. mit verb.
ziehen, da es etwas widerſinniges hat, eine praepoſition
zwiſchen zwei wörter ſeſtzuklemmen. Ausnahmsweiſe
wird auch die partikel nicht ans verbum geſchrieben,
wenn es das hilfswort ſein iſt, z. b. es heißt nicht bloß
direct: das lied iſt aus, die ſonne iſt unter, ſondern auch
indirect: wenn das lied aus iſt, die ſonne unter iſt (nicht:
ausiſt, unteriſt) und ſo vor dem inf., weil hier die part.
zuviel macht hat, oder man ſich ein ausgelaßenes: ge-
ſungen, gegangen dazwiſchen denkt. Für die anhängung
der partikel, wenigſtens an inf. und part. praeſ., folglich
annahme wirklicher (freilich immer uneigentlicher) zuſ.
ſetzung in dieſen fällen, läßt ſich allerdings ein grund
beibringen. Dieſelben partikeln verbinden ſich ohne
ſchwierigkeit mit nominibus; inf. und participium grei-
ſen aber ins nomen über. Wenn nun in wörtern wie
an-fang, hin-blick, aus-lauf die part. unzertrennlich ans
nomen gewachſen iſt, warum ſollte ſie es nicht ſein in
an-fangen, hin-blicken aus-laufen? Noch mehr, es laßen
ſich aus ſo componierten verbis nomina (auf -er, -ung,
-ig etc.) ableiten, in denen die part. wiederum feſtwur-
zelt, z. b. ab-brecher, dar-leiher, dar-bringung, fort-
ſchaffung, an-ſtellig; warum wollte man kein ab-bre-
chen, dar-leihen, dar-bringen, fort-ſchaffen, an-ſtellen
dulden? Das iſt zwar einzuräumen, wie auch ſelig-
ſprecher, frei-ſprechung auf ſelig-ſprechen, frei-ſprechen
zurückführt; doch glaube ich ſollten wir die ungebunden-
heit der partikeln vor verbis, eine gute eigenſchaft unſe-
rer ſprache, ſo weit als möglich behaupten *). Ohnehin
ſind die dichter an jene proſaiſche vor- oder nachſtellung
nicht völlig gebunden, d. h. ſie dürfen auch zuweilen
mit beſonderem nachdruck im conj. und inf. die part.
nachſetzen (daß er fange an, wie ſoll ich ſangen an die
rede) oder im ind. und imp. vor (auf-ſchlag die augen,

* andere gründe für die eingetretene zuſ. ſetzung kann abge-
ben, a) daß ſich das part. praet. mit privativem un- componiert,
z. b. unabgebrochen, unangefochten, unangemeldet, unaufgeſcho-
ben, unaufgefordert, unausgemittelt, uneingetragen, unhergeſtellt,
unvorbereitet, unzubereitet, unzuſammengeſetzt etc. doch ſcheinen
dieſe bildungen ſehr neu und gelten nicht in allen fällen, man
ſagt nicht leicht: unbeigebracht, undargebracht, unfortgetragen,
unhingeſtellt, unmitgenommen, unnachgelaßen, unniedergeſchla-
gen. b) daß das part. praet. mit haben und ſein conſtruiert auch
in directer rede die partikel vor ſich behält, z. b. ich habe aufge-
fangen, wer hat aufgefangen? während es ſonſt heißt: ich ſange
auf, wer fängt auf?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0891" n="873"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">partikelcomp. &#x2014; trennb. part. mit verb.</hi></hi></fw><lb/>
ziehen, da es etwas wider&#x017F;inniges hat, eine praepo&#x017F;ition<lb/>
zwi&#x017F;chen zwei wörter &#x017F;e&#x017F;tzuklemmen. Ausnahmswei&#x017F;e<lb/>
wird auch die partikel nicht ans verbum ge&#x017F;chrieben,<lb/>
