Diese letzteren Fälle scheinen namentlich die Entstehung der gewöhnlichen, mehr chronischen Geisteskrankheiten zu begünstigen, während es zur Entstehung des s. g. Delirium tremens weit weniger der Mitwirkung solcher widriger psychischer Einflüsse -- wo sie vorhanden sind, ist desshalb ihre Wirkung nicht gering anzuschlagen -- zu bedürfen scheint. Die leztere Form entsteht auch sehr häufig unter Umständen, welche bei Säufern eine plötzliche gezwungene Ent- haltsamkeit und schwächende Behandlung nothwendig machten; sie bildet namentlich eine unangenehme Complication der acuten Krankheiten (Pmeumonie) der Säufer, während unsers Wissens eine Ausbildung eines mehr chronischen Irreseins niemals dadurch beobachtet wird, dass, sei es freiwillig oder gezwungen, die Gewohnheit des Trinkens plötzlich unterbrochen wird.
Dass jeder höhere Grad von Berauschung, als ein traumartiger Zustand mit zahlreichen Illusionen und Hallucinationen, schon an und für sich ein wirkliches Irresein darstellt, versteht sich von selbst; zuweilen sieht man, wie einzelne Indi- viduen, schon nach verhältnissmässig geringem Genuss des Spirituosa, jedesmal nicht gerade in tiefe Berauschung, sondern bei wohl erhaltenem Bewusstsein, in grosse Neigung zu ganz extravaganten, tollen und närrischen Streichen gerathen: ein Umstand, der wohl als ein Zeichen von Prädisposition zu Geisteskrankheit zu betrachten ist. Mitunter brechen bei Betrunkenen plötzliche convulsivische Zu- stände, ähnlich epileptischen Anfällen aus, denen bald ein Zustand von Gedanken- losigkeit und ruhigem Delirium, bald Ausbrüche heftiger Raserei folgen, was man die convulsivische Form des Rausches genannt hat. *)
Der Gewohnheitssäufer, bei dem es schon weit gekommen ist, zeigt übrigens auch, wenn er gerade nicht betrunken ist, viele Merkmale, die auf ein fort- dauerndes chronisches Gehirnleiden hinweisen und die ihn den Geisteskranken sehr nähern, wie denn auch sein Zustand ganz allmählig in Irresein, namentlich Blödsinn übergehen kann und im Gehirne des habituellen Säufers sich, wie bei vielen Irren die Resultate passiver Stasen, die chronisch entstandenen Trübungen und Verdickungen der zarten Hirnhäute, constant vorfinden. Der durch Gewohnheit unterhaltene Trieb ist im Säufer so mächtig, die Vorstellungen, die ihm entge- gentreten könnten, sind so schwach und damit der Wille so lahm geworden, dass er, obwohl er weiss, wie er sich entehrt und verächtlich macht, wie er seine Gesundheit untergräbt, seinen häuslichen Frieden zerstört, sein Geschäft zerrüttet, doch jeden Tag wieder den vielleicht gefassten guten Vorsatz hintansetzt. Die Eingenommenheit, der Schwindel, die Stumpfheit der Sinne, die Muskelschwäche, die Magenbeschwerden, an denen er leidet, werden durch den jedesmaligen Ge- nuss momentan beschwichtigt, und gerade dadurch, dass jeden Tag wieder solchen Leiden abzuhelfen ist, scheint sich die Trunksucht häufig zu befestigen. Wie aber tiefere psychische Erregungen sehr häufig noch im Stande sind, den er- schlafften Willen wieder aufzurichten, wie einerseits Beschämung, Reue, das erweckte Bewusstsein des Ekels und Abscheus, den der Trunkenbold erregt, andrerseits die Aussicht auf sittliche und bürgerliche Rehabilitation zu geistigen Triebfedern einer völligen Rückkehr werden können, das zeigt das grosse Bei- spiel der Mässigkeitsvereine, wo der geschwächte Wille des Einzelnen in der
*) S. Marc, die Geisteskrankhtn. II. p. 431. Drake in Nasses Zeitschr. f. Anthropologie. 1824. p. 224. seqq.
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als Ursache des Irreseins.
