Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

Bild:
<< vorherige Seite

III. substantivische eigentl. composition.
bloßen casusverhältnisses) auf ein zweites wort auszu-
drücken, gewährt ihr der vocal a. Dieser wird an das
von seiner flexion entblößte wort gefügt und dann ver-
bindet es sich mit dem zweiten. Jedes eigentliche com-
positum ist demnach ursprünglich wenigstens dreisilbig:
vein-a-tains, daur-a-vards, ich werde jedoch schreiben
veina-tains, daura-vards. Dieses a scheint, wiewohl es auch
in der flexion vorkommt, durchaus unflexivisch, denn
1) es soll einen andern begriff geben, als den einer
flexion; mit tains läßt sich weder der dat. sg., noch der
nom. acc. pl., die beide veina flectiert werden, vereinigt
denken. 2) im ahd. ändern sich die flexionen und den-
noch bleibt a compositionsvocal, z. b. ein weina-zein
dürste nur noch mit dem alten dat. sg. weina, später
weine verglichen werden, da der nom. acc. pl., wenn es
neutrum geblieben wäre, nur wein, wenn es masc. ge-
worden ist, weina haben würde. 3) das flexivische a,
oder der an seine stelle tretende vocal dauert länger,
als der compositionsvocal. 4) die urverwandten fremden
sprachen zeigen gleichfalls compositionsvocale (griech. o,
lat. i, slav. o), welche wiederum flexionsvocalen begeg-
nen, in der einzelnen anwendung sich aber deutlich als
etwas anderes darstellen, z. b. wie könnte das i in lani-
ger flexivisch sein, da lana in seiner ganzen decl. kein
-i zeigt? Nähere ausführung dieser wichtigen einstim-
mung folgt in einer schlußanmerk. dieses capitels.

Keiner der andern vocale wird zur composition ver-
wendet, namentlich i und u nicht, wie auch daraus
hervorgeht, daß späterhin, nachdem der vocal gewichen
ist, die composition an sich keinen umlaut des ersten
worts bewirkt *). Der grund aber, warum gerade das
a componiert, mag mit seiner ausschließung von der
reinvocalischen ableitung (s. 387.) zusammenhängen. Das
verhältnis zwischen den drei ursprünglichen vocalen
wird dadurch ausgeglichen und die unterscheidung der
ableitung von der composition fundamental bewerkstelligt.

Indessen darf nicht unerwähnt bleiben, daß, neben
dem a und für es, ein gleichbedeutiges compositionelles
o erscheint, das ich nicht aus ursprünglichem u herleite,
sondern als aus dem a entstellt betrachte, wie in den
wurzeln selbst a in o übertritt (1, 75. 85). Grade die äl-
testen deutschen sprachdenkmahle, die uns von Römern

*) der vocal des zweiten worts kann ihn wohl wirken.

III. ſubſtantiviſche eigentl. compoſition.
bloßen caſusverhältniſſes) auf ein zweites wort auszu-
drücken, gewährt ihr der vocal a. Dieſer wird an das
von ſeiner flexion entblößte wort gefügt und dann ver-
bindet es ſich mit dem zweiten. Jedes eigentliche com-
poſitum iſt demnach urſprünglich wenigſtens dreiſilbig:
vein-a-táins, daúr-a-vards, ich werde jedoch ſchreiben
veina-táins, daúra-vards. Dieſes a ſcheint, wiewohl es auch
in der flexion vorkommt, durchaus unflexiviſch, denn
1) es ſoll einen andern begriff geben, als den einer
flexion; mit táins läßt ſich weder der dat. ſg., noch der
nom. acc. pl., die beide veina flectiert werden, vereinigt
denken. 2) im ahd. ändern ſich die flexionen und den-
noch bleibt a compoſitionsvocal, z. b. ein wîna-zein
dürſte nur noch mit dem alten dat. ſg. wîna, ſpäter
wîne verglichen werden, da der nom. acc. pl., wenn es
neutrum geblieben wäre, nur wîn, wenn es maſc. ge-
worden iſt, wînâ haben würde. 3) das flexiviſche a,
oder der an ſeine ſtelle tretende vocal dauert länger,
als der compoſitionsvocal. 4) die urverwandten fremden
ſprachen zeigen gleichfalls compoſitionsvocale (griech. o,
lat. i, ſlav. o), welche wiederum flexionsvocalen begeg-
nen, in der einzelnen anwendung ſich aber deutlich als
etwas anderes darſtellen, z. b. wie könnte das i in lani-
ger flexiviſch ſein, da lana in ſeiner ganzen decl. kein
-i zeigt? Nähere ausführung dieſer wichtigen einſtim-
mung folgt in einer ſchlußanmerk. dieſes capitels.

