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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. von der ableilung im allgemeinen.

2) man kann die flexion, d. h. die dem verbum an-
wachsende pronominalform, die dem nomen anwachsen-
den geschlechtszeichen und partikeln strenge genommen
nicht vom begriffe der wortbildung *) ausschließen. Auch
durch sie wird die wurzel gebildet und bestimmt; starke
verba, nomina erster und vierter decl. sind, in sofern
sie schon das princip der flexion erfahren, keine ein-
fachen wurzeln mehr. Niemand wird jedoch, wenn das
verbum selbst grund und stamm alles übrigen ist, z. b.
das -a in nim-a (capio) eine ableitung nennen. Eher
würde man dag-s (dies) nam-o (nomen) für aus den
verbis dagan, niman abgeleitet erklären. Sie sind daraus
gebildet, aber ohne ableitungsbuchstaben, folglich un-
abgeleitet. Einfache wurzelbildungen oder wörter kön-
nen alle solche heißen, in denen keine ableitung waltet.
Da nun in der schwachen conjugation durchgängig, in
der zweiten und dritten (starken oder schwachen) de-
clination eben so durchgängig ableitung eintritt; so
darf man nur in der starken conj. und in den ersten
und vierten declinationen einfache wörter suchen,
nicht aber immer (weil auch in ihnen ableitungen
möglich sind) erwarten. Nicht selten mischen sich vo-
calische ableitung und vocal der flexion, welches die
richtige erkenntnis beider erschwert; beispiele sind in
dem vorigen buche zu finden (vgl. nachher die langvo-
calischen ableitungen).

3) die ableitung unterscheidet sich von der zusam-
mensetzung
(cap. III.): a) letztere verbindet zwei leben-
dige oder doch deutliche wurzeln miteinander; die ab-
leitende vermehrung ist zwar nicht bedeutungslos, aber
für sich betrachtet unselbständig, undeutlich. Ob auch
die ableitung eine allmählig entstellte, verdunkelte wurzel
sei? läßt sich fragen und wenigstens bei der rein kurz-
vocalischen kaum begreifen. b) ableitung tritt unmittel-
bar an die wurzel oder an eine vorausgehende ableitung,

*) die flexion des nomens oder die declinationsform enthält
im nom. das bloße geschlechtskennzeichen, das sich in den ob-
liquen casus mit partikeln mengt. Das geschlechtszeichen scheint
ursprünglich jedem unabgeleiteten oder abgeleiteten nomen zuzu-
stehen, fällt also bei seiner allgemeinheit mit den ihm vorausge-
henden ableitungsbuchstaben durchaus nicht in eine linie. Daß
die 1, 817 ff. vorgetragene hypothese vom ursprung der schw.
form hier unberücksichtigt bleiben muß, versteht sich.
III. von der ableilung im allgemeinen.

2) man kann die flexion, d. h. die dem verbum an-
wachſende pronominalform, die dem nomen anwachſen-
den geſchlechtszeichen und partikeln ſtrenge genommen
nicht vom begriffe der wortbildung *) ausſchließen. Auch
durch ſie wird die wurzel gebildet und beſtimmt; ſtarke
verba, nomina erſter und vierter decl. ſind, in ſofern
ſie ſchon das princip der flexion erfahren, keine ein-
fachen wurzeln mehr. Niemand wird jedoch, wenn das
verbum ſelbſt grund und ſtamm alles übrigen iſt, z. b.
das -a in nim-a (capio) eine ableitung nennen. Eher
würde man dag-s (dies) nam-ô (nomen) für aus den
verbis dagan, niman abgeleitet erklären. Sie ſind daraus
gebildet, aber ohne ableitungsbuchſtaben, folglich un-
abgeleitet. Einfache wurzelbildungen oder wörter kön-
nen alle ſolche heißen, in denen keine ableitung waltet.
Da nun in der ſchwachen conjugation durchgängig, in
der zweiten und dritten (ſtarken oder ſchwachen) de-
clination eben ſo durchgängig ableitung eintritt; ſo
darf man nur in der ſtarken conj. und in den erſten
und vierten declinationen einfache wörter ſuchen,
nicht aber immer (weil auch in ihnen ableitungen
möglich ſind) erwarten. Nicht ſelten miſchen ſich vo-
caliſche ableitung und vocal der flexion, welches die
richtige erkenntnis beider erſchwert; beiſpiele ſind in
dem vorigen buche zu finden (vgl. nachher die langvo-
caliſchen ableitungen).

