Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Die allgemeine Paralyse der Irren. Delirium der Tobsucht oder mit dem Auftreten der, oben beim Wahn-sinn bezeichneten fixen Ideen von Erhebung der eigenen Persönlich- keit, mit jener, eben wegen ihres häufigen Zusammenvorkommens mit Paralyse mit Recht prognostisch so verrufenen Monomanie des gran- deurs. Immer aber, und zuweilen nach einem ganz kurzen Stadium maniacum, tritt mit dem Beginn der Paralyse in den psychischen Erscheinungen der Character einer tieferen Schwäche auf; die Kranken verlieren das Gedächtniss, die Fähigkeit zu geistiger Combination, jeden Sinn für ernstere Zwecke, vernachlässigen sich vollständig, werden im höchsten Grade unreinlich etc. Von nun an hält gemein- hin der Blödsinn ganz gleichen Schritt mit der Paralyse, wird jedoch bei einzelnen Kranken zuweilen durch tobsüchtige Anfälle, Geschrei mit Wuth und Sucht zum Zerstören, in der Erscheinung modificirt. Einzelne Kranke äussern noch sehr lange fort und ohne mehr wirk- lichen Sinn damit zu verbinden, jene Uebertriebenheiten vom Besitz von Provinzen, Reichen, Welten, Millionen etc., jene Häufungen von Zahlen, Grössen, Herrlichkeiten, verschieden modificirt nach der Bildungsstufe des Kranken. Der eine *) besitzt tausend Millionen Milliarden, Alles in der Welt gehört ihm, er hat Alles erschaffen etc. Ein Anderer baut die herrlichsten Schlösser, hat Italien gekauft, Asien erobert und vernichtet, die Brücke, die in den Mond führt, zer- stört, die Chinesen nach Paris geführt, er selbst ist 800 Fuss hoch etc. Andere machen 100 Stunden in einem Tag, 100 herrliche Tragödien, 1000 Gedichte in derselben Zeit, haben einen Kopf von Gold und Diamanten, goldene Pferde und Schlösser etc. In der letzten Periode dieser Affection aber gehen auch diese Der Appetit, die Verdauung und Ernährung sind anfangs und *) S. Bayle, maladies du cerveau. Paris. 1826. p. 71, 210, 502.
Die allgemeine Paralyse der Irren. Delirium der Tobsucht oder mit dem Auftreten der, oben beim Wahn-sinn bezeichneten fixen Ideen von Erhebung der eigenen Persönlich- keit, mit jener, eben wegen ihres häufigen Zusammenvorkommens mit Paralyse mit Recht prognostisch so verrufenen Monomanie des gran- deurs. Immer aber, und zuweilen nach einem ganz kurzen Stadium maniacum, tritt mit dem Beginn der Paralyse in den psychischen Erscheinungen der Character einer tieferen Schwäche auf; die Kranken verlieren das Gedächtniss, die Fähigkeit zu geistiger Combination, jeden Sinn für ernstere Zwecke, vernachlässigen sich vollständig, werden im höchsten Grade unreinlich etc. Von nun an hält gemein- hin der Blödsinn ganz gleichen Schritt mit der Paralyse, wird jedoch bei einzelnen Kranken zuweilen durch tobsüchtige Anfälle, Geschrei mit Wuth und Sucht zum Zerstören, in der Erscheinung modificirt. Einzelne Kranke äussern noch sehr lange fort und ohne mehr wirk- lichen Sinn damit zu verbinden, jene Uebertriebenheiten vom Besitz von Provinzen, Reichen, Welten, Millionen etc., jene Häufungen von Zahlen, Grössen, Herrlichkeiten, verschieden modificirt nach der Bildungsstufe des Kranken. Der eine *) besitzt tausend Millionen Milliarden, Alles in der Welt gehört ihm, er hat Alles erschaffen etc. Ein Anderer baut die herrlichsten Schlösser, hat Italien gekauft, Asien erobert und vernichtet, die Brücke, die in den Mond führt, zer- stört, die Chinesen nach Paris geführt, er selbst ist 800 Fuss hoch etc. Andere machen 100 Stunden in einem Tag, 100 herrliche Tragödien, 1000 Gedichte in derselben Zeit, haben einen Kopf von Gold und Diamanten, goldene Pferde und Schlösser etc. In der letzten Periode dieser Affection aber gehen auch diese Der Appetit, die Verdauung und Ernährung sind anfangs und *) S. Bayle, maladies du cerveau. Paris. 1826. p. 71, 210, 502.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0298" n="284"/><fw place="top" type="header">Die allgemeine Paralyse der Irren.</fw><lb/> Delirium der Tobsucht oder mit dem Auftreten der, oben beim Wahn-<lb/> sinn bezeichneten fixen Ideen von Erhebung der eigenen Persönlich-<lb/> keit, mit jener, eben wegen ihres häufigen Zusammenvorkommens mit<lb/> Paralyse mit Recht prognostisch so verrufenen Monomanie des gran-<lb/> deurs. Immer aber, und zuweilen nach einem ganz kurzen Stadium<lb/> maniacum, tritt mit dem Beginn der Paralyse in den psychischen<lb/> Erscheinungen der Character einer tieferen Schwäche auf; die Kranken<lb/> verlieren das Gedächtniss, die Fähigkeit zu geistiger Combination,<lb/> jeden Sinn für ernstere Zwecke, vernachlässigen sich vollständig,<lb/> werden im höchsten Grade unreinlich etc. Von nun an hält gemein-<lb/> hin der Blödsinn ganz gleichen Schritt mit der Paralyse, wird jedoch<lb/> bei einzelnen Kranken zuweilen durch tobsüchtige Anfälle, Geschrei<lb/> mit Wuth und Sucht zum Zerstören, in der Erscheinung modificirt.