Keiner der andern vocale wird zur compoſition ver-
wendet, namentlich i und u nicht, wie auch daraus
hervorgeht, daß ſpäterhin, nachdem der vocal gewichen
iſt, die compoſition an ſich keinen umlaut des erſten
worts bewirkt *). Der grund aber, warum gerade das
a componiert, mag mit ſeiner ausſchließung von der
reinvocaliſchen ableitung (ſ. 387.) zuſammenhängen. Das
verhältnis zwiſchen den drei urſprünglichen vocalen
wird dadurch ausgeglichen und die unterſcheidung der
ableitung von der compoſition fundamental bewerkſtelligt.

Indeſſen darf nicht unerwähnt bleiben, daß, neben
dem a und für es, ein gleichbedeutiges compoſitionelles
o erſcheint, das ich nicht aus urſprünglichem u herleite,
ſondern als aus dem a entſtellt betrachte, wie in den
wurzeln ſelbſt a in o übertritt (1, 75. 85). Grade die äl-
teſten deutſchen ſprachdenkmahle, die uns von Römern

*) der vocal des zweiten worts kann ihn wohl wirken.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0429" n="411"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">III. <hi rendition="#i">&#x017F;ub&#x017F;tantivi&#x017F;che eigentl. compo&#x017F;ition.</hi></hi></fw><lb/>
bloßen ca&#x017F;usverhältni&#x017F;&#x017F;es) auf ein zweites wort auszu-<lb/>
drücken, gewährt ihr der vocal <hi rendition="#i">a</hi>. Die&#x017F;er wird an das<lb/>
von &#x017F;einer flexion entblößte wort gefügt und dann ver-<lb/>
bindet es &#x017F;ich mit dem zweiten. Jedes eigentliche com-<lb/>
po&#x017F;itum i&#x017F;t demnach ur&#x017F;prünglich wenig&#x017F;tens <hi rendition="#i">drei&#x017F;ilbig:</hi><lb/>
vein-a-táins, daúr-a-vards, ich werde jedoch &#x017F;chreiben<lb/>
veina-táins, daúra-vards. Die&#x017F;es a &#x017F;cheint, wiewohl es auch<lb/>
in der flexion vorkommt, durchaus unflexivi&#x017F;ch, denn<lb/>
1) es &#x017F;oll einen andern begriff geben, als den einer<lb/>
flexion; mit táins läßt &#x017F;ich weder der dat. &#x017F;g., noch der<lb/>
nom. acc. pl., die beide veina flectiert werden, vereinigt<lb/>
denken. 2) im ahd. ändern &#x017F;ich die flexionen und den-<lb/>
noch bleibt a compo&#x017F;itionsvocal, z. b. ein wîna-zein<lb/>
dür&#x017F;te nur noch mit dem alten dat. &#x017F;g. wîna, &#x017F;päter<lb/>
wîne verglichen werden, da der nom. acc. pl., wenn es<lb/>
neutrum geblieben wäre, nur wîn, wenn es ma&#x017F;c. ge-<lb/>
worden i&#x017F;t, wînâ haben würde. 3) das flexivi&#x017F;che a,<lb/>
oder der an &#x017F;eine &#x017F;telle tretende vocal dauert länger,<lb/>
als der compo&#x017F;itionsvocal. 4) die urverwandten fremden<lb/>
&#x017F;prachen zeigen gleichfalls compo&#x017F;itionsvocale (griech. o,<lb/>
lat. i, &#x017F;lav. o), welche wiederum flexionsvocalen begeg-<lb/>
nen, in der einzelnen anwendung &#x017F;ich aber deutlich als<lb/>
etwas anderes dar&#x017F;tellen, z. b. wie könnte das i in lani-<lb/>
ger flexivi&#x017F;ch &#x017F;ein, da lana in &#x017F;einer ganzen decl. kein<lb/>
-i zeigt? Nähere ausführung die&#x017F;er wichtigen ein&#x017F;tim-<lb/>
mung folgt in einer &#x017F;chlußanmerk. die&#x017F;es capitels.</p><lb/>
              <p>Keiner der andern vocale wird zur compo&#x017F;ition ver-<lb/>
wendet, namentlich i und u nicht, wie auch daraus<lb/>
hervorgeht, daß &#x017F;päterhin, nachdem der vocal gewichen<lb/>
i&#x017F;t, die compo&#x017F;ition an &#x017F;ich keinen umlaut des er&#x017F;ten<lb/>
worts bewirkt <note place="foot" n="*)">der vocal des zweiten worts kann ihn wohl wirken.</note>. Der grund aber, warum gerade das<lb/>