3) die ableitung unterſcheidet ſich von der zuſam-
menſetzung
(cap. III.): α) letztere verbindet zwei leben-
dige oder doch deutliche wurzeln miteinander; die ab-
leitende vermehrung iſt zwar nicht bedeutungslos, aber
für ſich betrachtet unſelbſtändig, undeutlich. Ob auch
die ableitung eine allmählig entſtellte, verdunkelte wurzel
ſei? läßt ſich fragen und wenigſtens bei der rein kurz-
vocaliſchen kaum begreifen. β) ableitung tritt unmittel-
bar an die wurzel oder an eine vorausgehende ableitung,

*) die flexion des nomens oder die declinationsform enthält
im nom. das bloße geſchlechtskennzeichen, das ſich in den ob-
liquen caſus mit partikeln mengt. Das geſchlechtszeichen ſcheint
urſprünglich jedem unabgeleiteten oder abgeleiteten nomen zuzu-
ſtehen, fällt alſo bei ſeiner allgemeinheit mit den ihm vorausge-
henden ableitungsbuchſtaben durchaus nicht in eine linie. Daß
die 1, 817 ff. vorgetragene hypotheſe vom urſprung der ſchw.
form hier unberückſichtigt bleiben muß, verſteht ſich.
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[90/0108] III. von der ableilung im allgemeinen. 2) man kann die flexion, d. h. die dem verbum an- wachſende pronominalform, die dem nomen anwachſen- den geſchlechtszeichen und partikeln ſtrenge genommen nicht vom begriffe der wortbildung *) ausſchließen. Auch durch ſie wird die wurzel gebildet und beſtimmt; ſtarke verba, nomina erſter und vierter decl. ſind, in ſofern ſie ſchon das princip der flexion erfahren, keine ein- fachen wurzeln mehr. Niemand wird jedoch, wenn das verbum ſelbſt grund und ſtamm alles übrigen iſt, z. b. das -a in nim-a (capio) eine ableitung nennen. Eher würde man dag-s (dies) nam-ô (nomen) für aus den verbis dagan, niman abgeleitet erklären. Sie ſind daraus gebildet, aber ohne ableitungsbuchſtaben, folglich un- abgeleitet. Einfache wurzelbildungen oder wörter kön- nen alle ſolche heißen, in denen keine ableitung waltet. Da nun in der ſchwachen conjugation durchgängig, in der zweiten und dritten (ſtarken oder ſchwachen) de- clination eben ſo durchgängig ableitung eintritt; ſo darf man nur in der ſtarken conj. und in den erſten und vierten declinationen einfache wörter ſuchen, nicht aber immer (weil auch in ihnen ableitungen möglich ſind) erwarten. Nicht ſelten miſchen ſich vo- caliſche ableitung und vocal der flexion, welches die richtige erkenntnis beider erſchwert; beiſpiele ſind in dem vorigen buche zu finden (vgl. nachher die langvo- caliſchen ableitungen). 3) die ableitung unterſcheidet ſich von der zuſam- menſetzung (cap. III.): α) letztere verbindet zwei leben- dige oder doch deutliche wurzeln miteinander; die ab- leitende vermehrung iſt zwar nicht bedeutungslos, aber für ſich betrachtet unſelbſtändig, undeutlich. Ob auch die ableitung eine allmählig entſtellte, verdunkelte wurzel ſei? läßt ſich fragen und wenigſtens bei der rein kurz- vocaliſchen kaum begreifen. β) ableitung tritt unmittel- bar an die wurzel oder an eine vorausgehende ableitung, *) die flexion des nomens oder die declinationsform enthält im nom. das bloße geſchlechtskennzeichen, das ſich in den ob- liquen caſus mit partikeln mengt. Das geſchlechtszeichen ſcheint urſprünglich jedem unabgeleiteten oder abgeleiteten nomen zuzu- ſtehen, fällt alſo bei ſeiner allgemeinheit mit den ihm vorausge- henden ableitungsbuchſtaben durchaus nicht in eine linie. Daß die 1, 817 ff. vorgetragene hypotheſe vom urſprung der ſchw. form hier unberückſichtigt bleiben muß, verſteht ſich.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/108>, abgerufen am 23.11.2024.