eigennamen den gr. vocal u auszudrücken, welchem, wie vorhin bemerkt, das kurze goth. u. nicht gleich- kam. Dies vocalische v, das man bei auflösung der goth. schrift in unser heutiges y verwandelt, findet sich durchaus nur in fremden wörtern, in keinem ächtgo- thischen. Beispiele: Tyrai, Turo; azyme, azumon; bys- saun, busson; spyreidans, spuridas; smyrna, smurne. Man wende nicht ein, daß Ulph. in paurpura das u durch u gebe; er behielt nicht das gr. porphura bei (das dann paurfyra lauten müste), sondern die goth. sprache hatte dies wort (und mehr andere) schon früher aus der lat. form porpura, purpura. Daher auch penult. kurz, während [si]e in porphura produciert wird. -- Ei- nigemahl übersetzt der Gothe das gr. u consonantisch mit v, als Leui Laivvi, paraskeuen paraskaivein.
(AI) ai, wie die zusammensetzung zweier einfa- cher laute und die schreibung ai, nicht ai zu erkennen gibt, ist ein goth. diphthong, folglich einsilbig, doch so auszusprechen, daß man beide vocale vernimmt, nicht gleich dem französ. ai in einen trüben laut zu- sammenfallend.
Warum wählt nun Ulph. diesen doppellaut, um die gr. von natur kurzen e zu übersetzen und sogar ee durch aiai? Beispiele: Aileiaizair, Eliezer; Baiailzaibul, Beelzeboul etc. Schwerlich hörte er das griech. e ir- gend so breit aussprechen, wie das goth. ai, aber sei- ner sprache gieng hier laut ab und buchstab, indem das goth. e, als von natur lang und dem e entsprechend bereits letztern laut auszudrücken hatte. In dieser noth bediente er sich des diphthongen ai, der zugleich auch das gr. ai wiedergab (Areimathaias, Arimathaias Marc. 15, 43. Galeilaia, Galilaia etc.) Schien nun Paitrus f. Pe- tros allerdings ein übeistand, so lag kein geringerer in Petrus; die lat. version konnte e durch e (e) und e durch e wiedergeben. Da überhaupt das (ungothische) kurze e als umlaut des a betrachtet werden muß; so mag die wahl des diphthongen, in welchem a durch ein nachschlagendes i sehr gemildert wird, kein un- richtiges gefühl zum grunde haben.
Jener vermeintliche übelstand des e = ai wird durch nähere erwägung des ächtgothischen ai selbst noch ver- mindert. Denn aus der vergleichung der übrigen stämme lernen wir zweierlei ai unterscheiden, die Ulph. unun
I. gothiſche vocale.
eigennamen den gr. vocal υ auszudrücken, welchem, wie vorhin bemerkt, das kurze goth. u. nicht gleich- kam. Dies vocaliſche v, das man bei auflöſung der goth. ſchrift in unſer heutiges y verwandelt, findet ſich durchaus nur in fremden wörtern, in keinem ächtgo- thiſchen. Beiſpiele: Tyrai, Τυρῳ; azymê, ἀζύμων; byſ- ſaun, βύσσον; ſpyreidans, σπυρίδας; ſmyrna, σμύρνη. Man wende nicht ein, daß Ulph. in paurpura das υ durch u gebe; er behielt nicht das gr. πορφύρα bei (das dann paurfyra lauten müſte), ſondern die goth. ſprache hatte dies wort (und mehr andere) ſchon früher aus der lat. form porpura, purpura. Daher auch penult. kurz, während [ſi]e in πορφύρα produciert wird. — Ei- nigemahl überſetzt der Gothe das gr. υ conſonantiſch mit v, als Λευὶ Laívvi, παρασκευὴν paraſkaívein.
(AI) ai, wie die zuſammenſetzung zweier einfa- cher laute und die ſchreibung ai, nicht aï zu erkennen gibt, iſt ein goth. diphthong, folglich einſilbig, doch ſo auszuſprechen, daß man beide vocale vernimmt, nicht gleich dem franzöſ. ai in einen trüben laut zu- ſammenfallend.
