Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. partikelcomp. -- untr. part. mit verb.
sie sich über die comp. mit verbis hinaus erstreckt (z. b.
die nhd. ent-gegen, ent-zwei erwachsen ohne zweifel aus
in-gegen, in-zwei).

[er-]; im goth. lautet diese part. beständig us- und
nur vor anlautendem r assimiliert sie sich in ur-; spur
ihrer trennbarkeit als bloßen adverbs (abgefehn von dem
praepositionsfall) zeigt sich noch Luc. 20, 25. in dazwischen-
schiebung der part. nu: us nu gibith (reddite) für nu us-gibith
oder us-gibith nu; vgl. uzuhiddja Joh. 16, 28. Ahd. schwan-
ken ur-, ar-, ir-, er-, letzteres ist = er, und (wie fer statt fir)
ganz der alten lautregel gemäß, welche den vocal i vor
r in e (ai) wandelt, daher nicht der spätern verdünnung
des auslautenden pi, zi in be, ze zu vergleichen. Der
unbetontheit wegen schreibe ich jedoch er- (für er-).
Die form ir- scheint das i aus dem ursprünglichen is-
fester zu halten und steht dem ur- (für us-) parallel,
welchem, im ahd. mindestens, kein or- zur seite steht.
Dagegen berührt sich ar- zunächst mit dem a- (für as-)
welches in dieser mundart niemahls mit verbis compo-
niert wird. Man kann nicht sagen, daß eine der vier
ahd. formen vor der andern etwas alterthümliches vor-
aushabe, bloß daß ur- unter allen die seltenste ist. Sie
begegnet bloß in der exhort., wo beide hss. ur-gepan
gewähren; hymn. 949. ur-tructe (sobrii); Hild. ur-hettun;
ur-stiufit ker. 215. ur-witwid ker. 284; hauptsächlich aber
mons. 401-412, in den gl., welche genauer emm. citiert wer-
den sollten (bei Graff P. 34-52.) wo: ur-chuistan, ur-halon,
ur-hefan, ur-hokan, ur-nesan, ur-rahhon, ur-sceinan, ur-
smaleichen, ur-spurjan, ur-wahhen, ur-welchen, ur-wur-
zon, nur fragt sich, ob die hs. nicht etwan ar- lese? da
in diesen gl. emm. zugleich ar-gepan, ar-hefan, ar-peran,
ar-leotan, ar-lougnan, ar-rachon, ar-rechan, ar-fullan
vorkommt, während die vorausgehenden gl. mons. durch-
gängig ir- setzen. Wo sich in andern denkmählern ur-
vor verbis findet, liegen nomina zu grund; so rührt
zwar ur-suochari mons. 326. ur-suahhida K. von ur-suoh-
han her, dieses aber von ur-suoh (vgl. ur-suochenot N.
Boeth. 246. mit betontem ur-); ur-drußeda N. 118, 53.
von ur-drußi; ur-teilida K. 53b mons. 401. ur-teilda N.
16, 2. von ur-teilan und dieses von ur-teili. Die ar-form
zeigt sich in J. T. sgall. jun. emm. etc. (nie mons. bis
401; nie bei O. und N.), neben ar- mehr oder minder
er-, zumeist jun. (wo ar- und er- sich beinahe gleich-
gewicht halten); das er- überwiegt bei K. (neben -ar-,
nie ir-) bei N. scheinen er- und ir- gleich häufig und

III. partikelcomp. — untr. part. mit verb.
ſie ſich über die comp. mit verbis hinaus erſtreckt (z. b.
die nhd. ent-gegen, ent-zwei erwachſen ohne zweifel aus
in-gegen, in-zwei).

