N. dranen (lacrimis) aus drahenen richtig deute. Allein im alth. scheint schon die volle form das a zu besitzen, z. b. stahal, mahal (goth. mel, nord. und mittelh. mal) neben mal; oder ist ein stahal, mahal erweislich? fahan, hahan sollte man freilich nach dem goth. fahan, hahan muthmaßen; der nie eintretende umlaut (es heißt nie fehit, slehit, stets fahit, hahit), bestimmte zeugnisse (faaho, captator gl. hrab 951 b) und die mittelh. analogie entscheiden für fahan, hahan; der lange vocal entwickelt sich also erst allmählich nicht ursprünglich aus der zusammenziehung. Daher das goth. fahan für juhiza, nicht jauhiza spricht. Steht bichna (cognoscat) J. 348 für bichnahe? oder hat es mit bichnahen und den übrigen aufgestellten in -ahen *) und -awen richtigkeit? Unbestreitbar sind die praet. chnata, nata, krata etc.
In vergleichbaren lat. wörtern entspricht außer dem e (semen, suevus, verus, mene) das lange a stratum, caseus, dama, papa) ein kurzes in padus. -- Der unter- schied zwischen a und a ist höchst wichtig, und ohne ihn fielen wörter zusammen, die nichts gemein haben oder wenigstens im verhältnisse des lauts und ablauts stehen, vergleich: salida (mansio) salida (felicitas); rat (rota) rat (consilium) rato (lolium); haru (linum) har (crinis); lahhan (linteum) lahhan (medicina); wan (va- cuus) wan (spes); ano (avus) ano (sine); malan (molere) malon (pingere) scara (agmen) scara (forceps); zala (nu- merus) zala (perditio); magu (puer, übrig in magazogo und magad, puella) mag (assinis); wagan (currus) wa- gan (audere) faran (ire) faren (insidiari); nam (cepit) nami (acceptus) manen (monere) manin (lunae) samo (ceu) samo (semen) clawer (sollers) lawer (tepidus) etc.
(EE) e; hat mit dem goth. e nichts gemein, kommt außer den endungen in sehr wenig wörtern und nur in einem ablaut vor. Die endungen e können erst in der formenlehre erörtert werden. In den übrigen fällen ist das alth. e offenbar zunächst dem ei verwandt, in einigen schwanken beide, (wie das goth. e und ei eben- falls.) Hiernach steht unser e meist dem goth. ai und angels. a parallel, welches die in den drei mundarten verglichenen wörter lehren. Bei näherer betrachtung
*) O. zweisilbige reime entscheiden mir, wie für fahan, ha- han, so für krahen, knahen. vgl. IV. 7, 33. 13, 70. 15, 64, 24, 35. etc.
I. althochdeutſche vocale.
N. drânen (lacrimis) aus drahenen richtig deute. Allein im alth. ſcheint ſchon die volle form das â zu beſitzen, z. b. ſtâhal, mâhal (goth. mêl, nord. und mittelh. mâl) neben mâl; oder iſt ein ſtahal, mahal erweislich? fahan, hahan ſollte man freilich nach dem goth. fahan, hahan muthmaßen; der nie eintretende umlaut (es heißt nie fehit, ſlehit, ſtets fâhit, hâhit), beſtimmte zeugniſſe (faaho, captator gl. hrab 951 b) und die mittelh. analogie entſcheiden für fâhan, hâhan; der lange vocal entwickelt ſich alſo erſt allmählich nicht urſprünglich aus der zuſammenziehung. Daher das goth. fahan für juhiza, nicht jûhiza ſpricht. Steht bichnâ (cognoſcat) J. 348 für bichnahe? oder hat es mit bichnâhen und den übrigen aufgeſtellten in -âhen *) und -âwen richtigkeit? Unbeſtreitbar ſind die praet. chnâta, nâta, krâta etc.
In vergleichbaren lat. wörtern entſpricht außer dem ê (ſêmen, ſuêvus, vêrus, μῆνη) das lange â ſtrâtum, câſeus, dâma, pâpa) ein kurzes in padus. — Der unter- ſchied zwiſchen a und â iſt höchſt wichtig, und ohne ihn fielen wörter zuſammen, die nichts gemein haben oder wenigſtens im verhältniſſe des lauts und ablauts ſtehen, vergleich: ſalida (manſio) ſâlida (felicitas); rat (rota) rât (conſilium) rato (lolium); haru (linum) hâr (crinis); lahhan (linteum) lâhhan (medicina); wan (va- cuus) wân (ſpes); ano (avus) âno (ſine); malan (molere) mâlôn (pingere) ſcara (agmen) ſcâra (forceps); zala (nu- merus) zâla (perditio); magu (puer, übrig in magazogo und magad, puella) mâg (aſſinis); wagan (currus) wâ- gan (audere) faran (ire) fârên (inſidiari); nam (cepit) nâmi (acceptus) manên (monere) mânin (lunae) ſamo (ceu) ſâmo (ſemen) clawêr (ſollers) lâwêr (tepidus) etc.
