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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. eigentl. comp. -- subst. mit subst.
anders als den begriff des bloßen casus enthalte, scheint
also ein widerspruch, wenn hier dennoch versucht wird,
einige composita aus der bedeutung einzelner casus zu
erklären. Allein diese erklärung will, so wenig wie bei
der aus praepositionen und appositionen, nicht völlig zu-
treffen, sondern nur eine gewisse ähnlichkeit oder nähe-
rung behaupten. Ein merklicher unterschied besteht im-
mer zwischen einem mit dem wirklichen casus compo-
nierten subst. und einem, wie bei allen eigentlichen zu-
sammensetzungen durch den compositionsvocal verbund-
nen, das sich gleichsam nur in jenes casusverhältnis
übersetzen läßt. Dort liegt der form die leibhafte flexion
zu grunde, hier der verbindende vocal; dort wird auch
die bedeutung schärser, bestimmter, hier allgemeiner
sein. Indessen streifen beide bedeutungen aneinander und
oft componiert die eine mundart uneigentlich, was die
andere eigentlich. Formell würden sich beide fälle frei-
lich unterscheiden, wenn alle beispiele aus dem ältesten
stand der sprache, d. h. mit unabgeschliffner casusflexion
und haftendem compositionsvocal zu schöpfen wären.
Später aber wird es oft zweifelhaft, welches von beiden
verloren und in gedanken zu ergänzen ist. Die hier
in erwägung kommenden casus sind der instrum. gen.
und acc.

1) aus dem bloßen instrumentalis deuten sich alle
vorhin s. 437. bei der praep. mit (unter a.) angeführten
composita, da die älteste sprache das zum grund liegende
verbum mit dem subst. ohne praep. construiert.

2) genitivisch nehmen sich aus

a) verschiedne zus. setzungen, deren zweites wort die
begriffe laut, stimme, gesang enthält, das erste bestimmt
aber, von wo sie ausgehen. So sagen wir: natur-laut,
thier-stimme, vogel-stimme, vogel-sang und ahd. heißt
es han-chrat (f. hana-chrat) alts. hano-crad, ags. han-
craed. Hier ist praepositionelle oder appositionelle deu-
tung unpassend. Uneigentliche composition liegt ganz
nahe, aber die eigentliche wird angewandt, um bei häu-
fig vorkommender verbindung solcher wörter dem aus-
druck alle bestimmtheit zu benehmen. Ulf. übersetzt
Matth. 26, 75 prin alektora phonesai faur hanins hruk,
d. h. ohne zusammensetzung, wie auch Luther: ehe der
hahn krähen wird, in bestimmtem ausdruck. Daß aber
für eine allgemeinere zeitangabe die eigentl. composition
hana-chrat an der stelle sein wird, bezeugen die gr. und

III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt.
anders als den begriff des bloßen caſus enthalte, ſcheint
alſo ein widerſpruch, wenn hier dennoch verſucht wird,
einige compoſita aus der bedeutung einzelner caſus zu
erklären. Allein dieſe erklärung will, ſo wenig wie bei
der aus praepoſitionen und appoſitionen, nicht völlig zu-
treffen, ſondern nur eine gewiſſe ähnlichkeit oder nähe-
rung behaupten. Ein merklicher unterſchied beſteht im-
mer zwiſchen einem mit dem wirklichen caſus compo-
nierten ſubſt. und einem, wie bei allen eigentlichen zu-
ſammenſetzungen durch den compoſitionsvocal verbund-
nen, das ſich gleichſam nur in jenes caſusverhältnis
überſetzen läßt. Dort liegt der form die leibhafte flexion
zu grunde, hier der verbindende vocal; dort wird auch
die bedeutung ſchärſer, beſtimmter, hier allgemeiner
ſein. Indeſſen ſtreifen beide bedeutungen aneinander und
oft componiert die eine mundart uneigentlich, was die
andere eigentlich. Formell würden ſich beide fälle frei-
lich unterſcheiden, wenn alle beiſpiele aus dem älteſten
ſtand der ſprache, d. h. mit unabgeſchliffner caſusflexion
und haftendem compoſitionsvocal zu ſchöpfen wären.
Später aber wird es oft zweifelhaft, welches von beiden
verloren und in gedanken zu ergänzen iſt. Die hier
in erwägung kommenden caſus ſind der inſtrum. gen.
und acc.

