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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. laut u. ablaut. schlußbemerkungen.
ran, nr. 474. aban, nr. 480. fadan, nr. 549. fisan etc. so
wie die anomalen tugan, kunnan, magan mit ihren vie-
len sich berührenden bildungen, namentlich den wörtern
für die begriffe: vater, sohn, tochter, kind, eltern; für
die nährenden, zeugenden leibestheile, als mago (stoma-
chus) gemächte (von maht, vis) skap, fisel u. dgl. --
6) (wonne, schoene, gnade, ruhe, wohnung, raum, leere)
s. das anomale motan, muoßa; nr. 166. gemeit (wonnig,
eitel, stumpf); nr. 504. eitel; nr. 561. selida (mansio, do-
mus) salida (felicitas); nr. 282. badi und gibada; nr. 559.
genade; nr. 569. wohnen, wahn, wonne; wie nämlich
vorhin (unter b) der gegensatz von schließen und öffnen
vereinigt wurde, so scheinen sich auch die begriffe von
geschäft und muße zu begegnen, nachdem auf die faßung,
erfüllung des raums oder auf die leere in dem raum ge-
sehen wird. Daher z. b. das lat. vacare bald ledig sein,
ruhen, bald befleißigen, arbeiten ausdrückt, oder unser
feiern bald nichts thun, bald celebrare; das altn. erindi
(nr. 571b) bald pausa, bald negotium; das nhd. emßig
(assiduus) und engl. empty (inanis) sind dasselbe wort,
sogar dieselbe bildung, vgl. altn. amr (labor) alth. emißeic
(assiduus, jugis) ameißa (formica) ags. ämetig (otiosus)
ämtegian (vacare). -- 7) (stärke, schnelle, kühnheit,
gesundheit, schönheit, artigkeit, klugheit, list und ge-
genüber schwäehe, krankheit, geringfügigkeit etc. in un-
zähligen adjectiven wahrzunehmen. Wie der sinn auf
die gute und böse seite schwanken kann, z. b. geizig bald
aus sparsam, haushältisch, standhaft bald aus böse, mis-
günstig abgeleitet wird; so schwanken auch einzelne wör-
ter dahin oder dorthin, nachdem sie zeit und mundart
bestimmt haben.

Auf andere übergänge ist bei einzelnen wurzeln ge-
deutet und gewiesen worden. Befremden manche dar-
unter durch ihre seltsamkeit, so scheint mit der verlor-
nen oder entstellten sinnlichen urbedeutung der schlüßel
bloß verlegt. Was kann auf den ersten blick seltsamer
sein, als die verbindung der begriffe heirathen und lü-
gen oder heirath und gift? Und doch wißen wir, daß
gift (das eingegebene) gipta, gifta (nuptui dare, wegge-
ben, dem manne geben) einer wurzel sind, daß liugan
(nubere) haeman (coire) wie das lat. wort aus dem be-
griffe verhüllen, unter eine decke bringen (nubes, ne-
bula) herleitbar, ganz nahe bei liugan (celare, tegere)
hamr (tegmen) steht, vgl. span. velar (velare) velarse
(nubere) velado (conjux) --

III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen.
ran, nr. 474. aban, nr. 480. fadan, nr. 549. fiſan etc. ſo
wie die anomalen tugan, kunnan, magan mit ihren vie-
len ſich berührenden bildungen, namentlich den wörtern
für die begriffe: vater, ſohn, tochter, kind, eltern; für
die nährenden, zeugenden leibestheile, als mago (ſtoma-
chus) gemächte (von maht, vis) ſkap, fiſel u. dgl. —
6) (wonne, ſchœne, gnade, ruhe, wohnung, raum, leere)
ſ. das anomale môtan, muoƷa; nr. 166. gemeit (wonnig,
eitel, ſtumpf); nr. 504. eitel; nr. 561. ſelida (manſio, do-
mus) ſâlida (felicitas); nr. 282. badi und gibada; nr. 559.
genâde; nr. 569. wohnen, wahn, wonne; wie nämlich
vorhin (unter β) der gegenſatz von ſchließen und öffnen
vereinigt wurde, ſo ſcheinen ſich auch die begriffe von
geſchäft und muße zu begegnen, nachdem auf die faßung,
erfüllung des raums oder auf die leere in dem raum ge-
ſehen wird. Daher z. b. das lat. vacare bald ledig ſein,
ruhen, bald befleißigen, arbeiten ausdrückt, oder unſer
feiern bald nichts thun, bald celebrare; das altn. erindi
(nr. 571b) bald pauſa, bald negotium; das nhd. emßig
(aſſiduus) und engl. empty (inanis) ſind daſſelbe wort,
ſogar dieſelbe bildung, vgl. altn. amr (labor) alth. emiƷîc
(aſſiduus, jugis) ameiƷa (formica) agſ. ämetig (otioſus)
ämtegian (vacare). — 7) (ſtärke, ſchnelle, kühnheit,
geſundheit, ſchönheit, artigkeit, klugheit, liſt und ge-
genüber ſchwäehe, krankheit, geringfügigkeit etc. in un-
zähligen adjectiven wahrzunehmen. Wie der ſinn auf
die gute und böſe ſeite ſchwanken kann, z. b. geizig bald
aus ſparſam, haushältiſch, ſtandhaft bald aus böſe, mis-
günſtig abgeleitet wird; ſo ſchwanken auch einzelne wör-
ter dahin oder dorthin, nachdem ſie zeit und mundart
beſtimmt haben.

