Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Behandlung einzelner Zufälle. Ascariden sind wohl zu berücksichtigen; die Jodmittel, von denenman einzelne Erfolge gesehen hat, dürften da am Platze sein, wo der sexuelle Reiz durch chronische Irritation und Entzündung der Urethra gesteigert wird; die von Ellis empfohlenen Canthariden halten wir für gefährlich. Die geschärfteste Aufmerksamkeit erfordert die Neigung zum Gefährlichen, besonders bewaffneten Kranken zeige man eine Ein junger Mensch, der mehre Monate ruhig gewesen war, ward plötzlich Einige Kranke geriethen im Garten in Streit, einer fasste ein Messer und Ein sehr starker und heftiger Kranker hatte Gelegenheit gefunden, sich eines Behandlung einzelner Zufälle. Ascariden sind wohl zu berücksichtigen; die Jodmittel, von denenman einzelne Erfolge gesehen hat, dürften da am Platze sein, wo der sexuelle Reiz durch chronische Irritation und Entzündung der Urethra gesteigert wird; die von Ellis empfohlenen Canthariden halten wir für gefährlich. Die geschärfteste Aufmerksamkeit erfordert die Neigung zum Gefährlichen, besonders bewaffneten Kranken zeige man eine Ein junger Mensch, der mehre Monate ruhig gewesen war, ward plötzlich Einige Kranke geriethen im Garten in Streit, einer fasste ein Messer und Ein sehr starker und heftiger Kranker hatte Gelegenheit gefunden, sich eines <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0394" n="380"/><fw place="top" type="header">Behandlung einzelner Zufälle.</fw><lb/> Ascariden sind wohl zu berücksichtigen; die Jodmittel, von denen<lb/> man einzelne Erfolge gesehen hat, dürften da am Platze sein, wo<lb/> der sexuelle Reiz durch chronische Irritation und Entzündung der<lb/> Urethra gesteigert wird; die von Ellis empfohlenen Canthariden halten<lb/> wir für gefährlich.</p><lb/> <p>Die geschärfteste Aufmerksamkeit erfordert die <hi rendition="#g">Neigung zum<lb/> Selbstmord</hi>. Höchst selten (p. 196) kann ihm eine medicinische<lb/> Behandlung begegnen; gewöhnlich muss man sich auf stete Ueberwa-<lb/> chung, auf Entfernung aller Werkzeuge, Stricke, Bänder etc. be-<lb/> schränken, und diese Beaufsichtigung muss um so strenger sein, je<lb/> listiger solche Kranke oft ihr Vorhaben in einem einzigen unbewachten<lb/> Augenblick, ja sogar in Gegenwart von Wärtern, z. B. durch Stran-<lb/> gulation im Bette, auszuführen wissen.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Gefährlichen</hi>, besonders bewaffneten <hi rendition="#g">Kranken</hi> zeige man eine<lb/> ungetrübte Besonnenheit; die häufig hinter dem lauten Toben ver-<lb/> steckte Aengstlichkeit und der Rest von Bewusstsein des Rechts und<lb/> Unrechts kommen hier dem Muthigen zu Hülfe. Die Entwaffnung<lb/> gelingt meist besser mit List als mit offener Gewalt, und man er-<lb/> zählt sich manche Fälle, wo weibliche Schlauheit dem Wüthenden<lb/> das Messer spielend aus der Hand rang.</p><lb/> <p>Ein junger Mensch, der mehre Monate ruhig gewesen war, ward plötzlich<lb/> von einem Anfall seiner Raserei befallen. Er schlich sich in die Küche und<lb/> nahm das Instrument zum Hacken der Kräuter weg. Den Leuten, die ihn an-<lb/> greifen wollten, widersetzte er sich, sprang auf einen Tisch und drohte jedem<lb/> den Kopf einzuschlagen, der sich ihm nähern würde. Die Frau des Oberaufsehers<lb/> Pussin schalt die Leute, dass sie den Kranken hindern wollten, mit ihr zu ar-<lb/> beiten, redete ihm sanft zu, nur zu ihr zu kommen und zeigte ihm, wie er sein<lb/> Instrument gebrauchen müsste. In diesem Augenblick griffen die Leute zu, ent-<lb/> waffneten ihn und brachten ihn in Verwahrung (Reil Fieberlehre. IV. p. 588).</p><lb/> <p>Einige Kranke geriethen im Garten in Streit, einer fasste ein Messer und<lb/> drohte, seinen Gefährten umzubringen. Madame Ellis kam hinzu und sagte zu<lb/> ihm, sie müsse sich sehr wundern, wie ein Mann von seinem Verstand und sei-<lb/> ner Stärke sich so weit vergessen könne, dass er sich mit einem Kranken zanke,<lb/> der doch bekanntlich schon mehre Jahre geistesverwirrt sei. Diese Worte<lb/> schmeichelten der Eigenliebe des Wüthenden, er erwiederte: „Sie haben Recht,<lb/> ich werde diesen Menschen nicht weiter beachten,“ und wurde alsbald völlig ru-<lb/> hig. (Ellis, traité p. Archambault. p. 311.)</p><lb/> <p>Ein sehr starker und heftiger Kranker hatte Gelegenheit gefunden, sich eines<lb/> 3 Fuss langen eisernen Hebels zu bemächtigen, und drohte jeden, der ihm nahe<lb/> komme, zu ermorden. Wärter und Kranke zogen sich zurück, er blieb allein<lb/> in der Gallerie, wo sich ihm Niemand zu nähern wagte. Nach einer Weile trat<lb/> ich allein hinein; ich liess den Thürschlüssel auf dem Händerücken balanciren,<lb/> trat ihm ganz langsam näher, und sah ihn aufmerksam an, was seine Aufmerk-<lb/> samkeit erregte. Er kam auf mich zu und fragte, was ich mache. Ich erwie-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [380/0394]
Behandlung einzelner Zufälle.
