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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit verb.
von welchen er auch das praes. ind. ek fot-tred, hand-
hef, lög-byd, lög-tek, kne-kryp ansetzt. In der edda
kenne ich keine solche form und es fragt sich, ob sie
nicht überhaupt die lexicographen aus dem unleugbaren
inf. oder part. praet. erfunden haben? es käme auf be-
lege für das praes. und praet. ind. aus guten denkmäh-
lern an. Unorganisch scheinen diese composita auf jeden
fall, fehlen auch gänzlich den übrigen dialecten. Gibt
man sie aber als ausnahme zu, so dürfen einzelne der
vorhin genannten substantivisch componierten altn. verba,
denen sich kein zu grunde liegendes nomen nachweisen
läßt, hierher gerechnet werden, z. b. vard-veita.

II) zusammensetzung mit dem part. praes. (st. oder
schw. conj.).

In seiner adjectivischen eigenschaft kann dieses part.
gleich jedem andern adj., eigentlich componiert werden;
seiner verbalen natur wegen hat es aber auch mehr be-
fugnis, wirkliche casus zu regieren, als irgend ein bloßes
nomen, dem noch verbaler ursprung eingeprägt ist, z. b.
im ahd. chint peranti ist der leibliche acc. statthafter als
in chneht-pera, arunt-poro, danch-pari, welche s. 487.
557. mit recht zu den wahren comp. gerechnet worden
sind. Neben chint peranti muß nun wohl chint-peranti
d. i. chinta-peranti zuläßig sein; compositionsvocale wür-
den uns in früheren denkmählern allen zweifel lösen.
Wo sie fehlen, können nur andere gründe, hauptsäch-
lich der syntax, für oder wider die zusammensetzung
entscheiden. Ich bin geneigt eine solche anzunehmen,
theils wenn die rection einen andern casus fordert, als
den acc. (bei wesanti, vesende, existens würde sich der
casus nach dem subject des satzes richten und selbst der
nom. sein können) theils je mehr sich das part. durch
öfteren gebrauch zu einer bloßen formel bildet. Von
selbst aber versteht es sich, daß keine zus. setzung mit
dem part. praes. auf andere modos und tempora zu
schließen berechtigt.

Im goth. garda-valdands (oikodespotes) blotha-rinnan-
dei (aimoRRoousa) Matth. 9, 20. scheint a der compositions-
vocal, garda nicht oik;o, blotha nicht aimati; hingegen
Joh. 15, 2. übersetzt akran bairando (neutr.) den acc. kar-
pon pheron
) und das eigentl. comp. würde akrana-bairando
(karpophoreon) verlangen nach analogie von akrana-laus.
-- Ahd. belege mit haftendem comp. vocal stehen mir
nicht zu gebot, denkbar wären weka-weisonti, maka-pe-

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb.
von welchen er auch das praeſ. ind. ëk fôt-trëd, hand-
hef, lög-bŷd, lög-tek, knê-krŷp anſetzt. In der edda
kenne ich keine ſolche form und es fragt ſich, ob ſie
nicht überhaupt die lexicographen aus dem unleugbaren
inf. oder part. praet. erfunden haben? es käme auf be-
lege für das praeſ. und praet. ind. aus guten denkmäh-
lern an. Unorganiſch ſcheinen dieſe compoſita auf jeden
fall, fehlen auch gänzlich den übrigen dialecten. Gibt
man ſie aber als ausnahme zu, ſo dürfen einzelne der
vorhin genannten ſubſtantiviſch componierten altn. verba,
denen ſich kein zu grunde liegendes nomen nachweiſen
läßt, hierher gerechnet werden, z. b. vard-veita.

II) zuſammenſetzung mit dem part. praeſ. (ſt. oder
ſchw. conj.).

In ſeiner adjectiviſchen eigenſchaft kann dieſes part.
gleich jedem andern adj., eigentlich componiert werden;
ſeiner verbalen natur wegen hat es aber auch mehr be-
fugnis, wirkliche caſus zu regieren, als irgend ein bloßes
nomen, dem noch verbaler urſprung eingeprägt iſt, z. b.
im ahd. chint përanti iſt der leibliche acc. ſtatthafter als
in chnëht-përa, arunt-poro, danch-pâri, welche ſ. 487.
557. mit recht zu den wahren comp. gerechnet worden
ſind. Neben chint përanti muß nun wohl chint-përanti
d. i. chinta-përanti zuläßig ſein; compoſitionsvocale wür-
den uns in früheren denkmählern allen zweifel löſen.
Wo ſie fehlen, können nur andere gründe, hauptſäch-
lich der ſyntax, für oder wider die zuſammenſetzung
entſcheiden. Ich bin geneigt eine ſolche anzunehmen,
theils wenn die rection einen andern caſus fordert, als
den acc. (bei wëſanti, vëſende, exiſtens würde ſich der
caſus nach dem ſubject des ſatzes richten und ſelbſt der
nom. ſein können) theils je mehr ſich das part. durch
öfteren gebrauch zu einer bloßen formel bildet. Von
ſelbſt aber verſteht es ſich, daß keine zuſ. ſetzung mit
dem part. praeſ. auf andere modos und tempora zu
ſchließen berechtigt.