wenn es das hilfswort <hi rendition="#i">&#x017F;ein</hi> i&#x017F;t, z. b. es heißt nicht bloß<lb/>
direct: das lied i&#x017F;t aus, die &#x017F;onne i&#x017F;t unter, &#x017F;ondern auch<lb/>
indirect: wenn das lied aus i&#x017F;t, die &#x017F;onne unter i&#x017F;t (nicht:<lb/>
ausi&#x017F;t, unteri&#x017F;t) und &#x017F;o vor dem inf., weil hier die part.<lb/>
zuviel macht hat, oder man &#x017F;ich ein ausgelaßenes: ge-<lb/>
&#x017F;ungen, gegangen dazwi&#x017F;chen denkt. Für die anhängung<lb/>
der partikel, wenig&#x017F;tens an inf. und part. prae&#x017F;., folglich<lb/>
annahme wirklicher (freilich immer uneigentlicher) zu&#x017F;.<lb/>
&#x017F;etzung in die&#x017F;en fällen, läßt &#x017F;ich allerdings ein grund<lb/>
beibringen. Die&#x017F;elben partikeln verbinden &#x017F;ich ohne<lb/>
&#x017F;chwierigkeit mit nominibus; inf. und participium grei-<lb/>
&#x017F;en aber ins nomen über. Wenn nun in wörtern wie<lb/>
an-fang, hin-blick, aus-lauf die part. unzertrennlich ans<lb/>
nomen gewach&#x017F;en i&#x017F;t, warum &#x017F;ollte &#x017F;ie es nicht &#x017F;ein in<lb/>
an-fangen, hin-blicken aus-laufen? Noch mehr, es laßen<lb/>
&#x017F;ich aus &#x017F;o componierten verbis nomina (auf -er, -ung,<lb/>
-ig etc.) ableiten, in denen die part. wiederum fe&#x017F;twur-<lb/>
zelt, z. b. ab-brecher, dar-leiher, dar-bringung, fort-<lb/>
&#x017F;chaffung, an-&#x017F;tellig; warum wollte man kein ab-bre-<lb/>
chen, dar-leihen, dar-bringen, fort-&#x017F;chaffen, an-&#x017F;tellen<lb/>
dulden? Das i&#x017F;t zwar einzuräumen, wie auch &#x017F;elig-<lb/>
&#x017F;precher, frei-&#x017F;prechung auf &#x017F;elig-&#x017F;prechen, frei-&#x017F;prechen<lb/>
zurückführt; doch glaube ich &#x017F;ollten wir die ungebunden-<lb/>
heit der partikeln vor verbis, eine gute eigen&#x017F;chaft un&#x017F;e-<lb/>
rer &#x017F;prache, &#x017F;o weit als möglich behaupten <note place="foot" n="*">andere gründe für die eingetretene zu&#x017F;. &#x017F;etzung kann abge-<lb/>
ben, a) daß &#x017F;ich das part. praet. mit privativem <hi rendition="#i">un-</hi> componiert,<lb/>
z. b. unabgebrochen, unangefochten, unangemeldet, unaufge&#x017F;cho-<lb/>
ben, unaufgefordert, unausgemittelt, uneingetragen, unherge&#x017F;tellt,<lb/>
unvorbereitet, unzubereitet, unzu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt etc. doch &#x017F;cheinen<lb/>
die&#x017F;e bildungen &#x017F;ehr neu und gelten nicht in allen fällen, man<lb/>
&#x017F;agt nicht leicht: unbeigebracht, undargebracht, unfortgetragen,<lb/>
unhinge&#x017F;tellt, unmitgenommen, unnachgelaßen, unniederge&#x017F;chla-<lb/>
gen. b) daß das part. praet. mit haben und &#x017F;ein con&#x017F;truiert auch<lb/>
in directer rede die partikel vor &#x017F;ich behält, z. b. ich habe aufge-<lb/>
fangen, wer hat aufgefangen? während es &#x017F;on&#x017F;t heißt: ich &#x017F;ange<lb/>
auf, wer fängt auf?</note>). Ohnehin<lb/>
&#x017F;ind die dichter an jene pro&#x017F;ai&#x017F;che vor- oder nach&#x017F;tellung<lb/>
nicht völlig gebunden, d. h. &#x017F;ie dürfen auch zuweilen<lb/>
mit be&#x017F;onderem nachdruck im conj. und inf. die part.<lb/>
nach&#x017F;etzen (daß er fange an, wie &#x017F;oll ich &#x017F;angen an die<lb/>
rede) oder im ind. und imp. vor (auf-&#x017F;chlag die augen,<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[873/0891] III. partikelcomp. — trennb. part. mit verb. ziehen, da es etwas widerſinniges hat, eine praepoſition zwiſchen zwei wörter ſeſtzuklemmen. Ausnahmsweiſe wird auch die partikel nicht ans verbum geſchrieben, wenn es das hilfswort ſein iſt, z. b. es heißt nicht bloß direct: das lied iſt aus, die ſonne iſt unter, ſondern auch indirect: wenn das lied aus iſt, die ſonne unter iſt (nicht: ausiſt, unteriſt) und ſo vor dem inf., weil hier die part. zuviel macht hat, oder man ſich ein ausgelaßenes: ge- ſungen, gegangen dazwiſchen denkt. Für die anhängung der partikel, wenigſtens an inf. und part. praeſ., folglich annahme wirklicher (freilich immer uneigentlicher) zuſ. ſetzung in dieſen fällen, läßt ſich allerdings ein grund beibringen. Dieſelben partikeln verbinden ſich ohne ſchwierigkeit mit nominibus; inf. und participium grei- ſen aber ins nomen über. Wenn nun in wörtern wie an-fang, hin-blick, aus-lauf die part. unzertrennlich ans nomen gewachſen iſt, warum ſollte ſie es nicht ſein in an-fangen, hin-blicken aus-laufen? Noch mehr, es laßen ſich aus ſo componierten verbis nomina (auf -er, -ung, -ig etc.) ableiten, in denen die part. wiederum feſtwur- zelt, z. b. ab-brecher, dar-leiher, dar-bringung, fort- ſchaffung, an-ſtellig; warum wollte man kein ab-bre- chen, dar-leihen, dar-bringen, fort-ſchaffen, an-ſtellen dulden? Das iſt zwar einzuräumen, wie auch ſelig- ſprecher, frei-ſprechung auf ſelig-ſprechen, frei-ſprechen zurückführt; doch glaube ich ſollten wir die ungebunden- heit der partikeln vor verbis, eine gute eigenſchaft unſe- rer ſprache, ſo weit als möglich behaupten *). Ohnehin ſind die dichter an jene proſaiſche vor- oder nachſtellung nicht völlig gebunden, d. h. ſie dürfen auch zuweilen mit beſonderem nachdruck im conj. und inf. die part. nachſetzen (daß er fange an, wie ſoll ich ſangen an die rede) oder im ind. und imp. vor (auf-ſchlag die augen, * andere gründe für die eingetretene zuſ. ſetzung kann abge- ben, a) daß ſich das part. praet. mit privativem un- componiert, z. b. unabgebrochen, unangefochten, unangemeldet, unaufgeſcho- ben, unaufgefordert, unausgemittelt, uneingetragen, unhergeſtellt, unvorbereitet, unzubereitet, unzuſammengeſetzt etc. doch ſcheinen dieſe bildungen ſehr neu und gelten nicht in allen fällen, man ſagt nicht leicht: unbeigebracht, undargebracht, unfortgetragen, unhingeſtellt, unmitgenommen, unnachgelaßen, unniedergeſchla- gen. b) daß das part. praet. mit haben und ſein conſtruiert auch in directer rede die partikel vor ſich behält, z. b. ich habe aufge- fangen, wer hat aufgefangen? während es ſonſt heißt: ich ſange auf, wer fängt auf?

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/891
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 873. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/891>, abgerufen am 19.05.2024.