Diese letzteren Fälle scheinen namentlich die Entstehung der gewöhnlichen, mehr chronischen Geisteskrankheiten zu begünstigen, während es zur Entstehung des s. g. Delirium tremens weit weniger der Mitwirkung solcher widriger psychischer Einflüsse — wo sie vorhanden sind, ist desshalb ihre Wirkung nicht gering anzuschlagen — zu bedürfen scheint. Die leztere Form entsteht auch sehr häufig unter Umständen, welche bei Säufern eine plötzliche gezwungene Ent- haltsamkeit und schwächende Behandlung nothwendig machten; sie bildet namentlich eine unangenehme Complication der acuten Krankheiten (Pmeumonie) der Säufer, während unsers Wissens eine Ausbildung eines mehr chronischen Irreseins niemals dadurch beobachtet wird, dass, sei es freiwillig oder gezwungen, die Gewohnheit des Trinkens plötzlich unterbrochen wird.
Dass jeder höhere Grad von Berauschung, als ein traumartiger Zustand mit zahlreichen Illusionen und Hallucinationen, schon an und für sich ein wirkliches Irresein darstellt, versteht sich von selbst; zuweilen sieht man, wie einzelne Indi- viduen, schon nach verhältnissmässig geringem Genuss des Spirituosa, jedesmal nicht gerade in tiefe Berauschung, sondern bei wohl erhaltenem Bewusstsein, in grosse Neigung zu ganz extravaganten, tollen und närrischen Streichen gerathen: ein Umstand, der wohl als ein Zeichen von Prädisposition zu Geisteskrankheit zu betrachten ist. Mitunter brechen bei Betrunkenen plötzliche convulsivische Zu- stände, ähnlich epileptischen Anfällen aus, denen bald ein Zustand von Gedanken- losigkeit und ruhigem Delirium, bald Ausbrüche heftiger Raserei folgen, was man die convulsivische Form des Rausches genannt hat. *)
Der Gewohnheitssäufer, bei dem es schon weit gekommen ist, zeigt übrigens auch, wenn er gerade nicht betrunken ist, viele Merkmale, die auf ein fort- dauerndes chronisches Gehirnleiden hinweisen und die ihn den Geisteskranken sehr nähern, wie denn auch sein Zustand ganz allmählig in Irresein, namentlich Blödsinn übergehen kann und im Gehirne des habituellen Säufers sich, wie bei vielen Irren die Resultate passiver Stasen, die chronisch entstandenen Trübungen und Verdickungen der zarten Hirnhäute, constant vorfinden. Der durch Gewohnheit unterhaltene Trieb ist im Säufer so mächtig, die Vorstellungen, die ihm entge- gentreten könnten, sind so schwach und damit der Wille so lahm geworden, dass er, obwohl er weiss, wie er sich entehrt und verächtlich macht, wie er seine Gesundheit untergräbt, seinen häuslichen Frieden zerstört, sein Geschäft zerrüttet, doch jeden Tag wieder den vielleicht gefassten guten Vorsatz hintansetzt. Die Eingenommenheit, der Schwindel, die Stumpfheit der Sinne, die Muskelschwäche, die Magenbeschwerden, an denen er leidet, werden durch den jedesmaligen Ge- nuss momentan beschwichtigt, und gerade dadurch, dass jeden Tag wieder solchen Leiden abzuhelfen ist, scheint sich die Trunksucht häufig zu befestigen. Wie aber tiefere psychische Erregungen sehr häufig noch im Stande sind, den er- schlafften Willen wieder aufzurichten, wie einerseits Beschämung, Reue, das erweckte Bewusstsein des Ekels und Abscheus, den der Trunkenbold erregt, andrerseits die Aussicht auf sittliche und bürgerliche Rehabilitation zu geistigen Triebfedern einer völligen Rückkehr werden können, das zeigt das grosse Bei- spiel der Mässigkeitsvereine, wo der geschwächte Wille des Einzelnen in der
*) S. Marc, die Geisteskrankhtn. II. p. 431. Drake in Nasses Zeitschr. f. Anthropologie. 1824. p. 224. seqq.
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als Ursache des Irreseins.
