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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. von der conjugation im allgemeinen.
fällen verschwindet. Dem dual. scheint ursprünglich
in erster pers. vs. in zweiter ts zuzustehen; die dritte
geht ihm ab. -- Der imp. verwirft in der zweiten
sg. starker conj. alle flexion und macht die zweite dual.
pl., so wie die erste pl. (vermuthlich auch dual.) dem
ind gleich (ausnahmsweise gleicht er dem conj., vgl.
goth. anom. 2. anm. e); die erste sg. und die dritte durch-
gehends fehlen ihm. Kennzeichen des inf. ist der cons.
n, welches aber verschiedene mundarten ablegen. --
Man merke 1) der ind. erhält die personenzeichen vol-
ler als der conj. 2) das praes. voller als das praet.; es
ist durchgreifendes gesetz. daß die erste und dritte
praet. immer des characteristischen cons. ermangeln
und das d hinter dem n der tert. pl. praet. immer ab-
falle; ohne zweifel, weil die durch erzeugung des praet.
vorgegangene veränderung des wortes dem sprachgeist
zur deutlichkeit hinzureichen schien.
B) durch eigenthümliche vocale wird der conj. vom ind.
geschieden; genau laßen sie sich nur in den einzelnen
sprachen angeben; im ganzen gebührt dem ind. kur-
zes a, i, u; dem conj. langes e und ei (goth. ai, ei). Das
kurze u zeichnet merkwürdig die flexionen des dual.
und pl. praet. ind. von denen des praes. aus und
scheint überfluß, insofern beide tempora sonst schon
nie zus. fallen können. Daher auch spätere mundar-
ten dieses unterschieds ohne schaden der deutlichkeit
entbehren.
C) das wichtigste in der deutschen conjugation und wo-
durch sich nicht nur die scheidung zweier hauptfor-
men, der starken und schwachen hauptsächlich, son-
dern auch die abtheilung der einzelnen starken conjug.
gänzlich ergibt, ist die bildung des praeteritums.

Das starke praet. muß als hauptschönheit unserer
sprache, als eine mit ihrem alterthum und ihrer ganzen
einrichtung tief verbundene eigenschaft betrachtet wer-
den. Unabhängig von jenen endungsflexionen, wodurch
die unter A. B. berührten verhältnisse bestimmt werden,
betrifft es die wurzel selbst und zwar auf doppelte
weise: entw. wird der anlaut der wurzel vor derselben
wiederhohlt (reduplication) oder der vocal der wurzel
(sey er in oder anlautend) in einen andern verwandelt
(ablaut). Die goth. sprache kennt noch beide mittel,
sie redupliciert und lautet ab, zuweilen wendet sie
ablaut und redupl. vereint an. Die redupl. hat nie

II. von der conjugation im allgemeinen.
fällen verſchwindet. Dem dual. ſcheint urſprünglich
in erſter perſ. vs. in zweiter ts zuzuſtehen; die dritte
geht ihm ab. — Der imp. verwirft in der zweiten
ſg. ſtarker conj. alle flexion und macht die zweite dual.
pl., ſo wie die erſte pl. (vermuthlich auch dual.) dem
ind gleich (ausnahmsweiſe gleicht er dem conj., vgl.
goth. anom. 2. anm. ε); die erſte ſg. und die dritte durch-
gehends fehlen ihm. Kennzeichen des inf. iſt der conſ.
n, welches aber verſchiedene mundarten ablegen. —
Man merke 1) der ind. erhält die perſonenzeichen vol-
ler als der conj. 2) das praeſ. voller als das praet.; es
iſt durchgreifendes geſetz. daß die erſte und dritte
praet. immer des characteriſtiſchen conſ. ermangeln
und das d hinter dem n der tert. pl. praet. immer ab-
falle; ohne zweifel, weil die durch erzeugung des praet.
vorgegangene veränderung des wortes dem ſprachgeiſt
zur deutlichkeit hinzureichen ſchien.
B) durch eigenthümliche vocale wird der conj. vom ind.
geſchieden; genau laßen ſie ſich nur in den einzelnen
ſprachen angeben; im ganzen gebührt dem ind. kur-
zes a, i, u; dem conj. langes ê und î (goth. ái, ei). Das
kurze u zeichnet merkwürdig die flexionen des dual.
und pl. praet. ind. von denen des praeſ. aus und
ſcheint überfluß, inſofern beide tempora ſonſt ſchon
nie zuſ. fallen können. Daher auch ſpätere mundar-
ten dieſes unterſchieds ohne ſchaden der deutlichkeit
entbehren.
C) das wichtigſte in der deutſchen conjugation und wo-
durch ſich nicht nur die ſcheidung zweier hauptfor-
men, der ſtarken und ſchwachen hauptſächlich, ſon-
dern auch die abtheilung der einzelnen ſtarken conjug.
gänzlich ergibt, iſt die bildung des praeteritums.

