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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Symptomatologie der Schwermuth.
ängstliche Vorstellungen, die sich aufdringen, falsch seien, eben mit
dem Bewusstsein seines Zustandes innerlich über demselben; aber
da er fühlt, wie es ihm unmöglich ist, anders zu fühlen, zu denken,
zu handeln, wie er des Widerstandes unfähig und dieser unnütz ist,
so erhält er von dieser Ueberwältigung des Ich (§. 26.) die Em-
pfindung des Beherrschtwerdens, des widerstandlosen Hingegebenseins
an fremdartige Einflüsse, dem später die Vorstellungen des Heimfalls
an finstre Mächte, einer geheimen Leitung der Gedanken, des Be-
sessenseins etc. entsprechen.

Die Hemmung der Strebung, welche mit zur Grundstörung der
Melancholie gehört, äussert sich als Unthätigkeit, Verlassen jeden
Geschäfts, stetem Zweifel und Schwanken, Unentschlossenheit, Willen-
losigkeit. In den höheren Graden spricht sich diess als eine wahre
Erstarrung und Stumpfheit, indem kein Eindruck mehr Willensreaction
hervorruft, in den mässigeren Graden als Langsamkeit, Einförmigkeit,
Zaudern in Bewegung und Handlung, Gefühl von Unfähigkeit zur
kleinsten geistigen Arbeit, sobald sie wirklich nach aussen treten soll,
Liegenbleiben im Bette etc. aus.

Häufig sind Gefühle von Beängstigung, welche oft vom Epigastrium,
und der Herzgegend auszugehen und nach oben zu steigen scheinen.
"Hier", so sagen viele dieser Kranken und deuten dabei auf die Magen-
grube, "hier sitzt es wie ein Stein, wäre es doch hier weg! etc."
Diese Angstgefühle steigern sich mitunter zu einem unerträglichen Zu-
stand, einer Verzweiflung, welche dann meistens in Tobsucht-Aus-
brüche übergeht. Ausserdem erscheinen diese Zustände äusserlich
in mannigfacher Gestalt je nach dem früheren Character des Kranken,
nach den psychischen Ursachen, nach begleitenden körperlichen Ano-
malieen etc., bald unter der Mimik des Grams und Kummers, als
stummer Trübsinn, in sich gekehrtes, finstres, passives, verschlossenes
Wesen, bald als laute Selbstanklage, mit Weinen, Händeringen und
höchster Unruhe, bald als krankhafter Eigensinn und hartnäckige Wider-
spenstigkeit, bald als gegen sich selbst gerichteter Zerstörungstrieb.

Einmal äussert sich der Melancholische mit Allem unzufrieden,
findet Alles schlecht und mangelhaft, dann ist ihm wieder alles Aeussere
gleichgültig, da er von seinem Gefühle des eigenen Unglücks und
Leidens ganz in Anspruch genommen ist, oder er äussert wohl auch,
"dass für ihn Alles zu gut sei und dass einem so schlechten Ge-
schöpfe, wie er es sei, nicht verächtlich und geringschätzend genug
begegnet werden könne."

Alle diese Veränderungen in der Stimmung der Melancholischen

Symptomatologie der Schwermuth.
ängstliche Vorstellungen, die sich aufdringen, falsch seien, eben mit
dem Bewusstsein seines Zustandes innerlich über demselben; aber
da er fühlt, wie es ihm unmöglich ist, anders zu fühlen, zu denken,
zu handeln, wie er des Widerstandes unfähig und dieser unnütz ist,
so erhält er von dieser Ueberwältigung des Ich (§. 26.) die Em-
pfindung des Beherrschtwerdens, des widerstandlosen Hingegebenseins
an fremdartige Einflüsse, dem später die Vorstellungen des Heimfalls
an finstre Mächte, einer geheimen Leitung der Gedanken, des Be-
sessenseins etc. entsprechen.

Die Hemmung der Strebung, welche mit zur Grundstörung der
Melancholie gehört, äussert sich als Unthätigkeit, Verlassen jeden
Geschäfts, stetem Zweifel und Schwanken, Unentschlossenheit, Willen-
losigkeit. In den höheren Graden spricht sich diess als eine wahre
Erstarrung und Stumpfheit, indem kein Eindruck mehr Willensreaction
hervorruft, in den mässigeren Graden als Langsamkeit, Einförmigkeit,
Zaudern in Bewegung und Handlung, Gefühl von Unfähigkeit zur
kleinsten geistigen Arbeit, sobald sie wirklich nach aussen treten soll,
Liegenbleiben im Bette etc. aus.