[er-]; im goth. lautet dieſe part. beſtändig us- und
nur vor anlautendem r aſſimiliert ſie ſich in ur-; ſpur
ihrer trennbarkeit als bloßen adverbs (abgefehn von dem
praepoſitionsfall) zeigt ſich noch Luc. 20, 25. in dazwiſchen-
ſchiebung der part. nu: us nu gibiþ (reddite) für nu us-gibiþ
oder us-gibiþ nu; vgl. uzuhïddja Joh. 16, 28. Ahd. ſchwan-
ken ur-, ar-, ir-, er-, letzteres iſt = ër, und (wie fër ſtatt fir)
ganz der alten lautregel gemäß, welche den vocal i vor
r in ë (aí) wandelt, daher nicht der ſpätern verdünnung
des auslautenden pi, zi in be, ze zu vergleichen. Der
unbetontheit wegen ſchreibe ich jedoch er- (für ër-).
Die form ir- ſcheint das i aus dem urſprünglichen is-
feſter zu halten und ſteht dem ur- (für us-) parallel,
welchem, im ahd. mindeſtens, kein or- zur ſeite ſteht.
Dagegen berührt ſich ar- zunächſt mit dem â- (für as-)
welches in dieſer mundart niemahls mit verbis compo-
niert wird. Man kann nicht ſagen, daß eine der vier
ahd. formen vor der andern etwas alterthümliches vor-
aushabe, bloß daß ur- unter allen die ſeltenſte iſt. Sie
begegnet bloß in der exhort., wo beide hſſ. ur-gëpan
gewähren; hymn. 949. ur-tructê (ſobrii); Hild. ur-hêttun;
ur-ſtiufit ker. 215. ur-witwid ker. 284; hauptſächlich aber
monſ. 401-412, in den gl., welche genauer emm. citiert wer-
den ſollten (bei Graff P. 34-52.) wo: ur-chuiſtan, ur-halôn,
ur-hefan, ur-hokan, ur-nëſan, ur-rahhôn, ur-ſceinan, ur-
ſmâlîchên, ur-ſpurjan, ur-wahhên, ur-welchên, ur-wur-
zôn, nur fragt ſich, ob die hſ. nicht etwan ar- leſe? da
in dieſen gl. emm. zugleich ar-gëpan, ar-hefan, ar-përan,
ar-lëotan, ar-lougnan, ar-rachôn, ar-rechan, ar-fullan
vorkommt, während die vorausgehenden gl. monſ. durch-
gängig ir- ſetzen. Wo ſich in andern denkmählern ur-
vor verbis findet, liegen nomina zu grund; ſo rührt
zwar ur-ſuochâri monſ. 326. ur-ſuahhida K. von ur-ſuoh-
han her, dieſes aber von ur-ſuoh (vgl. ur-ſuochenôt N.
Boeth. 246. mit betontem úr-); ur-druƷeda N. 118, 53.
von ur-druƷi; ur-teilida K. 53b monſ. 401. ur-teilda N.
16, 2. von ur-teilan und dieſes von ur-teili. Die ar-form
zeigt ſich in J. T. ſgall. jun. emm. etc. (nie monſ. bis
401; nie bei O. und N.), neben ar- mehr oder minder
er-, zumeiſt jun. (wo ar- und er- ſich beinahe gleich-
gewicht halten); das er- überwiegt bei K. (neben -ar-,
nie ir-) bei N. ſcheinen er- und ir- gleich häufig und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0836" n="818"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">partikelcomp. &#x2014; untr. part. mit verb.</hi></hi></fw><lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich über die comp. mit verbis hinaus er&#x017F;treckt (z. b.<lb/>
die nhd. ent-gegen, ent-zwei erwach&#x017F;en ohne zweifel aus<lb/>
in-gegen, in-zwei).</p><lb/>
                <p>[<hi rendition="#i">er-</hi>]; im goth. lautet die&#x017F;e part. be&#x017F;tändig <hi rendition="#i">us-</hi> und<lb/>