Auf andere übergänge iſt bei einzelnen wurzeln ge-
deutet und gewieſen worden. Befremden manche dar-
unter durch ihre ſeltſamkeit, ſo ſcheint mit der verlor-
nen oder entſtellten ſinnlichen urbedeutung der ſchlüßel
bloß verlegt. Was kann auf den erſten blick ſeltſamer
ſein, als die verbindung der begriffe heirathen und lü-
gen oder heirath und gift? Und doch wißen wir, daß
gift (das eingegebene) gipta, gifta (nuptui dare, wegge-
ben, dem manne geben) einer wurzel ſind, daß liugan
(nubere) hæman (coire) wie das lat. wort aus dem be-
griffe verhüllen, unter eine decke bringen (nubes, ne-
bula) herleitbar, ganz nahe bei liugan (celare, tegere)
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[88/0106] III. laut u. ablaut. ſchlußbemerkungen. ran, nr. 474. aban, nr. 480. fadan, nr. 549. fiſan etc. ſo wie die anomalen tugan, kunnan, magan mit ihren vie- len ſich berührenden bildungen, namentlich den wörtern für die begriffe: vater, ſohn, tochter, kind, eltern; für die nährenden, zeugenden leibestheile, als mago (ſtoma- chus) gemächte (von maht, vis) ſkap, fiſel u. dgl. — 6) (wonne, ſchœne, gnade, ruhe, wohnung, raum, leere) ſ. das anomale môtan, muoƷa; nr. 166. gemeit (wonnig, eitel, ſtumpf); nr. 504. eitel; nr. 561. ſelida (manſio, do- mus) ſâlida (felicitas); nr. 282. badi und gibada; nr. 559. genâde; nr. 569. wohnen, wahn, wonne; wie nämlich vorhin (unter β) der gegenſatz von ſchließen und öffnen vereinigt wurde, ſo ſcheinen ſich auch die begriffe von geſchäft und muße zu begegnen, nachdem auf die faßung, erfüllung des raums oder auf die leere in dem raum ge- ſehen wird. Daher z. b. das lat. vacare bald ledig ſein, ruhen, bald befleißigen, arbeiten ausdrückt, oder unſer feiern bald nichts thun, bald celebrare; das altn. erindi (nr. 571b) bald pauſa, bald negotium; das nhd. emßig (aſſiduus) und engl. empty (inanis) ſind daſſelbe wort, ſogar dieſelbe bildung, vgl. altn. amr (labor) alth. emiƷîc (aſſiduus, jugis) ameiƷa (formica) agſ. ämetig (otioſus) ämtegian (vacare). — 7) (ſtärke, ſchnelle, kühnheit, geſundheit, ſchönheit, artigkeit, klugheit, liſt und ge- genüber ſchwäehe, krankheit, geringfügigkeit etc. in un- zähligen adjectiven wahrzunehmen. Wie der ſinn auf die gute und böſe ſeite ſchwanken kann, z. b. geizig bald aus ſparſam, haushältiſch, ſtandhaft bald aus böſe, mis- günſtig abgeleitet wird; ſo ſchwanken auch einzelne wör- ter dahin oder dorthin, nachdem ſie zeit und mundart beſtimmt haben. Auf andere übergänge iſt bei einzelnen wurzeln ge- deutet und gewieſen worden. Befremden manche dar- unter durch ihre ſeltſamkeit, ſo ſcheint mit der verlor- nen oder entſtellten ſinnlichen urbedeutung der ſchlüßel bloß verlegt. Was kann auf den erſten blick ſeltſamer ſein, als die verbindung der begriffe heirathen und lü- gen oder heirath und gift? Und doch wißen wir, daß gift (das eingegebene) gipta, gifta (nuptui dare, wegge- ben, dem manne geben) einer wurzel ſind, daß liugan (nubere) hæman (coire) wie das lat. wort aus dem be- griffe verhüllen, unter eine decke bringen (nubes, ne- bula) herleitbar, ganz nahe bei liugan (celare, tegere) hamr (tegmen) ſteht, vgl. ſpan. velar (velare) velarſe (nubere) velado (conjux) —

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/106>, abgerufen am 02.05.2024.