Häufig sind Gefühle von Beängstigung, welche oft vom Epigastrium,
und der Herzgegend auszugehen und nach oben zu steigen scheinen.
„Hier“, so sagen viele dieser Kranken und deuten dabei auf die Magen-
grube, „hier sitzt es wie ein Stein, wäre es doch hier weg! etc.“
Diese Angstgefühle steigern sich mitunter zu einem unerträglichen Zu-
stand, einer Verzweiflung, welche dann meistens in Tobsucht-Aus-
brüche übergeht. Ausserdem erscheinen diese Zustände äusserlich
in mannigfacher Gestalt je nach dem früheren Character des Kranken,
nach den psychischen Ursachen, nach begleitenden körperlichen Ano-
malieen etc., bald unter der Mimik des Grams und Kummers, als
stummer Trübsinn, in sich gekehrtes, finstres, passives, verschlossenes
Wesen, bald als laute Selbstanklage, mit Weinen, Händeringen und
höchster Unruhe, bald als krankhafter Eigensinn und hartnäckige Wider-
spenstigkeit, bald als gegen sich selbst gerichteter Zerstörungstrieb.

Einmal äussert sich der Melancholische mit Allem unzufrieden,
findet Alles schlecht und mangelhaft, dann ist ihm wieder alles Aeussere
gleichgültig, da er von seinem Gefühle des eigenen Unglücks und
Leidens ganz in Anspruch genommen ist, oder er äussert wohl auch,
„dass für ihn Alles zu gut sei und dass einem so schlechten Ge-
schöpfe, wie er es sei, nicht verächtlich und geringschätzend genug
begegnet werden könne.“

Alle diese Veränderungen in der Stimmung der Melancholischen

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[168/0182] Symptomatologie der Schwermuth. ängstliche Vorstellungen, die sich aufdringen, falsch seien, eben mit dem Bewusstsein seines Zustandes innerlich über demselben; aber da er fühlt, wie es ihm unmöglich ist, anders zu fühlen, zu denken, zu handeln, wie er des Widerstandes unfähig und dieser unnütz ist, so erhält er von dieser Ueberwältigung des Ich (§. 26.) die Em- pfindung des Beherrschtwerdens, des widerstandlosen Hingegebenseins an fremdartige Einflüsse, dem später die Vorstellungen des Heimfalls an finstre Mächte, einer geheimen Leitung der Gedanken, des Be- sessenseins etc. entsprechen. Die Hemmung der Strebung, welche mit zur Grundstörung der Melancholie gehört, äussert sich als Unthätigkeit, Verlassen jeden Geschäfts, stetem Zweifel und Schwanken, Unentschlossenheit, Willen- losigkeit. In den höheren Graden spricht sich diess als eine wahre Erstarrung und Stumpfheit, indem kein Eindruck mehr Willensreaction hervorruft, in den mässigeren Graden als Langsamkeit, Einförmigkeit, Zaudern in Bewegung und Handlung, Gefühl von Unfähigkeit zur kleinsten geistigen Arbeit, sobald sie wirklich nach aussen treten soll, Liegenbleiben im Bette etc. aus. Häufig sind Gefühle von Beängstigung, welche oft vom Epigastrium, und der Herzgegend auszugehen und nach oben zu steigen scheinen. „Hier“, so sagen viele dieser Kranken und deuten dabei auf die Magen- grube, „hier sitzt es wie ein Stein, wäre es doch hier weg! etc.“ Diese Angstgefühle steigern sich mitunter zu einem unerträglichen Zu- stand, einer Verzweiflung, welche dann meistens in Tobsucht-Aus- brüche übergeht. Ausserdem erscheinen diese Zustände äusserlich in mannigfacher Gestalt je nach dem früheren Character des Kranken, nach den psychischen Ursachen, nach begleitenden körperlichen Ano- malieen etc., bald unter der Mimik des Grams und Kummers, als stummer Trübsinn, in sich gekehrtes, finstres, passives, verschlossenes Wesen, bald als laute Selbstanklage, mit Weinen, Händeringen und höchster Unruhe, bald als krankhafter Eigensinn und hartnäckige Wider- spenstigkeit, bald als gegen sich selbst gerichteter Zerstörungstrieb. Einmal äussert sich der Melancholische mit Allem unzufrieden, findet Alles schlecht und mangelhaft, dann ist ihm wieder alles Aeussere gleichgültig, da er von seinem Gefühle des eigenen Unglücks und Leidens ganz in Anspruch genommen ist, oder er äussert wohl auch, „dass für ihn Alles zu gut sei und dass einem so schlechten Ge- schöpfe, wie er es sei, nicht verächtlich und geringschätzend genug begegnet werden könne.“ Alle diese Veränderungen in der Stimmung der Melancholischen

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/182>, abgerufen am 24.11.2024.