Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Gemüths-Verstandes-Störungen. theils ein einseitiges Festgehaltensein in Einer negativen Richtung(z. B. anhaltende Neigung zu ruhigem Zerstören lebloser Dinge, Klei- derzerzupfen, Papierzerreissen etc.), theils eine unruhige Geschäftig- keit im Sinne der Wahn-Vorstellungen, theils vorübergehende tob- süchtige Anfälle beobachtet. Später aber tritt auch auf der Seite des Strebens ein mittlerer oder höherer Grad allgemeiner Schwäche ein; Einzelne können von früher her gewohnte, mechanische Beschäfti- gungen fortsetzen, wie z. B. Prof. Titel, der sich für den römischen Kaiser hielt, ein Collegienheft noch ablesen; oder sie können leichte, manuelle Arbeiten verrichten; aber es ist keine Rede mehr von einem Bedürfnisse gesunder Thätigkeit und sogar das der Wahn-Vorstellung ent- sprechende Treiben, das Briefe-Schreiben, Proclamationen-Erlassen etc. wird immer energieloser und seichter, und in den höchsten Graden bleibt nur noch die schwächlichste Geschäftigkeit, das Handthieren mit Kieselsteinen, Lumpen, Papier etc. übrig. Allerlei grillenhafte Neigungen, wie solche auch innerhalb der früher §. 123. Unter den Anomalieen des Denkens bei den partiell Ver- Gemüths-Verstandes-Störungen. theils ein einseitiges Festgehaltensein in Einer negativen Richtung(z. B. anhaltende Neigung zu ruhigem Zerstören lebloser Dinge, Klei- derzerzupfen, Papierzerreissen etc.), theils eine unruhige Geschäftig- keit im Sinne der Wahn-Vorstellungen, theils vorübergehende tob- süchtige Anfälle beobachtet. Später aber tritt auch auf der Seite des Strebens ein mittlerer oder höherer Grad allgemeiner Schwäche ein; Einzelne können von früher her gewohnte, mechanische Beschäfti- gungen fortsetzen, wie z. B. Prof. Titel, der sich für den römischen Kaiser hielt, ein Collegienheft noch ablesen; oder sie können leichte, manuelle Arbeiten verrichten; aber es ist keine Rede mehr von einem Bedürfnisse gesunder Thätigkeit und sogar das der Wahn-Vorstellung ent- sprechende Treiben, das Briefe-Schreiben, Proclamationen-Erlassen etc. wird immer energieloser und seichter, und in den höchsten Graden bleibt nur noch die schwächlichste Geschäftigkeit, das Handthieren mit Kieselsteinen, Lumpen, Papier etc. übrig. Allerlei grillenhafte Neigungen, wie solche auch innerhalb der früher §. 123. 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Einige<lb/> suchen sich immer mit Wasser zu thun zu machen, andere wollen immer<lb/> die Schuhe ausziehen, andere zeigen eine besondere Vorliebe für ein-<lb/> zelne Orte oder Winkel, wo sie sich immer aufhalten; Einige wollen gar<lb/> nicht sprechen, andere schreien, singen, declamiren gern oder wollen<lb/> immer die Wand bemalen; Andere lieben es sich mit Stroh, mit<lb/> Fetzen und Lumpen auffallend zu putzen, Andere wollen die Nägel<lb/> beständig wachsen lassen, noch Andere verüben immer boshafte<lb/> Streiche, machen immer sonderbare Geberden etc. Oft hat dieses Treiben<lb/> einen besonderen, geheimen Sinn für den Kranken oder es geht<lb/> überhaupt aus einzelnen mit dem Wahne zusammenhängenden Stim-<lb/> mungen hervor; anderemale ist es rein automatisch, der Verrückte<lb/> weiss selbst keinen Grund dafür anzugeben und wird zornig, wenn<lb/> man solchen wissen will, in derselben Weise, wie der Gesunde<lb/> ärgerlich wird, wenn man ihn um den Grund von grillenhaften Ge-<lb/> wohnheiten (Nägelkauen, allerlei unnöthigen Bewegungen mit den<lb/> Händen etc.) fragt.</p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 123.</head><lb/> <p>Unter den <hi rendition="#g">Anomalieen des Denkens</hi> bei den partiell Ver-<lb/> rückten fällt zuerst eine formale Veränderung, nemlich eben ein bald<lb/> mässiger, bald höherer Grad von Schwäche des Denkens auf, mit<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [261/0275]
Gemüths-Verstandes-Störungen.
theils ein einseitiges Festgehaltensein in Einer negativen Richtung
(z. B. anhaltende Neigung zu ruhigem Zerstören lebloser Dinge, Klei-
derzerzupfen, Papierzerreissen etc.), theils eine unruhige Geschäftig-
keit im Sinne der Wahn-Vorstellungen, theils vorübergehende tob-
süchtige Anfälle beobachtet. Später aber tritt auch auf der Seite
des Strebens ein mittlerer oder höherer Grad allgemeiner Schwäche
ein; Einzelne können von früher her gewohnte, mechanische Beschäfti-
gungen fortsetzen, wie z. B. Prof. Titel, der sich für den römischen
Kaiser hielt, ein Collegienheft noch ablesen; oder sie können leichte,
manuelle Arbeiten verrichten; aber es ist keine Rede mehr von einem
Bedürfnisse gesunder Thätigkeit und sogar das der Wahn-Vorstellung ent-
sprechende Treiben, das Briefe-Schreiben, Proclamationen-Erlassen etc.
wird immer energieloser und seichter, und in den höchsten Graden
bleibt nur noch die schwächlichste Geschäftigkeit, das Handthieren
mit Kieselsteinen, Lumpen, Papier etc. übrig.
Allerlei grillenhafte Neigungen, wie solche auch innerhalb der früher
abgehandelten Formen vorkommen, beobachtet man ganz besonders bei
den partiell Verrückten, wo sie zu fixen Gewohnheiten werden. Einige
suchen sich immer mit Wasser zu thun zu machen, andere wollen immer
die Schuhe ausziehen, andere zeigen eine besondere Vorliebe für ein-
zelne Orte oder Winkel, wo sie sich immer aufhalten; Einige wollen gar
nicht sprechen, andere schreien, singen, declamiren gern oder wollen
immer die Wand bemalen; Andere lieben es sich mit Stroh, mit
Fetzen und Lumpen auffallend zu putzen, Andere wollen die Nägel
beständig wachsen lassen, noch Andere verüben immer boshafte
Streiche, machen immer sonderbare Geberden etc. Oft hat dieses Treiben
einen besonderen, geheimen Sinn für den Kranken oder es geht
überhaupt aus einzelnen mit dem Wahne zusammenhängenden Stim-
mungen hervor; anderemale ist es rein automatisch, der Verrückte
weiss selbst keinen Grund dafür anzugeben und wird zornig, wenn
man solchen wissen will, in derselben Weise, wie der Gesunde
ärgerlich wird, wenn man ihn um den Grund von grillenhaften Ge-
wohnheiten (Nägelkauen, allerlei unnöthigen Bewegungen mit den
Händen etc.) fragt.
§. 123.
Unter den Anomalieen des Denkens bei den partiell Ver-
rückten fällt zuerst eine formale Veränderung, nemlich eben ein bald
mässiger, bald höherer Grad von Schwäche des Denkens auf, mit
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