nur vor anlautendem r a&#x017F;&#x017F;imiliert &#x017F;ie &#x017F;ich in <hi rendition="#i">ur-;</hi> &#x017F;pur<lb/>
ihrer trennbarkeit als bloßen adverbs (abgefehn von dem<lb/>
praepo&#x017F;itionsfall) zeigt &#x017F;ich noch Luc. 20, 25. in dazwi&#x017F;chen-<lb/>
&#x017F;chiebung der part. nu: us nu gibiþ (reddite) für nu us-gibiþ<lb/>
oder us-gibiþ nu; vgl. uzuhïddja Joh. 16, 28. Ahd. &#x017F;chwan-<lb/>
ken <hi rendition="#i">ur-</hi>, <hi rendition="#i">ar-</hi>, <hi rendition="#i">ir-</hi>, <hi rendition="#i">er-</hi>, letzteres i&#x017F;t = ër, und (wie fër &#x017F;tatt fir)<lb/>
ganz der alten lautregel gemäß, welche den vocal i vor<lb/>
r in ë (aí) wandelt, daher nicht der &#x017F;pätern verdünnung<lb/>
des auslautenden pi, zi in be, ze zu vergleichen. Der<lb/>
unbetontheit wegen &#x017F;chreibe ich jedoch er- (für ër-).<lb/>
Die form ir- &#x017F;cheint das i aus dem ur&#x017F;prünglichen is-<lb/>
fe&#x017F;ter zu halten und &#x017F;teht dem ur- (für us-) parallel,<lb/>
welchem, im ahd. minde&#x017F;tens, kein or- zur &#x017F;eite &#x017F;teht.<lb/>
Dagegen berührt &#x017F;ich ar- zunäch&#x017F;t mit dem â- (für as-)<lb/>
welches in die&#x017F;er mundart niemahls mit verbis compo-<lb/>
niert wird. Man kann nicht &#x017F;agen, daß eine der vier<lb/>
ahd. formen vor der andern etwas alterthümliches vor-<lb/>
aushabe, bloß daß ur- unter allen die &#x017F;elten&#x017F;te i&#x017F;t. Sie<lb/>
begegnet bloß in der exhort., wo beide h&#x017F;&#x017F;. ur-gëpan<lb/>
gewähren; hymn. 949. ur-tructê (&#x017F;obrii); Hild. ur-hêttun;<lb/>
ur-&#x017F;tiufit ker. 215. ur-witwid ker. 284; haupt&#x017F;ächlich aber<lb/>
mon&#x017F;. 401-412, in den gl., welche genauer <hi rendition="#i">emm.</hi> citiert wer-<lb/>
den &#x017F;ollten (bei Graff P. 34-52.) wo: ur-chui&#x017F;tan, ur-halôn,<lb/>
ur-hefan, ur-hokan, ur-në&#x017F;an, ur-rahhôn, ur-&#x017F;ceinan, ur-<lb/>
&#x017F;mâlîchên, ur-&#x017F;purjan, ur-wahhên, ur-welchên, ur-wur-<lb/>
zôn, nur fragt &#x017F;ich, ob die h&#x017F;. nicht etwan ar- le&#x017F;e? da<lb/>
in die&#x017F;en gl. emm. zugleich ar-gëpan, ar-hefan, ar-përan,<lb/>
ar-lëotan, ar-lougnan, ar-rachôn, ar-rechan, ar-fullan<lb/>
vorkommt, während die vorausgehenden gl. mon&#x017F;. durch-<lb/>
gängig ir- &#x017F;etzen. Wo &#x017F;ich in andern denkmählern ur-<lb/>
vor verbis findet, liegen nomina zu grund; &#x017F;o rührt<lb/>
zwar ur-&#x017F;uochâri mon&#x017F;. 326. ur-&#x017F;uahhida K. von ur-&#x017F;uoh-<lb/>
han her, die&#x017F;es aber von ur-&#x017F;uoh (vgl. ur-&#x017F;uochenôt N.<lb/>
Boeth. 246. mit betontem úr-); ur-dru&#x01B7;eda N. 118, 53.<lb/>
von ur-dru&#x01B7;i; ur-teilida K. 53<hi rendition="#sup">b</hi> mon&#x017F;. 401. ur-teilda N.<lb/>
16, 2. von ur-teilan und die&#x017F;es von ur-teili. Die ar-form<lb/>
zeigt &#x017F;ich in J. T. &#x017F;gall. jun. emm. etc. (nie mon&#x017F;. bis<lb/>
401; nie bei O. und N.), neben ar- mehr oder minder<lb/>
er-, zumei&#x017F;t jun. (wo ar- und er- &#x017F;ich beinahe gleich-<lb/>
