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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Vorkommen und
der Verschiedenheit der herrschenden Wahnvorstellungen machen sie
verschiedene Anstalten zur Realisirung derselben, es werden Schreiben,
Requisitionen, Proclamationen erlassen, grosse Einkäufe gemacht,
gnädige Handbillets ausgefertigt, Orden und Titel mit freigebiger
Hand ausgetheilt, es wird an weitläufigen Rechnungen und Bauplanen,
oder an Schriften und Broschüren zur Reform der Welt gearbeitet etc.
Einzelne Kranke sind äusserlich ganz ruhig, ihre Reden und ihr
Benehmen zeigen eine hohe, stille Freudigkeit, eine Art innerer,
verzückter Schwelgerei in Gefühlen; es sind damit meist Vorstel-
lungen einer innigen mystischen Verbindung mit dem Göttlichen,
messianische Ideen und dergl. mit (verborgen gehaltenen) Hallucinationen
-- Engelsgestalten, Stimmen vom Himmel etc. -- verbunden. Es ist
diess die schwächlichere, sentimentale Form des Wahnsinns, wie
solche namentlich bei Onanisten vorkommt. Auch hier aber kann
die schwärmerische Freudigkeit, wenn man dem Kranken entgegen-
tritt, durch heftige Zornausbrüche, oft mit Drohungen vor göttlichem
Gericht und feierlichen Prophezeihungen demnächst eintretender
schwerer Strafen, unterbrochen werden. Bei Weibern kommen ähn-
liche Zustände innerlicher Verzückung vor, deren Objecte sexuelle
Empfindungen und ideale Liebesverhältnisse sind, auch hier oft mit
zahlreichen, aber wohl verborgenen Hallucinationen.

Je nach dem Vorherrschen einzelner fixer Ideen oder auf Wahnvorstellungen
beruhender Bestrebungen hat man auch hier besondere Formen unterschieden und
benannt, Theomanie, Erotomanie etc.

Die übrigen Symptome haben, wiewohl auch hier die Gehirnkrankheit von
den zahlreichsten und mannigfaltigsten Störungen des Befindens begleitet sein
kann, doch nichts Characteristisches und die grösste Aehnlichkeit mit dem Ver-
halten bei Tobsüchtigen. Anfangs, bei acutem Auftreten, werden nicht selten
fieberhafte Zustände, später häufig Schlaflosigkeit, Verstopfung, Steigerung des
Geschlechtstriebs beobachtet.

§. 118.

Die Form des Wahnsinns entwickelt sich ganz, wie die Tob-
sucht, vorzugsweise aus einem vorausgegangenen Stadium melan-
cholicum. Anfangs ist der Exaltationszustand oft längere Zeit zwischen
beiden Formen unbestimmt; mit dem Fixirtwerden einzelner Wahn-
vorstellungen tritt der Kranke in einen wesentlich neuen Zustand
ein und es ist dieser, der confirmirte Wahnsinn, (aus oben gegebenen
Gründen) als eine weit schwerere Affection zu betrachten, denn die
Tobsucht. Je ruhiger der Kranke in seinem äusseren Benehmen
allmählig wieder wird, je mehr der Wechsel falscher Vorstellungen

Vorkommen und
der Verschiedenheit der herrschenden Wahnvorstellungen machen sie
verschiedene Anstalten zur Realisirung derselben, es werden Schreiben,
Requisitionen, Proclamationen erlassen, grosse Einkäufe gemacht,
gnädige Handbillets ausgefertigt, Orden und Titel mit freigebiger
Hand ausgetheilt, es wird an weitläufigen Rechnungen und Bauplanen,
oder an Schriften und Broschüren zur Reform der Welt gearbeitet etc.
Einzelne Kranke sind äusserlich ganz ruhig, ihre Reden und ihr
Benehmen zeigen eine hohe, stille Freudigkeit, eine Art innerer,
verzückter Schwelgerei in Gefühlen; es sind damit meist Vorstel-
lungen einer innigen mystischen Verbindung mit dem Göttlichen,
messianische Ideen und dergl. mit (verborgen gehaltenen) Hallucinationen
— Engelsgestalten, Stimmen vom Himmel etc. — verbunden. Es ist
diess die schwächlichere, sentimentale Form des Wahnsinns, wie
solche namentlich bei Onanisten vorkommt. Auch hier aber kann
die schwärmerische Freudigkeit, wenn man dem Kranken entgegen-
tritt, durch heftige Zornausbrüche, oft mit Drohungen vor göttlichem
Gericht und feierlichen Prophezeihungen demnächst eintretender
schwerer Strafen, unterbrochen werden. Bei Weibern kommen ähn-
liche Zustände innerlicher Verzückung vor, deren Objecte sexuelle
Empfindungen und ideale Liebesverhältnisse sind, auch hier oft mit
zahlreichen, aber wohl verborgenen Hallucinationen.

