Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.I. vergleichung fremder buchstaben. Dieser verführerische satz ist bei etymologien nurnicht zu misbrauchen. -- 5) ich habe (s. 127. 151. 177.) die alth. lautverschiebung als etwas unorganisches dargestellt, und freilich ist sie sichtbare abweichung von einem früheren, spurweise noch vorhandenen organismus. Nur muß man im ge- gensatz zum griech. und lat. das gothische für ebenso unorganisch halten. Die ähnlichkeit beider verände- rungen setzt sie gerade in das wahre licht. Sie sind große ereignisse in der geschichte unserer sprache und keines ohne innere nothwendigkeit *). Es ist auch nicht zu übersehn, wie jede abstufung immer kleinere kreise erfüllt. Die eigenthümlichkeit der letzten er- streckt sich nicht über die hochdeutsche mundart hin- aus. Jene frühere begriff noch die goth. sächs. nor- dische, hatte also bedeutenderen umfang. Und wie eng erscheint dieser gegen den noch älteren zustand, den wir für die lat. griech. indische sprache anerken- nen müßen, und welchem im ganzen auch die slavi- schen, lettischen stämme, vielleicht mit einzelnen mo- dificationen, anhängen; z. b. da den Letten, Preußen und Litthauern die asp. mangelt, pflegen sie dafür die med. mitzuverwenden oder zischlaute zu gebrauchen. Allein sie besitzen die unverkümmerte (lat. griech.) te- nuis und media, vgl. das litth. pilnas (plenus) pirmas (primus) pakajus (pax, pacis) piemu (poimen) peda (ve- stigium) tris (tres) tu (tu) traukti (trahere) kampas (campus) kas (quis) kelas (keleuthos) akis (oculus) ra- tas (rota) dantis (dens) antras (goth. anthar) wertas (goth. vairths) derwa (altn. tiara, neuh. zehr) trokßti (neuh. dürsten) du (duo) sedeti (sedere) etc. Gleicher- gestalt im slavischen: pasti (pascere) vepr (aper) piti (piein) pokoj (pax) mater (mater) sjekati (secare) videti (videre) dom (domus) smrt (mors, mortis) ptak (pte- ron) etc. Aus dieser ursache liegen die slav. und lett. sprache der lat. griech. unbezweifelbar näher, als die goth. und diese näher, als die hochd. 6) die consequenz der lautverschiebung erbringt, wie das hochd. ph für p, ch für c eingetreten war, daß z *) Unterschieden von einzelner, undurchgreisender verderb-
niß, z. b. der schwed. dän. verdrängung der anlautenden lingualasp. durch ten., während labialasp. fortbesteht; oder der im dän. inlaut geltenden med., woneben der anlaut die ten, beibehält etc. I. vergleichung fremder buchſtaben. Dieſer verführeriſche ſatz iſt bei etymologien nurnicht zu misbrauchen. — 5) ich habe (ſ. 127. 151. 177.) die alth. lautverſchiebung als etwas unorganiſches dargeſtellt, und freilich iſt ſie ſichtbare abweichung von einem früheren, ſpurweiſe noch vorhandenen organiſmus. Nur muß man im ge- genſatz zum griech. und lat. das gothiſche für ebenſo unorganiſch halten. Die ähnlichkeit beider verände- rungen ſetzt ſie gerade in das wahre licht. Sie ſind große ereigniſſe in der geſchichte unſerer ſprache und keines ohne innere nothwendigkeit *). Es iſt auch nicht zu überſehn, wie jede abſtufung immer kleinere kreiſe erfüllt. Die eigenthümlichkeit der letzten er- ſtreckt ſich nicht über die hochdeutſche mundart hin- aus. Jene frühere begriff noch die goth. ſächſ. nor- diſche, hatte alſo bedeutenderen umfang. Und wie eng erſcheint dieſer gegen den noch älteren zuſtand, den wir für die lat. griech. indiſche ſprache anerken- nen müßen, und welchem im ganzen auch die ſlavi- ſchen, lettiſchen ſtämme, vielleicht mit einzelnen mo- dificationen, anhängen; z. b. da den Letten, Preußen und Litthauern die aſp. mangelt, pflegen ſie dafür die med. mitzuverwenden oder ziſchlaute zu gebrauchen. Allein ſie beſitzen die unverkümmerte (lat. griech.) te- nuis und media, vgl. das litth. pilnas (plenus) pirmas (primus) pakájus (pax, pacis) piemů (ποιμὴν) peda (ve- ſtigium) tris (tres) tu (tu) traukti (trahere) kampas (campus) kas (quis) kélas (κελεύθος) akis (oculus) ra- tas (rota) dantis (dens) antras (goth. anþar) wertas (goth. vaírþs) derwà (altn. tiara, neuh. zehr) trokſzti (neuh. dürſten) du (duo) ſedeti (ſedere) etc. Gleicher- geſtalt im ſlaviſchen: paſti (paſcere) vepr (aper) piti (πίειν) pokoj (pax) mater (mater) ſjekati (ſecare) videti (videre) dom (domus) ſmrt (mors, mortis) ptak (πτε- ρὸν) etc. Aus dieſer urſache liegen die ſlav. und lett. ſprache der lat. griech. unbezweifelbar näher, als die goth. und dieſe näher, als die hochd. 