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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. althochdeutsche consonanten. linguales.
ter), bildungen mit -nassi, irscassen (?exinanitus N. 74. 9.)
thesses (hujus) essa (fumarium) kresso (gobius fluv.) kressa
(nasturtium) zessa (tempestas) scesso (rupes) scesson (dolare)
fressa (pressura), bildungen mit -nissa -nissi, missa-,
wissa (scivi) giwisser (certus) gabissa (quisquiliae) wissan
(convocare) K. 22b gastwissod (diversorium) hrosses (equi)
hrussin (equinus) hrusse-hiruß gl. jun. 199. kusses (osculi)
chnussan (contundere) gussa (inundatio) gl. jun. 210.
zussa (laena) gl. trev. und vermuthlich noch einige an-
dere. Die entstehung dieser gemination ist doch wiederum
verschieden. Das goth. vissa entsprang aus vitida, ver-
muthlich gieng aber ein vista vorher, wie mosta aus mo-
tida, ebenso erweicht sich qvistjan im subst. qviss. Die-
selbe erklärungsweise schickt sich für das alth. wissa,
während muosa ein einfaches s annimmt, gemination
litt der vorausstehende doppelvocal nicht; die formen
wiste, muoste wirken später nach; essa dürfte man dem
gr. estia vergleichen. Anderemahl scheint ss nach dem
kurzen vocal ganz wie mm, nn (oben s. 122.) oder pp. it
(s. 148. 167.) aus dem einf. cons. zu entspringen, z. b.
chnussjan, chnussan aus chnusan (nord. knosa) und
hrosses, kusses machen den nom. hros, kus (wie mannes,
man). -- Dieser inlaut ss unterscheidet sich ursprung und
aussprache nach genan von dem inlautenden ß, der be-
kanntlich auch sehr oft ß geschrieben vorkommt, vgl.
wißan (scire) gewißida (conscientia) wissa (scivi) giwissaß
(certum). Einige seltene vermischungen wird man den-
noch einräumen; jenes aus td entsprungene wissa rechne
ich nicht dahin, denn es haftete fest, unbekümmert um
den übergang des witan in wißan. Aber wißago (pro-
pheta) angels. vitega, verwandelt sich im 11ten, 12ten jahrh.
in wissego (so steht N. 9, 16. doch bloß in der hs.
der ps. denn N. selbst schrieb gewiß überall wißego);
alle mittelh. hss. haben die falsche form wissage. Das
angeführte gussa scheint mit guß und gioßan verwandt *).
Ob ein mir sehr nahe liegendes anderes beispiel gerecht-
fertigt werden kann? wider die ableitung des namens

*) So wasso O. II. 8. 51, wäre, wenn die lesart richtig, nicht
gemination, sondern astimilation st. sowaß so (welches II.
14, 204. aus beiden hss. hergestellt ist.) Aehnliche assimi-
lation II. 7, 16. III. 2, 2. so sizzam (nicht: tam decenter,
sondern) entw. für: so sih zam, oder für: soso iß zam;
vgl. IV. 11, 17. so iß zam. -- Bei K. 19b so husßo f.
huaß so.

I. althochdeutſche conſonanten. linguales.
ter), bildungen mit -naſſi, irſcaſſen (?exinanitus N. 74. 9.)
thëſſes (hujus) ëſſa (fumarium) krëſſo (gobius fluv.) krëſſa
(naſturtium) zëſſa (tempeſtas) ſcëſſo (rupes) ſcëſſôn (dolare)
frëſſa (preſſura), bildungen mit -niſſa -niſſi, miſſa-,
wiſſa (ſcivi) giwiſſèr (certus) gabiſſa (quisquiliae) wiſſan
(convocare) K. 22b gaſtwiſſôd (diverſorium) hroſſes (equi)
hruſſin (equinus) hruſſe-hiruƷ gl. jun. 199. kuſſes (oſculi)
chnuſſan (contundere) guſſa (inundatio) gl. jun. 210.
zuſſa (laena) gl. trev. und vermuthlich noch einige an-
dere. Die entſtehung dieſer gemination iſt doch wiederum
verſchieden. Das goth. viſſa entſprang aus vitida, ver-
muthlich gieng aber ein viſta vorher, wie môſta aus mò-
tida, ebenſo erweicht ſich qviſtjan im ſubſt. qviſſ. Die-
ſelbe erklärungsweiſe ſchickt ſich für das alth. wiſſa,
während muoſa ein einfaches ſ annimmt, gemination
litt der vorausſtehende doppelvocal nicht; die formen
wiſte, muoſte wirken ſpäter nach; ëſſa dürfte man dem
gr. ἑστία vergleichen. Anderemahl ſcheint ſſ nach dem
kurzen vocal ganz wie mm, nn (oben ſ. 122.) oder pp. it
(ſ. 148. 167.) aus dem einf. conſ. zu entſpringen, z. b.
chnuſſjan, chnuſſan aus chnuſan (nord. knoſa) und
hroſſes, kuſſes machen den nom. hros, kus (wie mannes,
man). — Dieſer inlaut ſſ unterſcheidet ſich urſprung und
ausſprache nach genan von dem inlautenden Ʒ, der be-
kanntlich auch ſehr oft ƷƷ geſchrieben vorkommt, vgl.
wiƷan (ſcire) gewiƷida (conſcientia) wiſſa (ſcivi) giwiſſaƷ
(certum). Einige ſeltene vermiſchungen wird man den-
noch einräumen; jenes aus td entſprungene wiſſa rechne
ich nicht dahin, denn es haftete feſt, unbekümmert um
den übergang des witan in wiƷan. Aber wiƷago (pro-
pheta) angelſ. vitega, verwandelt ſich im 11ten, 12ten jahrh.
in wiſſego (ſo ſteht N. 9, 16. doch bloß in der hſ.
der pſ. denn N. ſelbſt ſchrieb gewiß überall wiƷego);
alle mittelh. hſſ. haben die falſche form wiſſage. Das
angeführte guſſa ſcheint mit guƷ und gioƷan verwandt *).
Ob ein mir ſehr nahe liegendes anderes beiſpiel gerecht-
fertigt werden kann? wider die ableitung des namens