Ascariden sind wohl zu berücksichtigen; die Jodmittel, von denen
man einzelne Erfolge gesehen hat, dürften da am Platze sein, wo
der sexuelle Reiz durch chronische Irritation und Entzündung der
Urethra gesteigert wird; die von Ellis empfohlenen Canthariden halten
wir für gefährlich.
Die geschärfteste Aufmerksamkeit erfordert die Neigung zum
Selbstmord. Höchst selten (p. 196) kann ihm eine medicinische
Behandlung begegnen; gewöhnlich muss man sich auf stete Ueberwa-
chung, auf Entfernung aller Werkzeuge, Stricke, Bänder etc. be-
schränken, und diese Beaufsichtigung muss um so strenger sein, je
listiger solche Kranke oft ihr Vorhaben in einem einzigen unbewachten
Augenblick, ja sogar in Gegenwart von Wärtern, z. B. durch Stran-
gulation im Bette, auszuführen wissen.
Gefährlichen, besonders bewaffneten Kranken zeige man eine
ungetrübte Besonnenheit; die häufig hinter dem lauten Toben ver-
steckte Aengstlichkeit und der Rest von Bewusstsein des Rechts und
Unrechts kommen hier dem Muthigen zu Hülfe. Die Entwaffnung
gelingt meist besser mit List als mit offener Gewalt, und man er-
zählt sich manche Fälle, wo weibliche Schlauheit dem Wüthenden
das Messer spielend aus der Hand rang.
Ein junger Mensch, der mehre Monate ruhig gewesen war, ward plötzlich
von einem Anfall seiner Raserei befallen. Er schlich sich in die Küche und
nahm das Instrument zum Hacken der Kräuter weg. Den Leuten, die ihn an-
greifen wollten, widersetzte er sich, sprang auf einen Tisch und drohte jedem
den Kopf einzuschlagen, der sich ihm nähern würde. Die Frau des Oberaufsehers
Pussin schalt die Leute, dass sie den Kranken hindern wollten, mit ihr zu ar-
beiten, redete ihm sanft zu, nur zu ihr zu kommen und zeigte ihm, wie er sein
Instrument gebrauchen müsste. In diesem Augenblick griffen die Leute zu, ent-
waffneten ihn und brachten ihn in Verwahrung (Reil Fieberlehre. IV. p. 588).
Einige Kranke geriethen im Garten in Streit, einer fasste ein Messer und
drohte, seinen Gefährten umzubringen. Madame Ellis kam hinzu und sagte zu
ihm, sie müsse sich sehr wundern, wie ein Mann von seinem Verstand und sei-
ner Stärke sich so weit vergessen könne, dass er sich mit einem Kranken zanke,
der doch bekanntlich schon mehre Jahre geistesverwirrt sei. Diese Worte
schmeichelten der Eigenliebe des Wüthenden, er erwiederte: „Sie haben Recht,
ich werde diesen Menschen nicht weiter beachten,“ und wurde alsbald völlig ru-
hig. (Ellis, traité p. Archambault. p. 311.)
Ein sehr starker und heftiger Kranker hatte Gelegenheit gefunden, sich eines
3 Fuss langen eisernen Hebels zu bemächtigen, und drohte jeden, der ihm nahe
komme, zu ermorden. Wärter und Kranke zogen sich zurück, er blieb allein
in der Gallerie, wo sich ihm Niemand zu nähern wagte. Nach einer Weile trat
ich allein hinein; ich liess den Thürschlüssel auf dem Händerücken balanciren,
trat ihm ganz langsam näher, und sah ihn aufmerksam an, was seine Aufmerk-
samkeit erregte. Er kam auf mich zu und fragte, was ich mache. Ich erwie-
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