Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Ideenassociation und Gedächtniss. da wird, rein subjectiv, ein neues Empfinden oder Vorstellen, vondem ersten hervorgerufen. Das einfachste derartige Phänomen auf sensitivem Gebiete ist das der sog. complementären Farben und sub- jectiven Contrastfarben (das Auftreten von Blau durch gesehenes Orange, von Violett durch Grün etc.). Im Vorstellen geht dieser Process nach denselben, in ihrem tieferem Grunde sehr dunkeln Be- ziehungen des Contrastes und der Aehnlichkeit vor sich. Sobald eine Vorstellung eine gewisse Zeit gedauert hat, ruft sie eine andere, ihr ähnliche oder mit ihr contrastirende herauf, womit dann entweder ganz neue Vorstellungsreihen beginnen oder zu der ersten Vorstel- lung, welche die herrschende bleibt, zurückgekehrt werden kann. Sehr auffallend ist diess z. B. an den Erfahrungen, wo mitten unter äusser- Auch in andern Sinnen, als im Gesichtssinn, namentlich im Hautsinn, machen Insoferne durch die sogenannte Ideenassociation nicht neue Vor- Da auf dieser centralen Reproduction des Vorstellens alle feineren geistigen Ideenassociation und Gedächtniss. da wird, rein subjectiv, ein neues Empfinden oder Vorstellen, vondem ersten hervorgerufen. Das einfachste derartige Phänomen auf sensitivem Gebiete ist das der sog. complementären Farben und sub- jectiven Contrastfarben (das Auftreten von Blau durch gesehenes Orange, von Violett durch Grün etc.). Im Vorstellen geht dieser Process nach denselben, in ihrem tieferem Grunde sehr dunkeln Be- ziehungen des Contrastes und der Aehnlichkeit vor sich. Sobald eine Vorstellung eine gewisse Zeit gedauert hat, ruft sie eine andere, ihr ähnliche oder mit ihr contrastirende herauf, womit dann entweder ganz neue Vorstellungsreihen beginnen oder zu der ersten Vorstel- lung, welche die herrschende bleibt, zurückgekehrt werden kann. Sehr auffallend ist diess z. B. an den Erfahrungen, wo mitten unter äusser- Auch in andern Sinnen, als im Gesichtssinn, namentlich im Hautsinn, machen Insoferne durch die sogenannte Ideenassociation nicht neue Vor- Da auf dieser centralen Reproduction des Vorstellens alle feineren geistigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0037" n="23"/><fw place="top" type="header">Ideenassociation und Gedächtniss.</fw><lb/> da wird, rein subjectiv, ein neues Empfinden oder Vorstellen, von<lb/> dem ersten hervorgerufen. Das einfachste derartige Phänomen auf<lb/> sensitivem Gebiete ist das der sog. complementären Farben und sub-<lb/> jectiven Contrastfarben (das Auftreten von Blau durch gesehenes<lb/> Orange, von Violett durch Grün etc.). Im Vorstellen geht dieser<lb/> Process nach denselben, in ihrem tieferem Grunde sehr dunkeln Be-<lb/> ziehungen des Contrastes und der Aehnlichkeit vor sich. Sobald<lb/> eine Vorstellung eine gewisse Zeit gedauert hat, ruft sie eine andere,<lb/> ihr ähnliche oder mit ihr contrastirende herauf, womit dann entweder<lb/> ganz neue Vorstellungsreihen beginnen oder zu der ersten Vorstel-<lb/> lung, welche die herrschende bleibt, zurückgekehrt werden kann.</p><lb/> <p>Sehr auffallend ist diess z. B. an den Erfahrungen, wo mitten unter äusser-<lb/> lich motivirten traurigen Vorstellungen andere ganz entgegengesetzte, sehr lächer-<lb/> liche, plötzlich auftreten. Die Thatsache der subjectiven Entstehung der Vor-<lb/> stellungen ist übrigens eine der allerallgemeinsten im geistigen Leben; aus den<lb/> Beobachtungen hierüber sind die sog. Gesetze der <hi rendition="#g">Ideenassiociation</hi> zu ab-<lb/> strahiren. Die Vorstellungen rufen einander sowohl nach ihrem begrifflichen In-<lb/> halt, als nach der Aehnlichkeit der in sie eingegangenen Sinnesbilder (Gesichts-<lb/> bilder, Klangbilder, Worte) hervor; das letztere sieht man zuweilen bei Geistes-<lb/> kranken, namentlich Maniacis, in auffallendster Weise, indem lange Reihen ähn-<lb/> lich klingender Worte, ohne Sinn oder nur durch den lockersten Sinn verknüpft,<lb/> mit grosser Raschheit gefunden und hergesagt werden.</p><lb/> <p>Auch in andern Sinnen, als im Gesichtssinn, namentlich im Hautsinn, machen<lb/> wir, doch mehr in pathologischen Zuständen, die Erfahrung, dass durch eine Em-<lb/> pfindung, z. B. einen Schmerz an einer gewissen Stelle, ähnliche Empfindungen,<lb/> Kitzel, Schmerz etc. anderer Stellen geweckt werden, und dass solche Mitempfin-<lb/> dungen die Neigung annehmen, jene ersten Empfindungen stets zu begleiten.</p><lb/> <p>Insoferne durch die sogenannte Ideenassociation nicht neue Vor-<lb/> stellungen entstehen, sondern nur aus dem Schatze des früher da-<lb/> gewesenen Vorstellens Einzelnes geweckt und reproducirt wird, nennt<lb/> man diesen Process das <hi rendition="#g">Gedächtniss</hi>. Der nähere Hergang dieser<lb/> Reproductionsprocesse ist häufig ganz unfassbar und dunkel; alte Vor-<lb/> stellungen tauchen plötzlich auf, ohne dass sich irgend ein Ursprung<lb/> aus dem eben vorhergegangenen Vorstellen finden lässt, wie jene<lb/> Reproductionen von Sinnesbildern, die Henle unter der Rubrik des<lb/> Gedächtnisses in den Sinnen beschrieb, plötzlich, unmotivirt im Ge-<lb/> sichtsfelde wieder auftreten.</p><lb/> <p>Da auf dieser centralen Reproduction des Vorstellens alle feineren geistigen<lb/> Combinationsprocesse beruhen, so leidet der Verstand bei jeder, etwas bedeuten-<lb/> deren Schwächung des Gedächtnisses, grosse Noth. Bei vielen Geisteskranken,<lb/> namentlich Blödsinnigen, hat die Unmöglichkeit des richtigen Urtheilens und<lb/> Schliessens seinen Grund in dem Erlöschen des Gedächtnisses. Die Vorstellungen<lb/> werden um so leichter behalten und reproducirt, je stärker und lebhafter sie<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [23/0037]
Ideenassociation und Gedächtniss.
