und längere oder kürzere zelt leichter verhören läßt. In drei und mehrsilbigen schwanken satz und gegensatz. Zweisilbigen drücken sich die begriffe der dauer am sichersten ein.
4) diese grundsätze über altdeutsche prosodie theile ich als bloße meinung mit, um fernere prüfung zu ver- anlaßen und mich vorläufig zu rechtfertigen, wenn in der formenlehre verschiedentlich von langen und kur- zen vocalen und deren einfluß auf manche flexionen die rede seyn wird. Lachmann hat für das mittelhochdeutsch einen feinen unterschied zwischen gedehnten, schweben- den und geschärften lauten aufgestellt, der den obigen ansichten practisch begegnet, sich aber doch in einigen puncten davon entfernt. In absicht des gedehnten *) lauts waltet kein zweifel ob; geschärfter ist ihm vorhan- den, wo ich position, d. h. verlängerung der silbe mit kurzem vocal durch doppelte consonanz annehme, als in: finden, wilde etc., an sich wird der kurze vocal durch die position weder lang, noch der lange länger, sondern scheint nur so, weshalb man auch nicht von geschärften lauten, sondern vielmehr von geschärften silben reden sollte. In dem schwebelaut erkennt Lach- mann dasjenige an, was ich für die alte correption halte, was aber in der jetzigen sprache ebenfalls gedehnt oder geschärft zu werden pflegt, denn wir sprechen: wehsen, lehsen wie nehmen, obschon wir nur letzteres schreiben; die schärfung wird natürlich jetzo stets auch geschrieben. Zwei weitere bestimmungen machen mir Lachmanns vorstellung zu verwickelt, theils insofern er die fort- dauer des schwebelauts für den fall gewisser zusammen- ziehungen, welche position, folglich schärfung herbei- zuführen scheinen, behauptet (wovon nachher bei den zusammenziehungen) theils den schwebelaut leugnet, wenn bei geminiertem auslaut der letzte consonant ab- fällt, z. b. in man (vir) val (casus). Hierüber werde ich mich in der alt- und mittelh. buchstabenlehre näher äußern. Laßen sich nun beide bestimmungen bestreiten oder fließen nur einzelne ausnahmen aus ihnen her; so wird die lachmannische bezeichnung des schwebelauts, im gegensatz zu dem unbezeichneten geschärften, durch
*) Adelungs begriff von dehnung ist zu weit und begreife nicht allein die eigentlichen gedehnten (d. h. doppelten) laute, sondern auch die schwebenden.
B 2
I. von den buchſtaben insgemein.
und längere oder kürzere zelt leichter verhören läßt. In drei und mehrſilbigen ſchwanken ſatz und gegenſatz. Zweiſilbigen drücken ſich die begriffe der dauer am ſicherſten ein.
4) dieſe grundſätze über altdeutſche proſodie theile ich als bloße meinung mit, um fernere prüfung zu ver- anlaßen und mich vorläufig zu rechtfertigen, wenn in der formenlehre verſchiedentlich von langen und kur- zen vocalen und deren einfluß auf manche flexionen die rede ſeyn wird. Lachmann hat für das mittelhochdeutſch einen feinen unterſchied zwiſchen gedehnten, ſchweben- den und geſchärften lauten aufgeſtellt, der den obigen anſichten practiſch begegnet, ſich aber doch in einigen puncten davon entfernt. In abſicht des gedehnten *) lauts waltet kein zweifel ob; geſchärfter iſt ihm vorhan- den, wo ich poſition, d. h. verlängerung der ſilbe mit kurzem vocal durch doppelte conſonanz annehme, als in: finden, wilde etc., an ſich wird der kurze vocal durch die poſition weder lang, noch der lange länger, ſondern ſcheint nur ſo, weshalb man auch nicht von geſchärften lauten, ſondern vielmehr von geſchärften ſilben reden ſollte. In dem ſchwebelaut erkennt Lach- mann dasjenige an, was ich für die alte correption halte, was aber in der jetzigen ſprache ebenfalls gedehnt oder geſchärft zu werden pflegt, denn wir ſprechen: wehſen, lehſen wie nehmen, obſchon wir nur letzteres ſchreiben; die ſchärfung wird natürlich jetzo ſtets auch geſchrieben. Zwei weitere beſtimmungen machen mir Lachmanns vorſtellung zu verwickelt, theils inſofern er die fort- dauer des ſchwebelauts für den fall gewiſſer zuſammen- ziehungen, welche poſition, folglich ſchärfung herbei- zuführen ſcheinen, behauptet (wovon nachher bei den zuſammenziehungen) theils den ſchwebelaut leugnet, wenn bei geminiertem auslaut der letzte conſonant ab- fällt, z. b. in man (vir) val (caſus). Hierüber werde ich mich in der alt- und mittelh. buchſtabenlehre näher äußern. Laßen ſich nun beide beſtimmungen beſtreiten oder fließen nur einzelne ausnahmen aus ihnen her; ſo wird die lachmanniſche bezeichnung des ſchwebelauts, im gegenſatz zu dem unbezeichneten geſchärften, durch
*) Adelungs begriff von dehnung iſt zu weit und begreife nicht allein die eigentlichen gedehnten (d. h. doppelten) laute, ſondern auch die ſchwebenden.
