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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. zusammensetzung. vorbemerkungen.
dunkel; auf jenen fällt der stärkste ton, auf diesen ein
schwacher oder gar keiner, ja sein vocal kann mangeln
und wegfallen; die ableitenden buchstaben bestimmen die
wurzel näher, womit sie verwachsen. Bei der composi-
tion ist das zweite wort hauptsache, das erste gereicht
bloß zu seiner bestimmung, beide sind deutlich und be-
tont. b) löst man die ableitung ab, so hinterbleibt oft
eine dunkle wurzel, z. b. in him-il, vog-al; jedes aufge-
löste compositum gewährt aber zwei deutliche, d. h. ein
him-schaft, vog-schaft u. dgl. wären unmöglich. Hatten
nun jene ableitungen, zur zeit ihres entstehens, gleich-
falls deutliche wurzeln, so folgt, daß das princip der de-
rivation älter, als das der composition sei. Die compo-
sita gleichen in dieser rücksicht den fühlbaren ableitun-
gen, die an lebendigen wurzeln haften. g) zwischen
wurzel und ableitung darf sich keine flexion drängen
(seltne ausnahmen vorhin s. 391.), eine ganze classe von
composition beruht aber auf flexion des ersten worts. --
Dieser verschiedenheit ungeachtet berühren sich dennoch
in zwei fällen ableitung und composition: a) gewisse ab-
leitungen durch vorschiebung unorg. consonanten gewin-
nen wurzelhaften schein, folglich den des zweiten worts
der composition, dahin gehören -lein, -ling, -nadr, -muot,
zweiconsonantische auch ohne solche vorschiebung z. b.
-atta, -aung, -aeska. b) umgekekrt werden durch ein-
buße ihrer spirans die zweiten theile wahrer composita
zur bloßen ableitung, indem sie bedeutung, oft auch be-
tonung aufgeben, namentlich -olf, -ard, -ald, im nnl.
-acht f. -hacht (s. 404.) und vielleicht noch andere. c)
dasselbe ereignet sich bei einzelnen wörtern dadurch, daß
dem letzten theil der ton entzogen wird. Das mhd.
iemen, niemen sieht aus wie iem-en, niem-en, da es doch
aus ie-man, nie-man entspringt (1, 369.); das nhd. drit-
tel, viertel, fünftel etc. ist nicht dritt-el, sondern drit-teil.
Mehr dergleichen erlauben sich volksdialecte, z. b. wolsel
f. wol-feil, nachber f. nach-bar, hensche (dän. hanfke) f.
hand-schuh, wingert f. wein-garte, kirmes f. kirch-messe.
d) geläufige compositionsformeln, wenn auch äußerlich
unentstellt bleibend und den ton haltend, geben ihre le-
bendige bedeutung auf und nehmen den allgemeinern
sinn einer bloßen ableitung an, z. b. die nhd. -schaft.
-heit, -lich etc.

6) hauptaugenmerk in der lehre von der composition
ist es, die eigentliche von der uneigentlichen zu unter-
scheiden. Zweck der zusammensetzung scheint zu sein.

III. zuſammenſetzung. vorbemerkungen.
dunkel; auf jenen fällt der ſtärkſte ton, auf dieſen ein
ſchwacher oder gar keiner, ja ſein vocal kann mangeln
und wegfallen; die ableitenden buchſtaben beſtimmen die
wurzel näher, womit ſie verwachſen. Bei der compoſi-
tion iſt das zweite wort hauptſache, das erſte gereicht
bloß zu ſeiner beſtimmung, beide ſind deutlich und be-
tont. β) löſt man die ableitung ab, ſo hinterbleibt oft
eine dunkle wurzel, z. b. in him-il, vog-al; jedes aufge-
löſte compoſitum gewährt aber zwei deutliche, d. h. ein
him-ſchaft, vog-ſchaft u. dgl. wären unmöglich. Hatten
nun jene ableitungen, zur zeit ihres entſtehens, gleich-
falls deutliche wurzeln, ſo folgt, daß das princip der de-
rivation älter, als das der compoſition ſei. Die compo-
ſita gleichen in dieſer rückſicht den fühlbaren ableitun-
gen, die an lebendigen wurzeln haften. γ) zwiſchen
wurzel und ableitung darf ſich keine flexion drängen
(ſeltne ausnahmen vorhin ſ. 391.), eine ganze claſſe von
compoſition beruht aber auf flexion des erſten worts. —
Dieſer verſchiedenheit ungeachtet berühren ſich dennoch
in zwei fällen ableitung und compoſition: a) gewiſſe ab-
leitungen durch vorſchiebung unorg. conſonanten gewin-
nen wurzelhaften ſchein, folglich den des zweiten worts
der compoſition, dahin gehören -lîn, -ling, -naðr, -muot,
zweiconſonantiſche auch ohne ſolche vorſchiebung z. b.
-âtta, -ûng, -æſka. b) umgekekrt werden durch ein-
buße ihrer ſpirans die zweiten theile wahrer compoſita
zur bloßen ableitung, indem ſie bedeutung, oft auch be-
tonung aufgeben, namentlich -olf, -ard, -ald, im nnl.
-acht f. -hacht (ſ. 404.) und vielleicht noch andere. c)
daſſelbe ereignet ſich bei einzelnen wörtern dadurch, daß
dem letzten theil der ton entzogen wird. Das mhd.
iemen, niemen ſieht aus wie iem-en, niem-en, da es doch
aus ie-man, nie-man entſpringt (1, 369.); das nhd. drit-
tel, viertel, fünftel etc. iſt nicht dritt-el, ſondern drit-teil.
Mehr dergleichen erlauben ſich volksdialecte, z. b. wolſel
f. wol-feil, nachber f. nach-bar, henſche (dän. hanfke) f.
hand-ſchuh, wingert f. wîn-garte, kirmes f. kirch-meſſe.
d) geläufige compoſitionsformeln, wenn auch äußerlich
unentſtellt bleibend und den ton haltend, geben ihre le-
bendige bedeutung auf und nehmen den allgemeinern
ſinn einer bloßen ableitung an, z. b. die nhd. -ſchaft.
-heit, -lich etc.