Das ſtarke praet. muß als hauptſchönheit unſerer
ſprache, als eine mit ihrem alterthum und ihrer ganzen
einrichtung tief verbundene eigenſchaft betrachtet wer-
den. Unabhängig von jenen endungsflexionen, wodurch
die unter A. B. berührten verhältniſſe beſtimmt werden,
betrifft es die wurzel ſelbſt und zwar auf doppelte
weiſe: entw. wird der anlaut der wurzel vor derſelben
wiederhohlt (reduplication) oder der vocal der wurzel
(ſey er in oder anlautend) in einen andern verwandelt
(ablaut). Die goth. ſprache kennt noch beide mittel,
ſie redupliciert und lautet ab, zuweilen wendet ſie
ablaut und redupl. vereint an. Die redupl. hat nie

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[836/0862] II. von der conjugation im allgemeinen. fällen verſchwindet. Dem dual. ſcheint urſprünglich in erſter perſ. vs. in zweiter ts zuzuſtehen; die dritte geht ihm ab. — Der imp. verwirft in der zweiten ſg. ſtarker conj. alle flexion und macht die zweite dual. pl., ſo wie die erſte pl. (vermuthlich auch dual.) dem ind gleich (ausnahmsweiſe gleicht er dem conj., vgl. goth. anom. 2. anm. ε); die erſte ſg. und die dritte durch- gehends fehlen ihm. Kennzeichen des inf. iſt der conſ. n, welches aber verſchiedene mundarten ablegen. — Man merke 1) der ind. erhält die perſonenzeichen vol- ler als der conj. 2) das praeſ. voller als das praet.; es iſt durchgreifendes geſetz. daß die erſte und dritte praet. immer des characteriſtiſchen conſ. ermangeln und das d hinter dem n der tert. pl. praet. immer ab- falle; ohne zweifel, weil die durch erzeugung des praet. vorgegangene veränderung des wortes dem ſprachgeiſt zur deutlichkeit hinzureichen ſchien. B) durch eigenthümliche vocale wird der conj. vom ind. geſchieden; genau laßen ſie ſich nur in den einzelnen ſprachen angeben; im ganzen gebührt dem ind. kur- zes a, i, u; dem conj. langes ê und î (goth. ái, ei). Das kurze u zeichnet merkwürdig die flexionen des dual. und pl. praet. ind. von denen des praeſ. aus und ſcheint überfluß, inſofern beide tempora ſonſt ſchon nie zuſ. fallen können. Daher auch ſpätere mundar- ten dieſes unterſchieds ohne ſchaden der deutlichkeit entbehren. C) das wichtigſte in der deutſchen conjugation und wo- durch ſich nicht nur die ſcheidung zweier hauptfor- men, der ſtarken und ſchwachen hauptſächlich, ſon- dern auch die abtheilung der einzelnen ſtarken conjug. gänzlich ergibt, iſt die bildung des praeteritums. Das ſtarke praet. muß als hauptſchönheit unſerer ſprache, als eine mit ihrem alterthum und ihrer ganzen einrichtung tief verbundene eigenſchaft betrachtet wer- den. Unabhängig von jenen endungsflexionen, wodurch die unter A. B. berührten verhältniſſe beſtimmt werden, betrifft es die wurzel ſelbſt und zwar auf doppelte weiſe: entw. wird der anlaut der wurzel vor derſelben wiederhohlt (reduplication) oder der vocal der wurzel (ſey er in oder anlautend) in einen andern verwandelt (ablaut). Die goth. ſprache kennt noch beide mittel, ſie redupliciert und lautet ab, zuweilen wendet ſie ablaut und redupl. vereint an. Die redupl. hat nie

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 836. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/862>, abgerufen am 23.11.2024.