Warum wählt nun Ulph. dieſen doppellaut, um die gr. von natur kurzen ε zu überſetzen und ſogar εε durch aiai? Beiſpiele: Aileiaizair, Ἐλιέζερ; Baiailzaibul, Βεελζεβοὺλ etc. Schwerlich hörte er das griech. ε ir- gend ſo breit ausſprechen, wie das goth. ai, aber ſei- ner ſprache gieng hier laut ab und buchſtab, indem das goth. e, als von natur lang und dem η entſprechend bereits letztern laut auszudrücken hatte. In dieſer noth bediente er ſich des diphthongen ai, der zugleich auch das gr. αι wiedergab (Areimathaias, Αριμαθαίας Marc. 15, 43. Galeilaia, Γαλιλαία etc.) Schien nun Paitrus f. Πέ- τρος allerdings ein übeiſtand, ſo lag kein geringerer in Pêtrus; die lat. verſion konnte η durch e (ê) und ε durch e wiedergeben. Da überhaupt das (ungothiſche) kurze e als umlaut des a betrachtet werden muß; ſo mag die wahl des diphthongen, in welchem a durch ein nachſchlagendes i ſehr gemildert wird, kein un- richtiges gefühl zum grunde haben.
Jener vermeintliche übelſtand des ε = ai wird durch nähere erwägung des ächtgothiſchen ai ſelbſt noch ver- mindert. Denn aus der vergleichung der übrigen ſtämme lernen wir zweierlei ai unterſcheiden, die Ulph. unun
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[43/0069]
I. gothiſche vocale.
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kam. Dies vocaliſche v, das man bei auflöſung der
goth. ſchrift in unſer heutiges y verwandelt, findet ſich
durchaus nur in fremden wörtern, in keinem ächtgo-
thiſchen. Beiſpiele: Tyrai, Τυρῳ; azymê, ἀζύμων; byſ-
ſaun, βύσσον; ſpyreidans, σπυρίδας; ſmyrna, σμύρνη.
Man wende nicht ein, daß Ulph. in paurpura das υ
durch u gebe; er behielt nicht das gr. πορφύρα bei (das
dann paurfyra lauten müſte), ſondern die goth. ſprache
hatte dies wort (und mehr andere) ſchon früher aus
der lat. form porpura, purpura. Daher auch penult.
kurz, während ſie in πορφύρα produciert wird. — Ei-
nigemahl überſetzt der Gothe das gr. υ conſonantiſch
mit v, als Λευὶ Laívvi, παρασκευὴν paraſkaívein.
(AI) ai, wie die zuſammenſetzung zweier einfa-
cher laute und die ſchreibung ai, nicht aï zu erkennen
gibt, iſt ein goth. diphthong, folglich einſilbig, doch
ſo auszuſprechen, daß man beide vocale vernimmt,
nicht gleich dem franzöſ. ai in einen trüben laut zu-
ſammenfallend.
Warum wählt nun Ulph. dieſen doppellaut, um die
gr. von natur kurzen ε zu überſetzen und ſogar εε
durch aiai? Beiſpiele: Aileiaizair, Ἐλιέζερ; Baiailzaibul,
Βεελζεβοὺλ etc. Schwerlich hörte er das griech. ε ir-
gend ſo breit ausſprechen, wie das goth. ai, aber ſei-
ner ſprache gieng hier laut ab und buchſtab, indem
das goth. e, als von natur lang und dem η entſprechend
bereits letztern laut auszudrücken hatte. In dieſer noth
bediente er ſich des diphthongen ai, der zugleich auch
das gr. αι wiedergab (Areimathaias, Αριμαθαίας Marc. 15,
43. Galeilaia, Γαλιλαία etc.) Schien nun Paitrus f. Πέ-
τρος allerdings ein übeiſtand, ſo lag kein geringerer in
Pêtrus; die lat. verſion konnte η durch e (ê) und ε
durch e wiedergeben. Da überhaupt das (ungothiſche)
kurze e als umlaut des a betrachtet werden muß; ſo
mag die wahl des diphthongen, in welchem a durch
ein nachſchlagendes i ſehr gemildert wird, kein un-
richtiges gefühl zum grunde haben.
Jener vermeintliche übelſtand des ε = ai wird durch
nähere erwägung des ächtgothiſchen ai ſelbſt noch ver-
mindert. Denn aus der vergleichung der übrigen ſtämme
lernen wir zweierlei ai unterſcheiden, die Ulph. unun
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/69>, abgerufen am 27.11.2024.
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