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I. von den buchſtaben insgemein.
und längere oder kürzere zelt leichter verhören läßt. In
drei und mehrſilbigen ſchwanken ſatz und gegenſatz.
Zweiſilbigen drücken ſich die begriffe der dauer am
ſicherſten ein.
4) dieſe grundſätze über altdeutſche proſodie theile
ich als bloße meinung mit, um fernere prüfung zu ver-
anlaßen und mich vorläufig zu rechtfertigen, wenn in
der formenlehre verſchiedentlich von langen und kur-
zen vocalen und deren einfluß auf manche flexionen die
rede ſeyn wird. Lachmann hat für das mittelhochdeutſch
einen feinen unterſchied zwiſchen gedehnten, ſchweben-
den und geſchärften lauten aufgeſtellt, der den obigen
anſichten practiſch begegnet, ſich aber doch in einigen
puncten davon entfernt. In abſicht des gedehnten *)
lauts waltet kein zweifel ob; geſchärfter iſt ihm vorhan-
den, wo ich poſition, d. h. verlängerung der ſilbe mit
kurzem vocal durch doppelte conſonanz annehme, als
in: finden, wilde etc., an ſich wird der kurze vocal
durch die poſition weder lang, noch der lange länger,
ſondern ſcheint nur ſo, weshalb man auch nicht von
geſchärften lauten, ſondern vielmehr von geſchärften
ſilben reden ſollte. In dem ſchwebelaut erkennt Lach-
mann dasjenige an, was ich für die alte correption halte,
was aber in der jetzigen ſprache ebenfalls gedehnt oder
geſchärft zu werden pflegt, denn wir ſprechen: wehſen,
lehſen wie nehmen, obſchon wir nur letzteres ſchreiben;
die ſchärfung wird natürlich jetzo ſtets auch geſchrieben.
Zwei weitere beſtimmungen machen mir Lachmanns
vorſtellung zu verwickelt, theils inſofern er die fort-
dauer des ſchwebelauts für den fall gewiſſer zuſammen-
ziehungen, welche poſition, folglich ſchärfung herbei-
zuführen ſcheinen, behauptet (wovon nachher bei den
zuſammenziehungen) theils den ſchwebelaut leugnet,
wenn bei geminiertem auslaut der letzte conſonant ab-
fällt, z. b. in man (vir) val (caſus). Hierüber werde ich
mich in der alt- und mittelh. buchſtabenlehre näher äußern.
Laßen ſich nun beide beſtimmungen beſtreiten oder
fließen nur einzelne ausnahmen aus ihnen her; ſo wird
die lachmanniſche bezeichnung des ſchwebelauts, im
gegenſatz zu dem unbezeichneten geſchärften, durch
*) Adelungs begriff von dehnung iſt zu weit und begreife
nicht allein die eigentlichen gedehnten (d. h. doppelten)
laute, ſondern auch die ſchwebenden.
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/45>, abgerufen am 03.12.2024.
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