Diese letzteren Fälle scheinen namentlich die Entstehung der gewöhnlichen,
mehr chronischen Geisteskrankheiten zu begünstigen, während es zur Entstehung
des s. g. Delirium tremens weit weniger der Mitwirkung solcher widriger
psychischer Einflüsse — wo sie vorhanden sind, ist desshalb ihre Wirkung nicht
gering anzuschlagen — zu bedürfen scheint. Die leztere Form entsteht auch
sehr häufig unter Umständen, welche bei Säufern eine plötzliche gezwungene Ent-
haltsamkeit und schwächende Behandlung nothwendig machten; sie bildet namentlich
eine unangenehme Complication der acuten Krankheiten (Pmeumonie) der Säufer,
während unsers Wissens eine Ausbildung eines mehr chronischen Irreseins niemals
dadurch beobachtet wird, dass, sei es freiwillig oder gezwungen, die Gewohnheit
des Trinkens plötzlich unterbrochen wird.
Dass jeder höhere Grad von Berauschung, als ein traumartiger Zustand mit
zahlreichen Illusionen und Hallucinationen, schon an und für sich ein wirkliches
Irresein darstellt, versteht sich von selbst; zuweilen sieht man, wie einzelne Indi-
viduen, schon nach verhältnissmässig geringem Genuss des Spirituosa, jedesmal
nicht gerade in tiefe Berauschung, sondern bei wohl erhaltenem Bewusstsein, in
grosse Neigung zu ganz extravaganten, tollen und närrischen Streichen gerathen:
ein Umstand, der wohl als ein Zeichen von Prädisposition zu Geisteskrankheit zu
betrachten ist. Mitunter brechen bei Betrunkenen plötzliche convulsivische Zu-
stände, ähnlich epileptischen Anfällen aus, denen bald ein Zustand von Gedanken-
losigkeit und ruhigem Delirium, bald Ausbrüche heftiger Raserei folgen, was
man die convulsivische Form des Rausches genannt hat. *)
Der Gewohnheitssäufer, bei dem es schon weit gekommen ist, zeigt übrigens
auch, wenn er gerade nicht betrunken ist, viele Merkmale, die auf ein fort-
dauerndes chronisches Gehirnleiden hinweisen und die ihn den Geisteskranken
sehr nähern, wie denn auch sein Zustand ganz allmählig in Irresein, namentlich
Blödsinn übergehen kann und im Gehirne des habituellen Säufers sich, wie bei
vielen Irren die Resultate passiver Stasen, die chronisch entstandenen Trübungen
und Verdickungen der zarten Hirnhäute, constant vorfinden. Der durch Gewohnheit
unterhaltene Trieb ist im Säufer so mächtig, die Vorstellungen, die ihm entge-
gentreten könnten, sind so schwach und damit der Wille so lahm geworden, dass
er, obwohl er weiss, wie er sich entehrt und verächtlich macht, wie er seine
Gesundheit untergräbt, seinen häuslichen Frieden zerstört, sein Geschäft zerrüttet,
doch jeden Tag wieder den vielleicht gefassten guten Vorsatz hintansetzt. Die
Eingenommenheit, der Schwindel, die Stumpfheit der Sinne, die Muskelschwäche,
die Magenbeschwerden, an denen er leidet, werden durch den jedesmaligen Ge-
nuss momentan beschwichtigt, und gerade dadurch, dass jeden Tag wieder solchen
Leiden abzuhelfen ist, scheint sich die Trunksucht häufig zu befestigen. Wie
aber tiefere psychische Erregungen sehr häufig noch im Stande sind, den er-
schlafften Willen wieder aufzurichten, wie einerseits Beschämung, Reue, das
erweckte Bewusstsein des Ekels und Abscheus, den der Trunkenbold erregt,
andrerseits die Aussicht auf sittliche und bürgerliche Rehabilitation zu geistigen
Triebfedern einer völligen Rückkehr werden können, das zeigt das grosse Bei-
spiel der Mässigkeitsvereine, wo der geschwächte Wille des Einzelnen in der
*) S. Marc, die Geisteskrankhtn. II. p. 431. Drake in Nasses Zeitschr. f.
Anthropologie. 1824. p. 224. seqq.
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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/145>, abgerufen am 25.11.2024.
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