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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. neuhochdeutsche vocale.
fich klar und bedarf keines zeichens. Der bloße ge-
dehnte laut aber wird b) zuweilen gar nicht bezeichnet,
z. b. in kam (venit) kamen (venerunt) span (festuca) las
(legebat) war (fuit) waren (fuerunt) zwar (mittelh. ze ware)
von (praep.) hut (pileus), zuweilen ausgedrückt bald g)
durch äußere doppelung, als: haar (crinis) meer (mare)
moos (muscus); kein ii, uu, weil die organischen ei, au
in ei, au übergegangen sind, verlängerte organischkurze
i, u aber theils früher zu e, o geworden waren, theils
anders bezeichnet werden, namentlich ei durch ie (wo-
von unter e); bald d) durch eingeschobnes h, als: hahn
(gallus) wahr (neben jenem zwar!) sehnen ihm (ei) lohn.
huhn (gallina); endlich wird e) das gedehnte i eigens
durch ein nachgeschobenes e, also durch verwandlung in
den diphth. ie dargestellt: wieder (rursus) viel (multus)
ziemen (decere) glied (membr.) mieden (vitabant). -- Es
hat in den letzten jahrh. nicht an versuchen gefehlt,
eine so schwankende orthographie zu berichtigen. Ei-
nige wollten das eingerückte h und e überall verbannen,
schrieben folglich lon (merces) vil (multus) etc. begien-
gen aber den fehler, auch das organische h und ie zu
beeinträchtigen, indem sie z. b. zen (decem) fil (cecidit)
annahmen. Und obgleich in vielen wörtern (b) die deh-
nung allerdings unangedeutet ist, daher han (gallus) be-
handelt werden dürfte wie kam (venit); so leistet die,
wenn schon inconsequente, bezeichnung der länge man-
chen nutzen, dem zu gefallen das beibehaltene hahn
und haar umgedreht die einführung eines kahm oder
kaam (venit) hätte anrathen können. Nur durch die
zwei nebeneinanderstehenden buchstaben ah, aa, eh,
ee etc. wird die schrift schwerfällig und schleppend.
Weniger um etwas neues vorzuschlagen oder gar durch-
zusetzen, bediene ich mich für die bequemlichkeit mei-
ner grammatischen aufstellung der gewohnten längezei-
chen a, e, ei, o, au in allen neuh. lautverhältnissen,
schreibe folglich der aussprache gemäß: kam, har, ban,
leben, weider, davon die kurzen in kamm (pecten)
harren (exspectare) manne (viro) widder (vervex) unter-
scheidend. Veränderung üblicher wortschreibung führt
etwas gewaltsames und störendes mit sich; niemand be-
helligt sich gern mit kleinigkeiten. Beim studium der
grammatik erscheinen aber die buchstaben bedeutend
und zwecklose misbräuche ärgern. Zwecklos nenne ich
eine schreibung, welche weder hinreichenden hist. grund
hat noch die aussprache mehr als halb trifft. Die reime

I. neuhochdeutſche vocale.
fich klar und bedarf keines zeichens. Der bloße ge-
dehnte laut aber wird β) zuweilen gar nicht bezeichnet,
z. b. in kam (venit) kamen (venerunt) ſpan (feſtuca) las
(legebat) war (fuit) waren (fuerunt) zwar (mittelh. ze wàre)
von (praep.) hut (pileus), zuweilen ausgedrückt bald γ)
durch äußere doppelung, als: haar (crinis) meer (mare)
moos (muſcus); kein ii, uu, weil die organiſchen î, û
in ei, au übergegangen ſind, verlängerte organiſchkurze
i, u aber theils früher zu ë, o geworden waren, theils
anders bezeichnet werden, namentlich î durch ie (wo-
von unter ε); bald δ) durch eingeſchobnes h, als: hahn
(gallus) wahr (neben jenem zwar!) ſehnen ihm (ei) lohn.
huhn (gallina); endlich wird ε) das gedehnte i eigens
durch ein nachgeſchobenes e, alſo durch verwandlung in
den diphth. ie dargeſtellt: wieder (rurſus) viel (multus)
ziemen (decere) glied (membr.) mieden (vitabant). — Es
hat in den letzten jahrh. nicht an verſuchen gefehlt,
eine ſo ſchwankende orthographie zu berichtigen. Ei-
nige wollten das eingerückte h und e überall verbannen,
ſchrieben folglich lon (merces) vil (multus) etc. begien-
gen aber den fehler, auch das organiſche h und ie zu
beeinträchtigen, indem ſie z. b. zen (decem) fil (cecidit)
annahmen. Und obgleich in vielen wörtern (β) die deh-
nung allerdings unangedeutet iſt, daher han (gallus) be-
handelt werden dürfte wie kam (venit); ſo leiſtet die,
wenn ſchon inconſequente, bezeichnung der länge man-
chen nutzen, dem zu gefallen das beibehaltene hahn
und haar umgedreht die einführung eines kahm oder
kaam (venit) hätte anrathen können. Nur durch die
zwei nebeneinanderſtehenden buchſtaben ah, aa, eh,
ee etc. wird die ſchrift ſchwerfällig und ſchleppend.
Weniger um etwas neues vorzuſchlagen oder gar durch-
zuſetzen, bediene ich mich für die bequemlichkeit mei-
ner grammatiſchen aufſtellung der gewohnten längezei-
chen â, ê, î, ô, û in allen neuh. lautverhältniſſen,
ſchreibe folglich der ausſprache gemäß: kâm, hâr, bân,
lêben, wîder, davon die kurzen in kamm (pecten)
harren (exſpectare) manne (viro) widder (vervex) unter-
ſcheidend. Veränderung üblicher wortſchreibung führt
etwas gewaltſames und ſtörendes mit ſich; niemand be-
helligt ſich gern mit kleinigkeiten. Beim ſtudium der
grammatik erſcheinen aber die buchſtaben bedeutend
und zweckloſe misbräuche ärgern. Zwecklos nenne ich
eine ſchreibung, welche weder hinreichenden hiſt. grund
hat noch die ausſprache mehr als halb trifft. Die reime