*) Sô waſſô O. II. 8. 51, wäre, wenn die lesart richtig, nicht
gemination, ſondern aſtimilation ſt. ſôwaƷ ſô (welches II.
14, 204. aus beiden hſſ. hergeſtellt iſt.) Aehnliche aſſimi-
lation II. 7, 16. III. 2, 2. ſô ſizzam (nicht: tam decenter,
ſondern) entw. für: ſô ſih zam, oder für: ſôſô iƷ zam;
vgl. IV. 11, 17. ſô iƷ zam. — Bei K. 19b ſô husƷƷô f.
huaƷ ſô.
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[171/0197] I. althochdeutſche conſonanten. linguales. ter), bildungen mit -naſſi, irſcaſſen (?exinanitus N. 74. 9.) thëſſes (hujus) ëſſa (fumarium) krëſſo (gobius fluv.) krëſſa (naſturtium) zëſſa (tempeſtas) ſcëſſo (rupes) ſcëſſôn (dolare) frëſſa (preſſura), bildungen mit -niſſa -niſſi, miſſa-, wiſſa (ſcivi) giwiſſèr (certus) gabiſſa (quisquiliae) wiſſan (convocare) K. 22b gaſtwiſſôd (diverſorium) hroſſes (equi) hruſſin (equinus) hruſſe-hiruƷ gl. jun. 199. kuſſes (oſculi) chnuſſan (contundere) guſſa (inundatio) gl. jun. 210. zuſſa (laena) gl. trev. und vermuthlich noch einige an- dere. Die entſtehung dieſer gemination iſt doch wiederum verſchieden. Das goth. viſſa entſprang aus vitida, ver- muthlich gieng aber ein viſta vorher, wie môſta aus mò- tida, ebenſo erweicht ſich qviſtjan im ſubſt. qviſſ. Die- ſelbe erklärungsweiſe ſchickt ſich für das alth. wiſſa, während muoſa ein einfaches ſ annimmt, gemination litt der vorausſtehende doppelvocal nicht; die formen wiſte, muoſte wirken ſpäter nach; ëſſa dürfte man dem gr. ἑστία vergleichen. Anderemahl ſcheint ſſ nach dem kurzen vocal ganz wie mm, nn (oben ſ. 122.) oder pp. it (ſ. 148. 167.) aus dem einf. conſ. zu entſpringen, z. b. chnuſſjan, chnuſſan aus chnuſan (nord. knoſa) und hroſſes, kuſſes machen den nom. hros, kus (wie mannes, man). — Dieſer inlaut ſſ unterſcheidet ſich urſprung und ausſprache nach genan von dem inlautenden Ʒ, der be- kanntlich auch ſehr oft ƷƷ geſchrieben vorkommt, vgl. wiƷan (ſcire) gewiƷida (conſcientia) wiſſa (ſcivi) giwiſſaƷ (certum). Einige ſeltene vermiſchungen wird man den- noch einräumen; jenes aus td entſprungene wiſſa rechne ich nicht dahin, denn es haftete feſt, unbekümmert um den übergang des witan in wiƷan. Aber wiƷago (pro- pheta) angelſ. vitega, verwandelt ſich im 11ten, 12ten jahrh. in wiſſego (ſo ſteht N. 9, 16. doch bloß in der hſ. der pſ. denn N. ſelbſt ſchrieb gewiß überall wiƷego); alle mittelh. hſſ. haben die falſche form wiſſage. Das angeführte guſſa ſcheint mit guƷ und gioƷan verwandt *). Ob ein mir ſehr nahe liegendes anderes beiſpiel gerecht- fertigt werden kann? wider die ableitung des namens *) Sô waſſô O. II. 8. 51, wäre, wenn die lesart richtig, nicht gemination, ſondern aſtimilation ſt. ſôwaƷ ſô (welches II. 14, 204. aus beiden hſſ. hergeſtellt iſt.) Aehnliche aſſimi- lation II. 7, 16. III. 2, 2. ſô ſizzam (nicht: tam decenter, ſondern) entw. für: ſô ſih zam, oder für: ſôſô iƷ zam; vgl. IV. 11, 17. ſô iƷ zam. — Bei K. 19b ſô husƷƷô f. huaƷ ſô.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/197>, abgerufen am 03.05.2024.