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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. althochdeutsche vocale.
schwankt er zwischen io und ia, als: ziarei (decor)
III. 22, 14. zioro (decore) I. 2, 82. gisciaren (festinare)
IV. 12, 88. scioro (mox) II. 7, 107. Ja, einzelne wör-
ter zeigen nach den umständen ia, io und in, z. b.
liuber (carus) I. 25, 34. liubei (amor), liublicho, giliu-
ben; liob (carum) liobon (caris); liabe (cari) V. 25, 48.
liaban (carum) I. 15, 93.; diuf (profundum), diofo (pro-
funde) diasa (profundam) V, 6, 4. diafen (profundis)
V, 8, 47.; thiob (fur) githiuben (furari) etc. Ist gar
keine endung, oder die endung o da, so liebt die
wurzel io, wogegen die endungen a. i. ei, e, e ein ia
oder iu vor sich zu haben pflegen. Kein umlaut wal-
tet hier, sondern ein ähnliches verhältniß älteres und
jüngeres lauts, wie wir es oben zwischen i und e, u
und o gefunden haben, daher es auch nur zuweilen
nicht durchweg eintritt; im ablaut namentlich bleibt
O. ia, es mag nun giang, giangi oder giangun heißen.
(vgl. unten über vocalwechsel tonloser endungen).
3) T. und andere kennen kein solches schwanken zwi-
schen ia und io. sondern nur zwischen io und iu. Bei-
spicle von io: thiob, thiot, liob, lioht, gioßo (fretum)
thionon, riohhen (fumare) rioßet (fletis) tior (ani-
mal) etc.

(IU) entspricht dem goth. iu und scheint in den
früheren alth. denkmählern oft durch eu ausgedrückt.
Zwischen iu und io tritt der oben (s. 84.) geschilderte
wechsel zwischen u und o ganz analog ein. Das iu als
die ältere form ist verblieben 1) gewissen wörtern, welche
durchaus kein io zeigen, als: ariup (dirus) griupo (frixo-
rium) piugo (sinus) niumon (cantare) liuni (forte) -niu
(endung weibl. namen) diu (virgo) stiurjan (gubernare)
fiur (ignis) liut (populus) tiuri (pretiosus) sniumo (mox)
tiuval (diabolus) sciura (horreum) liumunt (fama) gisiuni
(visio) hiutu (hodie) niun (novem) friunt (amicus) etc.
2) dem sing. praes. ind. und imp. der starken verba, welche
im inf. conj. und praes. pl. io oder ia zeigen, als: piutu,
piutis, piutit etc. 3) gewissen ableitungen, z. b. thiob,
githiuben; lioht, liuhten etc. 4) andere schwankende
fälle sind vorhin bei eo, eu, io angeführt worden. --
Der unterschied zwischen io und iu zeigt sich darin be-
deutend, daß im verfolg und namentlich im mittelh. die
io in ie übergegangen, die iu hingegen (größtentheils)
geblieben sind. Regel ist es unleugbar, daß dem io das
frühere eo, neuh. ie -- dem iu hingegen das frühere
und neuh. eu zur seite steht; vgl. deor, thier; theodo-

I. althochdeutſche vocale.
ſchwankt er zwiſchen io und ia, als: ziarî (decor)
III. 22, 14. zioro (decôre) I. 2, 82. giſciaren (feſtinare)
IV. 12, 88. ſcioro (mox) II. 7, 107. Ja, einzelne wör-
ter zeigen nach den umſtänden ia, io und in, z. b.
liubêr (carus) I. 25, 34. liubî (amor), liublicho, giliu-
ben; liob (carum) liobon (caris); liabe (cari) V. 25, 48.
liaban (carum) I. 15, 93.; diuf (profundum), diofo (pro-
funde) diaſa (profundam) V, 6, 4. diafèn (profundis)
V, 8, 47.; thiob (fur) githiuben (furari) etc. Iſt gar
keine endung, oder die endung o da, ſo liebt die
wurzel io, wogegen die endungen a. i. î, e, ê ein ia
oder iu vor ſich zu haben pflegen. Kein umlaut wal-
tet hier, ſondern ein ähnliches verhältniß älteres und
jüngeres lauts, wie wir es oben zwiſchen i und ë, u
und o gefunden haben, daher es auch nur zuweilen
nicht durchweg eintritt; im ablaut namentlich bleibt
O. ia, es mag nun giang, giangi oder giangun heißen.
(vgl. unten über vocalwechſel tonloſer endungen).
3) T. und andere kennen kein ſolches ſchwanken zwi-
ſchen ia und io. ſondern nur zwiſchen io und iu. Bei-
ſpicle von io: thiob, thiot, liob, lioht, gioƷo (fretum)
thionôn, riohhen (fumare) rioƷet (fletis) tior (ani-
mal) etc.