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[519/0545] I. neuhochdeutſche vocale. fich klar und bedarf keines zeichens. Der bloße ge- dehnte laut aber wird β) zuweilen gar nicht bezeichnet, z. b. in kam (venit) kamen (venerunt) ſpan (feſtuca) las (legebat) war (fuit) waren (fuerunt) zwar (mittelh. ze wàre) von (praep.) hut (pileus), zuweilen ausgedrückt bald γ) durch äußere doppelung, als: haar (crinis) meer (mare) moos (muſcus); kein ii, uu, weil die organiſchen î, û in ei, au übergegangen ſind, verlängerte organiſchkurze i, u aber theils früher zu ë, o geworden waren, theils anders bezeichnet werden, namentlich î durch ie (wo- von unter ε); bald δ) durch eingeſchobnes h, als: hahn (gallus) wahr (neben jenem zwar!) ſehnen ihm (ei) lohn. huhn (gallina); endlich wird ε) das gedehnte i eigens durch ein nachgeſchobenes e, alſo durch verwandlung in den diphth. ie dargeſtellt: wieder (rurſus) viel (multus) ziemen (decere) glied (membr.) mieden (vitabant). — Es hat in den letzten jahrh. nicht an verſuchen gefehlt, eine ſo ſchwankende orthographie zu berichtigen. Ei- nige wollten das eingerückte h und e überall verbannen, ſchrieben folglich lon (merces) vil (multus) etc. begien- gen aber den fehler, auch das organiſche h und ie zu beeinträchtigen, indem ſie z. b. zen (decem) fil (cecidit) annahmen. Und obgleich in vielen wörtern (β) die deh- nung allerdings unangedeutet iſt, daher han (gallus) be- handelt werden dürfte wie kam (venit); ſo leiſtet die, wenn ſchon inconſequente, bezeichnung der länge man- chen nutzen, dem zu gefallen das beibehaltene hahn und haar umgedreht die einführung eines kahm oder kaam (venit) hätte anrathen können. Nur durch die zwei nebeneinanderſtehenden buchſtaben ah, aa, eh, ee etc. wird die ſchrift ſchwerfällig und ſchleppend. Weniger um etwas neues vorzuſchlagen oder gar durch- zuſetzen, bediene ich mich für die bequemlichkeit mei- ner grammatiſchen aufſtellung der gewohnten längezei- chen â, ê, î, ô, û in allen neuh. lautverhältniſſen, ſchreibe folglich der ausſprache gemäß: kâm, hâr, bân, lêben, wîder, davon die kurzen in kamm (pecten) harren (exſpectare) manne (viro) widder (vervex) unter- ſcheidend. Veränderung üblicher wortſchreibung führt etwas gewaltſames und ſtörendes mit ſich; niemand be- helligt ſich gern mit kleinigkeiten. Beim ſtudium der grammatik erſcheinen aber die buchſtaben bedeutend und zweckloſe misbräuche ärgern. Zwecklos nenne ich eine ſchreibung, welche weder hinreichenden hiſt. grund hat noch die ausſprache mehr als halb trifft. Die reime

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/545>, abgerufen am 22.11.2024.