a componiert, mag mit &#x017F;einer aus&#x017F;chließung von der<lb/>
reinvocali&#x017F;chen ableitung (&#x017F;. 387.) zu&#x017F;ammenhängen. Das<lb/>
verhältnis zwi&#x017F;chen den drei ur&#x017F;prünglichen vocalen<lb/>
wird dadurch ausgeglichen und die unter&#x017F;cheidung der<lb/>
ableitung von der compo&#x017F;ition fundamental bewerk&#x017F;telligt.</p><lb/>
              <p>Inde&#x017F;&#x017F;en darf nicht unerwähnt bleiben, daß, neben<lb/>
dem a und für es, ein gleichbedeutiges compo&#x017F;itionelles<lb/><hi rendition="#i">o</hi> er&#x017F;cheint, das ich nicht aus ur&#x017F;prünglichem u herleite,<lb/>
&#x017F;ondern als aus dem <hi rendition="#i">a</hi> ent&#x017F;tellt betrachte, wie in den<lb/>
wurzeln &#x017F;elb&#x017F;t a in o übertritt (1, 75. 85). Grade die äl-<lb/>
te&#x017F;ten deut&#x017F;chen &#x017F;prachdenkmahle, die uns von Römern<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[411/0429] III. ſubſtantiviſche eigentl. compoſition. bloßen caſusverhältniſſes) auf ein zweites wort auszu- drücken, gewährt ihr der vocal a. Dieſer wird an das von ſeiner flexion entblößte wort gefügt und dann ver- bindet es ſich mit dem zweiten. Jedes eigentliche com- poſitum iſt demnach urſprünglich wenigſtens dreiſilbig: vein-a-táins, daúr-a-vards, ich werde jedoch ſchreiben veina-táins, daúra-vards. Dieſes a ſcheint, wiewohl es auch in der flexion vorkommt, durchaus unflexiviſch, denn 1) es ſoll einen andern begriff geben, als den einer flexion; mit táins läßt ſich weder der dat. ſg., noch der nom. acc. pl., die beide veina flectiert werden, vereinigt denken. 2) im ahd. ändern ſich die flexionen und den- noch bleibt a compoſitionsvocal, z. b. ein wîna-zein dürſte nur noch mit dem alten dat. ſg. wîna, ſpäter wîne verglichen werden, da der nom. acc. pl., wenn es neutrum geblieben wäre, nur wîn, wenn es maſc. ge- worden iſt, wînâ haben würde. 3) das flexiviſche a, oder der an ſeine ſtelle tretende vocal dauert länger, als der compoſitionsvocal. 4) die urverwandten fremden ſprachen zeigen gleichfalls compoſitionsvocale (griech. o, lat. i, ſlav. o), welche wiederum flexionsvocalen begeg- nen, in der einzelnen anwendung ſich aber deutlich als etwas anderes darſtellen, z. b. wie könnte das i in lani- ger flexiviſch ſein, da lana in ſeiner ganzen decl. kein -i zeigt? Nähere ausführung dieſer wichtigen einſtim- mung folgt in einer ſchlußanmerk. dieſes capitels. Keiner der andern vocale wird zur compoſition ver- wendet, namentlich i und u nicht, wie auch daraus hervorgeht, daß ſpäterhin, nachdem der vocal gewichen iſt, die compoſition an ſich keinen umlaut des erſten worts bewirkt *). Der grund aber, warum gerade das a componiert, mag mit ſeiner ausſchließung von der reinvocaliſchen ableitung (ſ. 387.) zuſammenhängen. Das verhältnis zwiſchen den drei urſprünglichen vocalen wird dadurch ausgeglichen und die unterſcheidung der ableitung von der compoſition fundamental bewerkſtelligt. Indeſſen darf nicht unerwähnt bleiben, daß, neben dem a und für es, ein gleichbedeutiges compoſitionelles o erſcheint, das ich nicht aus urſprünglichem u herleite, ſondern als aus dem a entſtellt betrachte, wie in den wurzeln ſelbſt a in o übertritt (1, 75. 85). Grade die äl- teſten deutſchen ſprachdenkmahle, die uns von Römern *) der vocal des zweiten worts kann ihn wohl wirken.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/429
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/429>, abgerufen am 25.11.2024.