Je nach dem Vorherrschen einzelner fixer Ideen oder auf Wahnvorstellungen
beruhender Bestrebungen hat man auch hier besondere Formen unterschieden und
benannt, Theomanie, Erotomanie etc.

Die übrigen Symptome haben, wiewohl auch hier die Gehirnkrankheit von
den zahlreichsten und mannigfaltigsten Störungen des Befindens begleitet sein
kann, doch nichts Characteristisches und die grösste Aehnlichkeit mit dem Ver-
halten bei Tobsüchtigen. Anfangs, bei acutem Auftreten, werden nicht selten
fieberhafte Zustände, später häufig Schlaflosigkeit, Verstopfung, Steigerung des
Geschlechtstriebs beobachtet.

§. 118.

Die Form des Wahnsinns entwickelt sich ganz, wie die Tob-
sucht, vorzugsweise aus einem vorausgegangenen Stadium melan-
cholicum. Anfangs ist der Exaltationszustand oft längere Zeit zwischen
beiden Formen unbestimmt; mit dem Fixirtwerden einzelner Wahn-
vorstellungen tritt der Kranke in einen wesentlich neuen Zustand
ein und es ist dieser, der confirmirte Wahnsinn, (aus oben gegebenen
Gründen) als eine weit schwerere Affection zu betrachten, denn die
Tobsucht. Je ruhiger der Kranke in seinem äusseren Benehmen
allmählig wieder wird, je mehr der Wechsel falscher Vorstellungen

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[244/0258] Vorkommen und der Verschiedenheit der herrschenden Wahnvorstellungen machen sie verschiedene Anstalten zur Realisirung derselben, es werden Schreiben, Requisitionen, Proclamationen erlassen, grosse Einkäufe gemacht, gnädige Handbillets ausgefertigt, Orden und Titel mit freigebiger Hand ausgetheilt, es wird an weitläufigen Rechnungen und Bauplanen, oder an Schriften und Broschüren zur Reform der Welt gearbeitet etc. Einzelne Kranke sind äusserlich ganz ruhig, ihre Reden und ihr Benehmen zeigen eine hohe, stille Freudigkeit, eine Art innerer, verzückter Schwelgerei in Gefühlen; es sind damit meist Vorstel- lungen einer innigen mystischen Verbindung mit dem Göttlichen, messianische Ideen und dergl. mit (verborgen gehaltenen) Hallucinationen — Engelsgestalten, Stimmen vom Himmel etc. — verbunden. Es ist diess die schwächlichere, sentimentale Form des Wahnsinns, wie solche namentlich bei Onanisten vorkommt. Auch hier aber kann die schwärmerische Freudigkeit, wenn man dem Kranken entgegen- tritt, durch heftige Zornausbrüche, oft mit Drohungen vor göttlichem Gericht und feierlichen Prophezeihungen demnächst eintretender schwerer Strafen, unterbrochen werden. Bei Weibern kommen ähn- liche Zustände innerlicher Verzückung vor, deren Objecte sexuelle Empfindungen und ideale Liebesverhältnisse sind, auch hier oft mit zahlreichen, aber wohl verborgenen Hallucinationen. Je nach dem Vorherrschen einzelner fixer Ideen oder auf Wahnvorstellungen beruhender Bestrebungen hat man auch hier besondere Formen unterschieden und benannt, Theomanie, Erotomanie etc. Die übrigen Symptome haben, wiewohl auch hier die Gehirnkrankheit von den zahlreichsten und mannigfaltigsten Störungen des Befindens begleitet sein kann, doch nichts Characteristisches und die grösste Aehnlichkeit mit dem Ver- halten bei Tobsüchtigen. Anfangs, bei acutem Auftreten, werden nicht selten fieberhafte Zustände, später häufig Schlaflosigkeit, Verstopfung, Steigerung des Geschlechtstriebs beobachtet. §. 118. Die Form des Wahnsinns entwickelt sich ganz, wie die Tob- sucht, vorzugsweise aus einem vorausgegangenen Stadium melan- cholicum. Anfangs ist der Exaltationszustand oft längere Zeit zwischen beiden Formen unbestimmt; mit dem Fixirtwerden einzelner Wahn- vorstellungen tritt der Kranke in einen wesentlich neuen Zustand ein und es ist dieser, der confirmirte Wahnsinn, (aus oben gegebenen Gründen) als eine weit schwerere Affection zu betrachten, denn die Tobsucht. Je ruhiger der Kranke in seinem äusseren Benehmen allmählig wieder wird, je mehr der Wechsel falscher Vorstellungen

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/258>, abgerufen am 09.11.2024.