Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.fruchtlos versucht hatte. Der alte Mann fuhr zusammen, seine Kniee zitterten, kaum konnte er die zum Boden gesenkte Violine halten. Ich trat hinzu. Oh, Sie sind's, gnädiger Herr! sagte er, gleichsam zu sich selbst kommend. Ich hatte nicht auf Erfüllung Ihres hohen Versprechens gerechnet. Er nöthigte mich zu sitzen, räumte auf, legte hin, sah einigemal verlegen im Zimmer herum, ergriff dann plötzlich einen auf einem Tische neben der Stubenthür stehenden Teller und ging mit demselben zu jener hinaus. Ich hörte ihn draußen mit der Gärtnersfrau sprechen. Bald darauf kam er wieder verlegen zur Thüre herein, wobei er den Teller hinter dem Rücken verbarg und heimlich wieder hinstellte. Er hatte offenbar Obst verlangt, um mich zu bewirthen, es aber nicht erhalten können. Sie wohnen hier recht hübsch, sagte ich, um seiner Verlegenheit ein Ende zu machen. Die Unordnung ist verwiesen. Sie nimmt ihren Rückzug durch die Thüre, wenn sie auch derzeit noch nicht über die Schwelle ist. -- Meine Wohnung reicht nur bis zu dem Striche, sagte der Alte, wobei er auf die Kreidenlinie in der Mitte des Zimmers zeigte. Dort drüben wohnen zwei Handwerksgesellen. -- Und respectiren diese Ihre Bezeichnung? -- Sie nicht, aber ich, sagte er. Nur die Thüre ist gemeinschaftlich. -- Und werden Sie nicht gestört von Ihrer Nachbarschaft? -- Kaum, meinte er. Sie kommen des Nachts spät nach Hanse, und wenn sie mich da auch ein wenig im Bette aufschrecken, so ist dafür die Lust des Wiedereinschlafens um so größer. fruchtlos versucht hatte. Der alte Mann fuhr zusammen, seine Kniee zitterten, kaum konnte er die zum Boden gesenkte Violine halten. Ich trat hinzu. Oh, Sie sind's, gnädiger Herr! sagte er, gleichsam zu sich selbst kommend. Ich hatte nicht auf Erfüllung Ihres hohen Versprechens gerechnet. Er nöthigte mich zu sitzen, räumte auf, legte hin, sah einigemal verlegen im Zimmer herum, ergriff dann plötzlich einen auf einem Tische neben der Stubenthür stehenden Teller und ging mit demselben zu jener hinaus. Ich hörte ihn draußen mit der Gärtnersfrau sprechen. Bald darauf kam er wieder verlegen zur Thüre herein, wobei er den Teller hinter dem Rücken verbarg und heimlich wieder hinstellte. Er hatte offenbar Obst verlangt, um mich zu bewirthen, es aber nicht erhalten können. Sie wohnen hier recht hübsch, sagte ich, um seiner Verlegenheit ein Ende zu machen. Die Unordnung ist verwiesen. Sie nimmt ihren Rückzug durch die Thüre, wenn sie auch derzeit noch nicht über die Schwelle ist. — Meine Wohnung reicht nur bis zu dem Striche, sagte der Alte, wobei er auf die Kreidenlinie in der Mitte des Zimmers zeigte. Dort drüben wohnen zwei Handwerksgesellen. — Und respectiren diese Ihre Bezeichnung? — Sie nicht, aber ich, sagte er. Nur die Thüre ist gemeinschaftlich. — Und werden Sie nicht gestört von Ihrer Nachbarschaft? — Kaum, meinte er. Sie kommen des Nachts spät nach Hanse, und wenn sie mich da auch ein wenig im Bette aufschrecken, so ist dafür die Lust des Wiedereinschlafens um so größer. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0025"/> fruchtlos versucht hatte. Der alte Mann fuhr zusammen, seine Kniee zitterten, kaum konnte er die zum Boden gesenkte Violine halten. Ich trat hinzu. Oh, Sie sind's, gnädiger Herr! sagte er, gleichsam zu sich selbst kommend. Ich hatte nicht auf Erfüllung Ihres hohen Versprechens gerechnet. Er nöthigte mich zu sitzen, räumte auf, legte hin, sah einigemal verlegen im Zimmer herum, ergriff dann plötzlich einen auf einem Tische neben der Stubenthür stehenden Teller und ging mit demselben zu jener hinaus. Ich hörte ihn draußen mit der Gärtnersfrau sprechen. Bald darauf kam er wieder verlegen zur Thüre herein, wobei er den Teller hinter dem Rücken verbarg und heimlich wieder hinstellte. Er hatte offenbar Obst verlangt, um mich zu bewirthen, es aber nicht erhalten können. Sie wohnen hier recht hübsch, sagte ich, um seiner Verlegenheit ein Ende zu machen. Die Unordnung ist verwiesen. Sie nimmt ihren Rückzug durch die Thüre, wenn sie auch derzeit noch nicht über die Schwelle ist. — Meine Wohnung reicht nur bis zu dem Striche, sagte der Alte, wobei er auf die Kreidenlinie in der Mitte des Zimmers zeigte. Dort drüben wohnen zwei Handwerksgesellen. — Und respectiren diese Ihre Bezeichnung? — Sie nicht, aber ich, sagte er. Nur die Thüre ist gemeinschaftlich. — Und werden Sie nicht gestört von Ihrer Nachbarschaft? — Kaum, meinte er. Sie kommen des Nachts spät nach Hanse, und wenn sie mich da auch ein wenig im Bette aufschrecken, so ist dafür die Lust des Wiedereinschlafens um so größer.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
fruchtlos versucht hatte. Der alte Mann fuhr zusammen, seine Kniee zitterten, kaum konnte er die zum Boden gesenkte Violine halten. Ich trat hinzu. Oh, Sie sind's, gnädiger Herr! sagte er, gleichsam zu sich selbst kommend. Ich hatte nicht auf Erfüllung Ihres hohen Versprechens gerechnet. Er nöthigte mich zu sitzen, räumte auf, legte hin, sah einigemal verlegen im Zimmer herum, ergriff dann plötzlich einen auf einem Tische neben der Stubenthür stehenden Teller und ging mit demselben zu jener hinaus. Ich hörte ihn draußen mit der Gärtnersfrau sprechen. Bald darauf kam er wieder verlegen zur Thüre herein, wobei er den Teller hinter dem Rücken verbarg und heimlich wieder hinstellte. Er hatte offenbar Obst verlangt, um mich zu bewirthen, es aber nicht erhalten können. Sie wohnen hier recht hübsch, sagte ich, um seiner Verlegenheit ein Ende zu machen. Die Unordnung ist verwiesen. Sie nimmt ihren Rückzug durch die Thüre, wenn sie auch derzeit noch nicht über die Schwelle ist. — Meine Wohnung reicht nur bis zu dem Striche, sagte der Alte, wobei er auf die Kreidenlinie in der Mitte des Zimmers zeigte. Dort drüben wohnen zwei Handwerksgesellen. — Und respectiren diese Ihre Bezeichnung? — Sie nicht, aber ich, sagte er. Nur die Thüre ist gemeinschaftlich. — Und werden Sie nicht gestört von Ihrer Nachbarschaft? — Kaum, meinte er. Sie kommen des Nachts spät nach Hanse, und wenn sie mich da auch ein wenig im Bette aufschrecken, so ist dafür die Lust des Wiedereinschlafens um so größer.
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Zitationshilfe: | Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grillparzer_spielmann_1910/25>, abgerufen am 16.07.2024. |