<lb/> Einzelne Kranke äussern noch sehr lange fort und ohne mehr wirk-<lb/> lichen Sinn damit zu verbinden, jene Uebertriebenheiten vom Besitz<lb/> von Provinzen, Reichen, Welten, Millionen etc., jene Häufungen von<lb/> Zahlen, Grössen, Herrlichkeiten, verschieden modificirt nach der<lb/> Bildungsstufe des Kranken. Der eine <note place="foot" n="*)">S. Bayle, maladies du cerveau. Paris. 1826. p. 71, 210, 502.</note> besitzt tausend Millionen<lb/> Milliarden, Alles in der Welt gehört ihm, er hat Alles erschaffen etc.<lb/> Ein Anderer baut die herrlichsten Schlösser, hat Italien gekauft, Asien<lb/> erobert und vernichtet, die Brücke, die in den Mond führt, zer-<lb/> stört, die Chinesen nach Paris geführt, er selbst ist 800 Fuss hoch etc.<lb/> Andere machen 100 Stunden in einem Tag, 100 herrliche Tragödien,<lb/> 1000 Gedichte in derselben Zeit, haben einen Kopf von Gold und<lb/> Diamanten, goldene Pferde und Schlösser etc.</p><lb/> <p>In der letzten Periode dieser Affection aber gehen auch diese<lb/> Ideen unter; der Kranke ist im letzten Grade von Abstumpfung und<lb/> Verdumpfung so wenig mehr irgend einer ganzen Vorstellung, wie<lb/> eines vollständigen Wortes fähig; er ist zu jeder Auffassung und Per-<lb/> ception seiner Umgebung unmächtig; selbst die ursprünglichsten<lb/> Instinkte, wie das Verlangen nach Nahrung, erlöschen und der Kranke<lb/> muss nicht nur gefüttert, die Nahrung muss ihm oft noch im Munde<lb/> vorwärts geschoben werden.</p><lb/> <p>Der Appetit, die Verdauung und Ernährung sind anfangs und<lb/> noch lange während des Verlaufs vollständig erhalten; die Kranken<lb/> essen dann viel und gierig, ihr Aussehen ist oft gut, und es findet oft<lb/> ziemlich starke Fettbildung statt, nur eine auffallende Trockenheit<lb/> der Haut mit starker Abstossung der Epidermis war uns in einzelnen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [284/0298]
Die allgemeine Paralyse der Irren.
Delirium der Tobsucht oder mit dem Auftreten der, oben beim Wahn-
sinn bezeichneten fixen Ideen von Erhebung der eigenen Persönlich-
keit, mit jener, eben wegen ihres häufigen Zusammenvorkommens mit
Paralyse mit Recht prognostisch so verrufenen Monomanie des gran-
deurs. Immer aber, und zuweilen nach einem ganz kurzen Stadium
maniacum, tritt mit dem Beginn der Paralyse in den psychischen
Erscheinungen der Character einer tieferen Schwäche auf; die Kranken
verlieren das Gedächtniss, die Fähigkeit zu geistiger Combination,
jeden Sinn für ernstere Zwecke, vernachlässigen sich vollständig,
werden im höchsten Grade unreinlich etc. Von nun an hält gemein-
hin der Blödsinn ganz gleichen Schritt mit der Paralyse, wird jedoch
bei einzelnen Kranken zuweilen durch tobsüchtige Anfälle, Geschrei
mit Wuth und Sucht zum Zerstören, in der Erscheinung modificirt.
Einzelne Kranke äussern noch sehr lange fort und ohne mehr wirk-
lichen Sinn damit zu verbinden, jene Uebertriebenheiten vom Besitz
von Provinzen, Reichen, Welten, Millionen etc., jene Häufungen von
Zahlen, Grössen, Herrlichkeiten, verschieden modificirt nach der
Bildungsstufe des Kranken. Der eine *) besitzt tausend Millionen
Milliarden, Alles in der Welt gehört ihm, er hat Alles erschaffen etc.
Ein Anderer baut die herrlichsten Schlösser, hat Italien gekauft, Asien
erobert und vernichtet, die Brücke, die in den Mond führt, zer-
stört, die Chinesen nach Paris geführt, er selbst ist 800 Fuss hoch etc.
Andere machen 100 Stunden in einem Tag, 100 herrliche Tragödien,
1000 Gedichte in derselben Zeit, haben einen Kopf von Gold und
Diamanten, goldene Pferde und Schlösser etc.
In der letzten Periode dieser Affection aber gehen auch diese
Ideen unter; der Kranke ist im letzten Grade von Abstumpfung und
Verdumpfung so wenig mehr irgend einer ganzen Vorstellung, wie
eines vollständigen Wortes fähig; er ist zu jeder Auffassung und Per-
ception seiner Umgebung unmächtig; selbst die ursprünglichsten
Instinkte, wie das Verlangen nach Nahrung, erlöschen und der Kranke
muss nicht nur gefüttert, die Nahrung muss ihm oft noch im Munde
vorwärts geschoben werden.
Der Appetit, die Verdauung und Ernährung sind anfangs und
noch lange während des Verlaufs vollständig erhalten; die Kranken
essen dann viel und gierig, ihr Aussehen ist oft gut, und es findet oft
ziemlich starke Fettbildung statt, nur eine auffallende Trockenheit
der Haut mit starker Abstossung der Epidermis war uns in einzelnen
*) S. Bayle, maladies du cerveau. Paris. 1826. p. 71, 210, 502.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |