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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. adj. eigentl. comp. -- adj. mit verb.
älteren deutschen sprache bei den verbis aestimare, du-
cere, dicere, judicare etc. angemeßen war. Bei sprechen
stehet z. b. meist der acc. der person, auf welche das adj.
geht (liberum pronuntiare) bei ahten ein auf die person
des achtenden bezügliches adv. oder ein auf den gegen-
stand gerichtetes adj. Nur fällt grade in wörtern, die
hier in erwägung kommen, schon in frühster zeit die
form des adv. mit der des adj. neutr. zusammen, z. b.
das goth. leitil, ahd. luzil bedeuten bald parum (adv.)
bald parvum, modicum (adj.). Ist also luzil ahton (pa-
rum aestimare) oder luzil ahton (modicum judicare) oder
eigentlich componiert luzil-ahton (parvipendere) recht?
den umständen nach wohl jedes derselben und für eig.
zus. setzung beweist auch das lat. wort. Citate stehen s. 674.


II. adjectivische uneigentliche composition (s. 624.)

tritt ein, wenn das erste wort adj. flexion zeigt, die mit
in die zus. setzung aufgenommen worden ist.

1) geschieht dies organischerweise, d. h. ohne daß die
construction widersträubt, so wird entw. das adj. die stelle
eines subst. vertreten, z. b. im nnl. nieus-gierig (novi
cupidus), welches die niederhess. volksmundart wie neu-
schierig ausspricht; oder es ist hinter dem adj. ein subst.
ausgelaßen. Dahin gehört vornämlich die häufige, vor
dem superlativ stehende formel aller-, z. b. nhd. aller-
liebst, aller-schönst (omnium carissimus, pulcherrimus).
Das subst., von dem die rede ist, wird hinzugedacht, die
aller-liebste frau heißt: die liebste unter allen frauen, die
liebste aller frauen. In der goth. sprache, der einzigen
unter den deutschen, die im gen. pl. geschlechter schei-
det, würde daher bald allaize stehen, bald allaizo, sicher
aber uncomponiert, z. b. allaize (manne) batists, allaizo
(qvinono) batista; allaize aftumists (panton eskhatos) Marc.
9, 35. Ahd. durchgängig allero und wiederum unver-
bunden: allero odhmuodigosto (humillimus) J. 375. allero
meist (omnium maxime, magnopere) K. 35a 38b O. V. 12,
181. allero hartost N. 33, 22; allero ebenesto N. Boeth. 219.
zuweilen wird das subst. dabei gesetzt: allero weibo zeißosta
(so die Freisinger Handschr.) O. I. 5, 32. aller goldo beßesta
W. 5, 11. bedeutet was: allero zeißostaß weip, aller beßestaß
gold. Ags. ealra leofost (dilectissimus) ealra svidost (for-
tissimus); altn. allra flestir (omnium plurimi) edd. saem.

III. adj. eigentl. comp. — adj. mit verb.
älteren deutſchen ſprache bei den verbis aeſtimare, du-
cere, dicere, judicare etc. angemeßen war. Bei ſprëchen
ſtehet z. b. meiſt der acc. der perſon, auf welche das adj.
geht (liberum pronuntiare) bei ahten ein auf die perſon
des achtenden bezügliches adv. oder ein auf den gegen-
ſtand gerichtetes adj. Nur fällt grade in wörtern, die
hier in erwägung kommen, ſchon in frühſter zeit die
form des adv. mit der des adj. neutr. zuſammen, z. b.
das goth. leitil, ahd. luzil bedeuten bald parum (adv.)
bald parvum, modicum (adj.). Iſt alſo luzil ahtôn (pa-
rum aeſtimare) oder luzil ahtôn (modicum judicare) oder
eigentlich componiert luzil-ahtôn (parvipendere) recht?
den umſtänden nach wohl jedes derſelben und für eig.
zuſ. ſetzung beweiſt auch das lat. wort. Citate ſtehen ſ. 674.


II. adjectiviſche uneigentliche compoſition (ſ. 624.)

tritt ein, wenn das erſte wort adj. flexion zeigt, die mit
in die zuſ. ſetzung aufgenommen worden iſt.