6) hauptaugenmerk in der lehre von der compoſition
iſt es, die eigentliche von der uneigentlichen zu unter-
ſcheiden. Zweck der zuſammenſetzung ſcheint zu ſein.

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[407/0425] III. zuſammenſetzung. vorbemerkungen. dunkel; auf jenen fällt der ſtärkſte ton, auf dieſen ein ſchwacher oder gar keiner, ja ſein vocal kann mangeln und wegfallen; die ableitenden buchſtaben beſtimmen die wurzel näher, womit ſie verwachſen. Bei der compoſi- tion iſt das zweite wort hauptſache, das erſte gereicht bloß zu ſeiner beſtimmung, beide ſind deutlich und be- tont. β) löſt man die ableitung ab, ſo hinterbleibt oft eine dunkle wurzel, z. b. in him-il, vog-al; jedes aufge- löſte compoſitum gewährt aber zwei deutliche, d. h. ein him-ſchaft, vog-ſchaft u. dgl. wären unmöglich. Hatten nun jene ableitungen, zur zeit ihres entſtehens, gleich- falls deutliche wurzeln, ſo folgt, daß das princip der de- rivation älter, als das der compoſition ſei. Die compo- ſita gleichen in dieſer rückſicht den fühlbaren ableitun- gen, die an lebendigen wurzeln haften. γ) zwiſchen wurzel und ableitung darf ſich keine flexion drängen (ſeltne ausnahmen vorhin ſ. 391.), eine ganze claſſe von compoſition beruht aber auf flexion des erſten worts. — Dieſer verſchiedenheit ungeachtet berühren ſich dennoch in zwei fällen ableitung und compoſition: a) gewiſſe ab- leitungen durch vorſchiebung unorg. conſonanten gewin- nen wurzelhaften ſchein, folglich den des zweiten worts der compoſition, dahin gehören -lîn, -ling, -naðr, -muot, zweiconſonantiſche auch ohne ſolche vorſchiebung z. b. -âtta, -ûng, -æſka. b) umgekekrt werden durch ein- buße ihrer ſpirans die zweiten theile wahrer compoſita zur bloßen ableitung, indem ſie bedeutung, oft auch be- tonung aufgeben, namentlich -olf, -ard, -ald, im nnl. -acht f. -hacht (ſ. 404.) und vielleicht noch andere. c) daſſelbe ereignet ſich bei einzelnen wörtern dadurch, daß dem letzten theil der ton entzogen wird. Das mhd. iemen, niemen ſieht aus wie iem-en, niem-en, da es doch aus ie-man, nie-man entſpringt (1, 369.); das nhd. drit- tel, viertel, fünftel etc. iſt nicht dritt-el, ſondern drit-teil. Mehr dergleichen erlauben ſich volksdialecte, z. b. wolſel f. wol-feil, nachber f. nach-bar, henſche (dän. hanfke) f. hand-ſchuh, wingert f. wîn-garte, kirmes f. kirch-meſſe. d) geläufige compoſitionsformeln, wenn auch äußerlich unentſtellt bleibend und den ton haltend, geben ihre le- bendige bedeutung auf und nehmen den allgemeinern ſinn einer bloßen ableitung an, z. b. die nhd. -ſchaft. -heit, -lich etc. 6) hauptaugenmerk in der lehre von der compoſition iſt es, die eigentliche von der uneigentlichen zu unter- ſcheiden. Zweck der zuſammenſetzung ſcheint zu ſein.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/425>, abgerufen am 25.11.2024.