(IU) entſpricht dem goth. iu und ſcheint in den
früheren alth. denkmählern oft durch ëu ausgedrückt.
Zwiſchen iu und io tritt der oben (ſ. 84.) geſchilderte
wechſel zwiſchen u und o ganz analog ein. Das iu als
die ältere form iſt verblieben 1) gewiſſen wörtern, welche
durchaus kein io zeigen, als: ariup (dirus) griupo (frixo-
rium) piugo (ſinus) niumôn (cantare) liuni (forte) -niu
(endung weibl. namen) diu (virgo) ſtiurjan (gubernare)
fiur (ignis) liut (populus) tiuri (pretioſus) ſniumo (mox)
tiuval (diabolus) ſciura (horreum) liumunt (fama) giſiuni
(viſio) hiutu (hodie) niun (novem) friunt (amicus) etc.
2) dem ſing. praeſ. ind. und imp. der ſtarken verba, welche
im inf. conj. und praeſ. pl. io oder ia zeigen, als: piutu,
piutis, piutit etc. 3) gewiſſen ableitungen, z. b. thiob,
githiuben; lioht, liuhten etc. 4) andere ſchwankende
fälle ſind vorhin bei ëo, ëu, io angeführt worden. —
Der unterſchied zwiſchen io und iu zeigt ſich darin be-
deutend, daß im verfolg und namentlich im mittelh. die
io in ie übergegangen, die iu hingegen (größtentheils)
geblieben ſind. Regel iſt es unleugbar, daß dem io das
frühere ëo, neuh. ie — dem iu hingegen das frühere
und neuh. ëu zur ſeite ſteht; vgl. dëor, thier; theodo-

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[107/0133] I. althochdeutſche vocale. ſchwankt er zwiſchen io und ia, als: ziarî (decor) III. 22, 14. zioro (decôre) I. 2, 82. giſciaren (feſtinare) IV. 12, 88. ſcioro (mox) II. 7, 107. Ja, einzelne wör- ter zeigen nach den umſtänden ia, io und in, z. b. liubêr (carus) I. 25, 34. liubî (amor), liublicho, giliu- ben; liob (carum) liobon (caris); liabe (cari) V. 25, 48. liaban (carum) I. 15, 93.; diuf (profundum), diofo (pro- funde) diaſa (profundam) V, 6, 4. diafèn (profundis) V, 8, 47.; thiob (fur) githiuben (furari) etc. Iſt gar keine endung, oder die endung o da, ſo liebt die wurzel io, wogegen die endungen a. i. î, e, ê ein ia oder iu vor ſich zu haben pflegen. Kein umlaut wal- tet hier, ſondern ein ähnliches verhältniß älteres und jüngeres lauts, wie wir es oben zwiſchen i und ë, u und o gefunden haben, daher es auch nur zuweilen nicht durchweg eintritt; im ablaut namentlich bleibt O. ia, es mag nun giang, giangi oder giangun heißen. (vgl. unten über vocalwechſel tonloſer endungen). 3) T. und andere kennen kein ſolches ſchwanken zwi- ſchen ia und io. ſondern nur zwiſchen io und iu. Bei- ſpicle von io: thiob, thiot, liob, lioht, gioƷo (fretum) thionôn, riohhen (fumare) rioƷet (fletis) tior (ani- mal) etc. (IU) entſpricht dem goth. iu und ſcheint in den früheren alth. denkmählern oft durch ëu ausgedrückt. Zwiſchen iu und io tritt der oben (ſ. 84.) geſchilderte wechſel zwiſchen u und o ganz analog ein. Das iu als die ältere form iſt verblieben 1) gewiſſen wörtern, welche durchaus kein io zeigen, als: ariup (dirus) griupo (frixo- rium) piugo (ſinus) niumôn (cantare) liuni (forte) -niu (endung weibl. namen) diu (virgo) ſtiurjan (gubernare) fiur (ignis) liut (populus) tiuri (pretioſus) ſniumo (mox) tiuval (diabolus) ſciura (horreum) liumunt (fama) giſiuni (viſio) hiutu (hodie) niun (novem) friunt (amicus) etc. 2) dem ſing. praeſ. ind. und imp. der ſtarken verba, welche im inf. conj. und praeſ. pl. io oder ia zeigen, als: piutu, piutis, piutit etc. 3) gewiſſen ableitungen, z. b. thiob, githiuben; lioht, liuhten etc. 4) andere ſchwankende fälle ſind vorhin bei ëo, ëu, io angeführt worden. — Der unterſchied zwiſchen io und iu zeigt ſich darin be- deutend, daß im verfolg und namentlich im mittelh. die io in ie übergegangen, die iu hingegen (größtentheils) geblieben ſind. Regel iſt es unleugbar, daß dem io das frühere ëo, neuh. ie — dem iu hingegen das frühere und neuh. ëu zur ſeite ſteht; vgl. dëor, thier; theodo-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/133>, abgerufen am 06.05.2024.