(EE) ê; hat mit dem goth. ê nichts gemein, kommt außer den endungen in ſehr wenig wörtern und nur in einem ablaut vor. Die endungen ê können erſt in der formenlehre erörtert werden. In den übrigen fällen iſt das alth. ê offenbar zunächſt dem ei verwandt, in einigen ſchwanken beide, (wie das goth. ê und ei eben- falls.) Hiernach ſteht unſer ê meiſt dem goth. ái und angelſ. â parallel, welches die in den drei mundarten verglichenen wörter lehren. Bei näherer betrachtung
*) O. zweiſilbige reime entſcheiden mir, wie für fâhan, hâ- han, ſo für krâhen, knâhen. vgl. IV. 7, 33. 13, 70. 15, 64, 24, 35. etc.
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I. althochdeutſche vocale.
N. drânen (lacrimis) aus drahenen richtig deute. Allein im
alth. ſcheint ſchon die volle form das â zu beſitzen, z. b.
ſtâhal, mâhal (goth. mêl, nord. und mittelh. mâl) neben mâl;
oder iſt ein ſtahal, mahal erweislich? fahan, hahan ſollte
man freilich nach dem goth. fahan, hahan muthmaßen;
der nie eintretende umlaut (es heißt nie fehit, ſlehit,
ſtets fâhit, hâhit), beſtimmte zeugniſſe (faaho, captator
gl. hrab 951 b) und die mittelh. analogie entſcheiden für
fâhan, hâhan; der lange vocal entwickelt ſich alſo erſt
allmählich nicht urſprünglich aus der zuſammenziehung.
Daher das goth. fahan für juhiza, nicht jûhiza ſpricht.
Steht bichnâ (cognoſcat) J. 348 für bichnahe? oder hat
es mit bichnâhen und den übrigen aufgeſtellten in
-âhen *) und -âwen richtigkeit? Unbeſtreitbar ſind
die praet. chnâta, nâta, krâta etc.
In vergleichbaren lat. wörtern entſpricht außer dem
ê (ſêmen, ſuêvus, vêrus, μῆνη) das lange â ſtrâtum,
câſeus, dâma, pâpa) ein kurzes in padus. — Der unter-
ſchied zwiſchen a und â iſt höchſt wichtig, und ohne
ihn fielen wörter zuſammen, die nichts gemein haben
oder wenigſtens im verhältniſſe des lauts und ablauts
ſtehen, vergleich: ſalida (manſio) ſâlida (felicitas); rat
(rota) rât (conſilium) rato (lolium); haru (linum) hâr
(crinis); lahhan (linteum) lâhhan (medicina); wan (va-
cuus) wân (ſpes); ano (avus) âno (ſine); malan (molere)
mâlôn (pingere) ſcara (agmen) ſcâra (forceps); zala (nu-
merus) zâla (perditio); magu (puer, übrig in magazogo
und magad, puella) mâg (aſſinis); wagan (currus) wâ-
gan (audere) faran (ire) fârên (inſidiari); nam (cepit)
nâmi (acceptus) manên (monere) mânin (lunae) ſamo
(ceu) ſâmo (ſemen) clawêr (ſollers) lâwêr (tepidus) etc.
(EE) ê; hat mit dem goth. ê nichts gemein, kommt
außer den endungen in ſehr wenig wörtern und nur
in einem ablaut vor. Die endungen ê können erſt in
der formenlehre erörtert werden. In den übrigen fällen
iſt das alth. ê offenbar zunächſt dem ei verwandt, in
einigen ſchwanken beide, (wie das goth. ê und ei eben-
falls.) Hiernach ſteht unſer ê meiſt dem goth. ái und
angelſ. â parallel, welches die in den drei mundarten
verglichenen wörter lehren. Bei näherer betrachtung
*) O. zweiſilbige reime entſcheiden mir, wie für fâhan, hâ-
han, ſo für krâhen, knâhen. vgl. IV. 7, 33. 13, 70. 15, 64,
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/115>, abgerufen am 22.11.2024.
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