1) geſchieht dies organiſcherweiſe, d. h. ohne daß die
conſtruction widerſträubt, ſo wird entw. das adj. die ſtelle
eines ſubſt. vertreten, z. b. im nnl. nieus-gierig (novi
cupidus), welches die niederheſſ. volksmundart wie neu-
ſchierig ausſpricht; oder es iſt hinter dem adj. ein ſubſt.
ausgelaßen. Dahin gehört vornämlich die häufige, vor
dem ſuperlativ ſtehende formel aller-, z. b. nhd. aller-
liebſt, aller-ſchönſt (omnium cariſſimus, pulcherrimus).
Das ſubſt., von dem die rede iſt, wird hinzugedacht, die
aller-liebſte frau heißt: die liebſte unter allen frauen, die
liebſte aller frauen. In der goth. ſprache, der einzigen
unter den deutſchen, die im gen. pl. geſchlechter ſchei-
det, würde daher bald alláizê ſtehen, bald alláizô, ſicher
aber uncomponiert, z. b. alláizê (manne) batiſts, alláizô
(qvinônô) batiſta; alláizê aftumiſts (πάντων ἔσχατος) Marc.
9, 35. Ahd. durchgängig allêrô und wiederum unver-
bunden: allêrô ôdhmuodigôſto (humillimus) J. 375. allêrô
meiſt (omnium maxime, magnopere) K. 35a 38b O. V. 12,
181. allero hartôſt N. 33, 22; allero ëbeneſto N. Boeth. 219.
zuweilen wird das ſubſt. dabei geſetzt: allêrô wîbô zeiƷôſta
(ſo die Freiſinger Handſchr.) O. I. 5, 32. aller goldo beƷƷeſta
W. 5, 11. bedeutet was: allêrô zeiƷôſtaƷ wîp, aller beƷƷeſtaƷ
gold. Agſ. ëalra lëófoſt (dilectiſſimus) ëalra ſviðoſt (for-
tiſſimus); altn. allra flêſtir (omnium plurimi) edd. ſæm.

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[676/0694] III. adj. eigentl. comp. — adj. mit verb. älteren deutſchen ſprache bei den verbis aeſtimare, du- cere, dicere, judicare etc. angemeßen war. Bei ſprëchen ſtehet z. b. meiſt der acc. der perſon, auf welche das adj. geht (liberum pronuntiare) bei ahten ein auf die perſon des achtenden bezügliches adv. oder ein auf den gegen- ſtand gerichtetes adj. Nur fällt grade in wörtern, die hier in erwägung kommen, ſchon in frühſter zeit die form des adv. mit der des adj. neutr. zuſammen, z. b. das goth. leitil, ahd. luzil bedeuten bald parum (adv.) bald parvum, modicum (adj.). Iſt alſo luzil ahtôn (pa- rum aeſtimare) oder luzil ahtôn (modicum judicare) oder eigentlich componiert luzil-ahtôn (parvipendere) recht? den umſtänden nach wohl jedes derſelben und für eig. zuſ. ſetzung beweiſt auch das lat. wort. Citate ſtehen ſ. 674. II. adjectiviſche uneigentliche compoſition (ſ. 624.) tritt ein, wenn das erſte wort adj. flexion zeigt, die mit in die zuſ. ſetzung aufgenommen worden iſt. 1) geſchieht dies organiſcherweiſe, d. h. ohne daß die conſtruction widerſträubt, ſo wird entw. das adj. die ſtelle eines ſubſt. vertreten, z. b. im nnl. nieus-gierig (novi cupidus), welches die niederheſſ. volksmundart wie neu- ſchierig ausſpricht; oder es iſt hinter dem adj. ein ſubſt. ausgelaßen. Dahin gehört vornämlich die häufige, vor dem ſuperlativ ſtehende formel aller-, z. b. nhd. aller- liebſt, aller-ſchönſt (omnium cariſſimus, pulcherrimus). Das ſubſt., von dem die rede iſt, wird hinzugedacht, die aller-liebſte frau heißt: die liebſte unter allen frauen, die liebſte aller frauen. In der goth. ſprache, der einzigen unter den deutſchen, die im gen. pl. geſchlechter ſchei- det, würde daher bald alláizê ſtehen, bald alláizô, ſicher aber uncomponiert, z. b. alláizê (manne) batiſts, alláizô (qvinônô) batiſta; alláizê aftumiſts (πάντων ἔσχατος) Marc. 9, 35. Ahd. durchgängig allêrô und wiederum unver- bunden: allêrô ôdhmuodigôſto (humillimus) J. 375. allêrô meiſt (omnium maxime, magnopere) K. 35a 38b O. V. 12, 181. allero hartôſt N. 33, 22; allero ëbeneſto N. Boeth. 219. zuweilen wird das ſubſt. dabei geſetzt: allêrô wîbô zeiƷôſta (ſo die Freiſinger Handſchr.) O. I. 5, 32. aller goldo beƷƷeſta W. 5, 11. bedeutet was: allêrô zeiƷôſtaƷ wîp, aller beƷƷeſtaƷ gold. Agſ. ëalra lëófoſt (dilectiſſimus) ëalra ſviðoſt (for- tiſſimus); altn. allra flêſtir (omnium plurimi) edd. ſæm.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 676. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/694>, abgerufen am 23.11.2024.