Im goth. garda-valdands (οἰκοδεσπότης) blôþa-rinnan-
dei (αἱμοῤῥοοῦσα) Matth. 9, 20. ſcheint a der compoſitions-
vocal, garda nicht οἴκ;ῳ, blôþa nicht αἵματι; hingegen
Joh. 15, 2. überſetzt akran baírandô (neutr.) den acc. καρ-
πὸν φέρον
) und das eigentl. comp. würde akrana-baírandô
(καρποφορέον) verlangen nach analogie von akrana-láus.
— Ahd. belege mit haftendem comp. vocal ſtehen mir
nicht zu gebot, denkbar wären wëka-wîſônti, maka-pë-

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[588/0606] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit verb. von welchen er auch das praeſ. ind. ëk fôt-trëd, hand- hef, lög-bŷd, lög-tek, knê-krŷp anſetzt. In der edda kenne ich keine ſolche form und es fragt ſich, ob ſie nicht überhaupt die lexicographen aus dem unleugbaren inf. oder part. praet. erfunden haben? es käme auf be- lege für das praeſ. und praet. ind. aus guten denkmäh- lern an. Unorganiſch ſcheinen dieſe compoſita auf jeden fall, fehlen auch gänzlich den übrigen dialecten. Gibt man ſie aber als ausnahme zu, ſo dürfen einzelne der vorhin genannten ſubſtantiviſch componierten altn. verba, denen ſich kein zu grunde liegendes nomen nachweiſen läßt, hierher gerechnet werden, z. b. vard-veita. II) zuſammenſetzung mit dem part. praeſ. (ſt. oder ſchw. conj.). In ſeiner adjectiviſchen eigenſchaft kann dieſes part. gleich jedem andern adj., eigentlich componiert werden; ſeiner verbalen natur wegen hat es aber auch mehr be- fugnis, wirkliche caſus zu regieren, als irgend ein bloßes nomen, dem noch verbaler urſprung eingeprägt iſt, z. b. im ahd. chint përanti iſt der leibliche acc. ſtatthafter als in chnëht-përa, arunt-poro, danch-pâri, welche ſ. 487. 557. mit recht zu den wahren comp. gerechnet worden ſind. Neben chint përanti muß nun wohl chint-përanti d. i. chinta-përanti zuläßig ſein; compoſitionsvocale wür- den uns in früheren denkmählern allen zweifel löſen. Wo ſie fehlen, können nur andere gründe, hauptſäch- lich der ſyntax, für oder wider die zuſammenſetzung entſcheiden. Ich bin geneigt eine ſolche anzunehmen, theils wenn die rection einen andern caſus fordert, als den acc. (bei wëſanti, vëſende, exiſtens würde ſich der caſus nach dem ſubject des ſatzes richten und ſelbſt der nom. ſein können) theils je mehr ſich das part. durch öfteren gebrauch zu einer bloßen formel bildet. Von ſelbſt aber verſteht es ſich, daß keine zuſ. ſetzung mit dem part. praeſ. auf andere modos und tempora zu ſchließen berechtigt. Im goth. garda-valdands (οἰκοδεσπότης) blôþa-rinnan- dei (αἱμοῤῥοοῦσα) Matth. 9, 20. ſcheint a der compoſitions- vocal, garda nicht οἴκ;ῳ, blôþa nicht αἵματι; hingegen Joh. 15, 2. überſetzt akran baírandô (neutr.) den acc. καρ- πὸν φέρον) und das eigentl. comp. würde akrana-baírandô (καρποφορέον) verlangen nach analogie von akrana-láus. — Ahd. belege mit haftendem comp. vocal ſtehen mir nicht zu gebot, denkbar wären wëka-wîſônti, maka-pë-

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 588. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/606>, abgerufen am 22.11.2024.