6) die conſequenz der lautverſchiebung erbringt, wie das hochd. ph für p, ch für c eingetreten war, daß z *) Unterſchieden von einzelner, undurchgreiſender verderb-
niß, z. b. der ſchwed. dän. verdrängung der anlautenden lingualaſp. durch ten., während labialaſp. fortbeſteht; oder der im dän. inlaut geltenden med., woneben der anlaut die ten, beibehält etc. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <list> <item> <list> <item><pb facs="#f0617" n="591"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">vergleichung fremder buchſtaben.</hi></fw><lb/> Dieſer verführeriſche ſatz iſt bei etymologien nur<lb/> nicht zu misbrauchen. —</item> </list> </item><lb/> <item>5) ich habe (ſ. 127. 151. 177.) die alth. lautverſchiebung<lb/> als etwas <hi rendition="#i">unorganiſches</hi> dargeſtellt, und freilich iſt ſie<lb/> ſichtbare abweichung von einem früheren, ſpurweiſe<lb/> noch vorhandenen organiſmus. Nur muß man im ge-<lb/> genſatz zum griech. und lat. das gothiſche für ebenſo<lb/> unorganiſch halten. Die ähnlichkeit beider verände-<lb/> rungen ſetzt ſie gerade in das wahre licht. Sie ſind<lb/> große ereigniſſe in der geſchichte unſerer ſprache und<lb/> keines ohne innere nothwendigkeit <note place="foot" n="*)">Unterſchieden von einzelner, undurchgreiſender verderb-<lb/> niß, z. b. der ſchwed. dän. verdrängung der anlautenden<lb/> lingualaſp. durch ten., während labialaſp. fortbeſteht; oder<lb/> der im dän. inlaut geltenden med., woneben der anlaut<lb/> die ten, beibehält etc.</note>. Es iſt auch<lb/> nicht zu überſehn, wie jede abſtufung immer kleinere<lb/> kreiſe erfüllt. Die eigenthümlichkeit der letzten er-<lb/> ſtreckt ſich nicht über die hochdeutſche mundart hin-<lb/> aus. Jene frühere begriff noch die goth. ſächſ. nor-<lb/> diſche, hatte alſo bedeutenderen umfang. Und wie<lb/> eng erſcheint dieſer gegen den noch älteren zuſtand,<lb/> den wir für die lat. griech. indiſche ſprache anerken-<lb/> nen müßen, und welchem im ganzen auch die ſlavi-<lb/> ſchen, lettiſchen ſtämme, vielleicht mit einzelnen mo-<lb/> dificationen, anhängen; z. b. da den Letten, Preußen<lb/> und Litthauern die aſp. mangelt, pflegen ſie dafür die<lb/> med. mitzuverwenden oder ziſchlaute zu gebrauchen.<lb/> Allein ſie beſitzen die unverkümmerte (lat. griech.) te-<lb/> nuis und media, vgl. das litth. pilnas (plenus) pirmas<lb/> (primus) pakájus (pax, pacis) piemů (<hi rendition="#i">ποιμὴν</hi>) peda (ve-<lb/> ſtigium) tris (tres) tu (tu) traukti (trahere) kampas<lb/> (campus) kas (quis) kélas (<hi rendition="#i">κελεύθος</hi>) akis (oculus) ra-<lb/> tas (rota) dantis (dens) antras (goth. anþar) wertas<lb/> (goth. vaírþs) derwà (altn. tiara, neuh. zehr) trokſzti<lb/> (neuh. dürſten) du (duo) ſedeti (ſedere) etc. Gleicher-<lb/> geſtalt im ſlaviſchen: paſti (paſcere) vepr (aper) piti<lb/> (<hi rendition="#i">πίειν</hi>) pokoj (pax) mater (mater) ſjekati (ſecare) videti<lb/> (videre) dom (domus) ſmrt (mors, mortis) ptak (<hi rendition="#i">πτε-<lb/> ρὸν</hi>) etc. Aus dieſer urſache liegen die ſlav. und lett.<lb/> ſprache der lat. griech. unbezweifelbar näher, als die<lb/> goth. und dieſe näher, als die hochd.</item><lb/> <item>6) die conſequenz der lautverſchiebung erbringt, wie das<lb/> hochd. ph für p, ch für c eingetreten war, daß z<lb/></item> </list> </div> </div> </body> </text> </TEI> [591/0617]