da wird, rein subjectiv, ein neues Empfinden oder Vorstellen, von
dem ersten hervorgerufen. Das einfachste derartige Phänomen auf
sensitivem Gebiete ist das der sog. complementären Farben und sub-
jectiven Contrastfarben (das Auftreten von Blau durch gesehenes
Orange, von Violett durch Grün etc.). Im Vorstellen geht dieser
Process nach denselben, in ihrem tieferem Grunde sehr dunkeln Be-
ziehungen des Contrastes und der Aehnlichkeit vor sich. Sobald
eine Vorstellung eine gewisse Zeit gedauert hat, ruft sie eine andere,
ihr ähnliche oder mit ihr contrastirende herauf, womit dann entweder
ganz neue Vorstellungsreihen beginnen oder zu der ersten Vorstel-
lung, welche die herrschende bleibt, zurückgekehrt werden kann.
Sehr auffallend ist diess z. B. an den Erfahrungen, wo mitten unter äusser-
lich motivirten traurigen Vorstellungen andere ganz entgegengesetzte, sehr lächer-
liche, plötzlich auftreten. Die Thatsache der subjectiven Entstehung der Vor-
stellungen ist übrigens eine der allerallgemeinsten im geistigen Leben; aus den
Beobachtungen hierüber sind die sog. Gesetze der Ideenassiociation zu ab-
strahiren. Die Vorstellungen rufen einander sowohl nach ihrem begrifflichen In-
halt, als nach der Aehnlichkeit der in sie eingegangenen Sinnesbilder (Gesichts-
bilder, Klangbilder, Worte) hervor; das letztere sieht man zuweilen bei Geistes-
kranken, namentlich Maniacis, in auffallendster Weise, indem lange Reihen ähn-
lich klingender Worte, ohne Sinn oder nur durch den lockersten Sinn verknüpft,
mit grosser Raschheit gefunden und hergesagt werden.
Auch in andern Sinnen, als im Gesichtssinn, namentlich im Hautsinn, machen
wir, doch mehr in pathologischen Zuständen, die Erfahrung, dass durch eine Em-
pfindung, z. B. einen Schmerz an einer gewissen Stelle, ähnliche Empfindungen,
Kitzel, Schmerz etc. anderer Stellen geweckt werden, und dass solche Mitempfin-
dungen die Neigung annehmen, jene ersten Empfindungen stets zu begleiten.
Insoferne durch die sogenannte Ideenassociation nicht neue Vor-
stellungen entstehen, sondern nur aus dem Schatze des früher da-
gewesenen Vorstellens Einzelnes geweckt und reproducirt wird, nennt
man diesen Process das Gedächtniss. Der nähere Hergang dieser
Reproductionsprocesse ist häufig ganz unfassbar und dunkel; alte Vor-
stellungen tauchen plötzlich auf, ohne dass sich irgend ein Ursprung
aus dem eben vorhergegangenen Vorstellen finden lässt, wie jene
Reproductionen von Sinnesbildern, die Henle unter der Rubrik des
Gedächtnisses in den Sinnen beschrieb, plötzlich, unmotivirt im Ge-
sichtsfelde wieder auftreten.
Da auf dieser centralen Reproduction des Vorstellens alle feineren geistigen
Combinationsprocesse beruhen, so leidet der Verstand bei jeder, etwas bedeuten-
deren Schwächung des Gedächtnisses, grosse Noth. Bei vielen Geisteskranken,
namentlich Blödsinnigen, hat die Unmöglichkeit des richtigen Urtheilens und
Schliessens seinen Grund in dem Erlöschen des Gedächtnisses. Die Vorstellungen
werden um so leichter behalten und reproducirt, je stärker und lebhafter sie
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