1) aus dem bloßen inſtrumentalis deuten ſich alle
vorhin ſ. 437. bei der praep. mit (unter α.) angeführten
compoſita, da die älteſte ſprache das zum grund liegende
verbum mit dem ſubſt. ohne praep. conſtruiert.

2) genitiviſch nehmen ſich aus

a) verſchiedne zuſ. ſetzungen, deren zweites wort die
begriffe laut, ſtimme, geſang enthält, das erſte beſtimmt
aber, von wo ſie ausgehen. So ſagen wir: natur-laut,
thier-ſtimme, vogel-ſtimme, vogel-ſang und ahd. heißt
es han-chrât (f. hana-chrât) altſ. hano-crâd, agſ. han-
cræd. Hier iſt praepoſitionelle oder appoſitionelle deu-
tung unpaſſend. Uneigentliche compoſition liegt ganz
nahe, aber die eigentliche wird angewandt, um bei häu-
fig vorkommender verbindung ſolcher wörter dem aus-
druck alle beſtimmtheit zu benehmen. Ulf. überſetzt
Matth. 26, 75 πρὶν ἀλέκτορα φωνῆσαι faúr hanins hruk,
d. h. ohne zuſammenſetzung, wie auch Luther: ehe der
hahn krähen wird, in beſtimmtem ausdruck. Daß aber
für eine allgemeinere zeitangabe die eigentl. compoſition
hana-chrât an der ſtelle ſein wird, bezeugen die gr. und

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[444/0462] III. ſubſt. eigentl. comp. — ſubſt. mit ſubſt. anders als den begriff des bloßen caſus enthalte, ſcheint alſo ein widerſpruch, wenn hier dennoch verſucht wird, einige compoſita aus der bedeutung einzelner caſus zu erklären. Allein dieſe erklärung will, ſo wenig wie bei der aus praepoſitionen und appoſitionen, nicht völlig zu- treffen, ſondern nur eine gewiſſe ähnlichkeit oder nähe- rung behaupten. Ein merklicher unterſchied beſteht im- mer zwiſchen einem mit dem wirklichen caſus compo- nierten ſubſt. und einem, wie bei allen eigentlichen zu- ſammenſetzungen durch den compoſitionsvocal verbund- nen, das ſich gleichſam nur in jenes caſusverhältnis überſetzen läßt. Dort liegt der form die leibhafte flexion zu grunde, hier der verbindende vocal; dort wird auch die bedeutung ſchärſer, beſtimmter, hier allgemeiner ſein. Indeſſen ſtreifen beide bedeutungen aneinander und oft componiert die eine mundart uneigentlich, was die andere eigentlich. Formell würden ſich beide fälle frei- lich unterſcheiden, wenn alle beiſpiele aus dem älteſten ſtand der ſprache, d. h. mit unabgeſchliffner caſusflexion und haftendem compoſitionsvocal zu ſchöpfen wären. Später aber wird es oft zweifelhaft, welches von beiden verloren und in gedanken zu ergänzen iſt. Die hier in erwägung kommenden caſus ſind der inſtrum. gen. und acc. 1) aus dem bloßen inſtrumentalis deuten ſich alle vorhin ſ. 437. bei der praep. mit (unter α.) angeführten compoſita, da die älteſte ſprache das zum grund liegende verbum mit dem ſubſt. ohne praep. conſtruiert. 2) genitiviſch nehmen ſich aus a) verſchiedne zuſ. ſetzungen, deren zweites wort die begriffe laut, ſtimme, geſang enthält, das erſte beſtimmt aber, von wo ſie ausgehen. So ſagen wir: natur-laut, thier-ſtimme, vogel-ſtimme, vogel-ſang und ahd. heißt es han-chrât (f. hana-chrât) altſ. hano-crâd, agſ. han- cræd. Hier iſt praepoſitionelle oder appoſitionelle deu- tung unpaſſend. Uneigentliche compoſition liegt ganz nahe, aber die eigentliche wird angewandt, um bei häu- fig vorkommender verbindung ſolcher wörter dem aus- druck alle beſtimmtheit zu benehmen. Ulf. überſetzt Matth. 26, 75 πρὶν ἀλέκτορα φωνῆσαι faúr hanins hruk, d. h. ohne zuſammenſetzung, wie auch Luther: ehe der hahn krähen wird, in beſtimmtem ausdruck. Daß aber für eine allgemeinere zeitangabe die eigentl. compoſition hana-chrât an der ſtelle ſein wird, bezeugen die gr. und

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/462>, abgerufen am 20.05.2024.