gewicht halten); das er- überwiegt bei K. (neben -ar-,<lb/>
nie ir-) bei N. &#x017F;cheinen er- und ir- gleich häufig und<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[818/0836] III. partikelcomp. — untr. part. mit verb. ſie ſich über die comp. mit verbis hinaus erſtreckt (z. b. die nhd. ent-gegen, ent-zwei erwachſen ohne zweifel aus in-gegen, in-zwei). [er-]; im goth. lautet dieſe part. beſtändig us- und nur vor anlautendem r aſſimiliert ſie ſich in ur-; ſpur ihrer trennbarkeit als bloßen adverbs (abgefehn von dem praepoſitionsfall) zeigt ſich noch Luc. 20, 25. in dazwiſchen- ſchiebung der part. nu: us nu gibiþ (reddite) für nu us-gibiþ oder us-gibiþ nu; vgl. uzuhïddja Joh. 16, 28. Ahd. ſchwan- ken ur-, ar-, ir-, er-, letzteres iſt = ër, und (wie fër ſtatt fir) ganz der alten lautregel gemäß, welche den vocal i vor r in ë (aí) wandelt, daher nicht der ſpätern verdünnung des auslautenden pi, zi in be, ze zu vergleichen. Der unbetontheit wegen ſchreibe ich jedoch er- (für ër-). Die form ir- ſcheint das i aus dem urſprünglichen is- feſter zu halten und ſteht dem ur- (für us-) parallel, welchem, im ahd. mindeſtens, kein or- zur ſeite ſteht. Dagegen berührt ſich ar- zunächſt mit dem â- (für as-) welches in dieſer mundart niemahls mit verbis compo- niert wird. Man kann nicht ſagen, daß eine der vier ahd. formen vor der andern etwas alterthümliches vor- aushabe, bloß daß ur- unter allen die ſeltenſte iſt. Sie begegnet bloß in der exhort., wo beide hſſ. ur-gëpan gewähren; hymn. 949. ur-tructê (ſobrii); Hild. ur-hêttun; ur-ſtiufit ker. 215. ur-witwid ker. 284; hauptſächlich aber monſ. 401-412, in den gl., welche genauer emm. citiert wer- den ſollten (bei Graff P. 34-52.) wo: ur-chuiſtan, ur-halôn, ur-hefan, ur-hokan, ur-nëſan, ur-rahhôn, ur-ſceinan, ur- ſmâlîchên, ur-ſpurjan, ur-wahhên, ur-welchên, ur-wur- zôn, nur fragt ſich, ob die hſ. nicht etwan ar- leſe? da in dieſen gl. emm. zugleich ar-gëpan, ar-hefan, ar-përan, ar-lëotan, ar-lougnan, ar-rachôn, ar-rechan, ar-fullan vorkommt, während die vorausgehenden gl. monſ. durch- gängig ir- ſetzen. Wo ſich in andern denkmählern ur- vor verbis findet, liegen nomina zu grund; ſo rührt zwar ur-ſuochâri monſ. 326. ur-ſuahhida K. von ur-ſuoh- han her, dieſes aber von ur-ſuoh (vgl. ur-ſuochenôt N. Boeth. 246. mit betontem úr-); ur-druƷeda N. 118, 53. von ur-druƷi; ur-teilida K. 53b monſ. 401. ur-teilda N. 16, 2. von ur-teilan und dieſes von ur-teili. Die ar-form zeigt ſich in J. T. ſgall. jun. emm. etc. (nie monſ. bis 401; nie bei O. und N.), neben ar- mehr oder minder er-, zumeiſt jun. (wo ar- und er- ſich beinahe gleich- gewicht halten); das er- überwiegt bei K. (neben -ar-, nie ir-) bei N. ſcheinen er- und ir- gleich häufig und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/836
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 818. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/836>, abgerufen am 25.11.2024.