I. vergleichung fremder buchſtaben.
Dieſer verführeriſche ſatz iſt bei etymologien nur
nicht zu misbrauchen. —
5) ich habe (ſ. 127. 151. 177.) die alth. lautverſchiebung
als etwas unorganiſches dargeſtellt, und freilich iſt ſie
ſichtbare abweichung von einem früheren, ſpurweiſe
noch vorhandenen organiſmus. Nur muß man im ge-
genſatz zum griech. und lat. das gothiſche für ebenſo
unorganiſch halten. Die ähnlichkeit beider verände-
rungen ſetzt ſie gerade in das wahre licht. Sie ſind
große ereigniſſe in der geſchichte unſerer ſprache und
keines ohne innere nothwendigkeit *). Es iſt auch
nicht zu überſehn, wie jede abſtufung immer kleinere
kreiſe erfüllt. Die eigenthümlichkeit der letzten er-
ſtreckt ſich nicht über die hochdeutſche mundart hin-
aus. Jene frühere begriff noch die goth. ſächſ. nor-
diſche, hatte alſo bedeutenderen umfang. Und wie
eng erſcheint dieſer gegen den noch älteren zuſtand,
den wir für die lat. griech. indiſche ſprache anerken-
nen müßen, und welchem im ganzen auch die ſlavi-
ſchen, lettiſchen ſtämme, vielleicht mit einzelnen mo-
dificationen, anhängen; z. b. da den Letten, Preußen
und Litthauern die aſp. mangelt, pflegen ſie dafür die
med. mitzuverwenden oder ziſchlaute zu gebrauchen.
Allein ſie beſitzen die unverkümmerte (lat. griech.) te-
nuis und media, vgl. das litth. pilnas (plenus) pirmas
(primus) pakájus (pax, pacis) piemů (ποιμὴν) peda (ve-
ſtigium) tris (tres) tu (tu) traukti (trahere) kampas
(campus) kas (quis) kélas (κελεύθος) akis (oculus) ra-
tas (rota) dantis (dens) antras (goth. anþar) wertas
(goth. vaírþs) derwà (altn. tiara, neuh. zehr) trokſzti
(neuh. dürſten) du (duo) ſedeti (ſedere) etc. Gleicher-
geſtalt im ſlaviſchen: paſti (paſcere) vepr (aper) piti
(πίειν) pokoj (pax) mater (mater) ſjekati (ſecare) videti
(videre) dom (domus) ſmrt (mors, mortis) ptak (πτε-
ρὸν) etc. Aus dieſer urſache liegen die ſlav. und lett.
ſprache der lat. griech. unbezweifelbar näher, als die
goth. und dieſe näher, als die hochd.
6) die conſequenz der lautverſchiebung erbringt, wie das
hochd. ph für p, ch für c eingetreten war, daß z
*) Unterſchieden von einzelner, undurchgreiſender verderb-
niß, z. b. der ſchwed. dän. verdrängung der anlautenden
lingualaſp. durch ten., während labialaſp. fortbeſteht; oder
der im dän. inlaut geltenden med., woneben der anlaut
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