Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.Die nervöse Constitution. anhaltende Reizung grösserer oder kleinerer Abschnitte des Gehirnswirken, sofern sie nicht (s. unten §. 78) erst durch Umwege deutero- pathische Gehirnaffectionen veranlassen. Die Fälle sind verhältnissmässig selten, aber nicht zu läugnen, Nach dem in diesen beiden §§. Gesagten können wir von einer weiteren Ausser den angeführten Umständen muss man nun eine Menge schwererer, Dass ein früher schon einmal bestandenes, aber geheiltes Irresein zu einem Die nervöse Constitution. anhaltende Reizung grösserer oder kleinerer Abschnitte des Gehirnswirken, sofern sie nicht (s. unten §. 78) erst durch Umwege deutero- pathische Gehirnaffectionen veranlassen. Die Fälle sind verhältnissmässig selten, aber nicht zu läugnen, Nach dem in diesen beiden §§. Gesagten können wir von einer weiteren Ausser den angeführten Umständen muss man nun eine Menge schwererer, Dass ein früher schon einmal bestandenes, aber geheiltes Irresein zu einem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0134" n="120"/><fw place="top" type="header">Die nervöse Constitution.</fw><lb/> anhaltende Reizung grösserer oder kleinerer Abschnitte des Gehirns<lb/> wirken, sofern sie nicht (s. unten §. 78) erst durch Umwege deutero-<lb/> pathische Gehirnaffectionen veranlassen.</p><lb/> <p>Die Fälle sind verhältnissmässig selten, aber nicht zu läugnen,<lb/> wo in ganz langsamer, allmähliger Entwickelung solche psychische<lb/> Anomalieen ohne weiter nachweisbare schädliche Einflüsse in ent-<lb/> schiedenes Irresein übergehen; weit gewöhnlicher bildet die nervöse<lb/> Constitution nur eine Disposition, zu der noch etwas anderes, eine<lb/> wirkliche Ursache, sei es eine weitere körperliche Erkrankung oder<lb/> ein psychisches Moment hinzutreten muss, damit die leichte Störbarkeit<lb/> zur wirklichen Störung, die mässigeren psychischen Abweichungen<lb/> zu tieferem Irresein, zu einer wirklichen Gehirnkrankheit werden.</p><lb/> <p>Nach dem in diesen beiden §§. Gesagten können wir von einer weiteren<lb/> Besprechung der sogenannten <hi rendition="#g">Temperamente</hi>, insofern sie etwa zu Geistes-<lb/> krankheiten disponiren sollen, abstehen. Wir so wenig als manche andere<lb/> geschätzte Forscher (Gall, Georget, Lotze u. A.) vermögen diesen 4 Categorieen,<lb/> ursprünglich aus der dunkelsten Humoralpathologie hervorgegangen und niemals<lb/> zu empirischem Nachweis oder nur der mindesten practischen Brauchbarkeit ge-<lb/> bracht, irgend einen Werth beizulegen.</p><lb/> <p>Ausser den angeführten Umständen muss man nun eine Menge schwererer,<lb/> chronischer Krankheiten als somatisch prädisponirende Momente betrachten. Wie<lb/> bemerkt entstehen die Geisteskrankheiten gewöhnlich unter dem Einflusse mehr-<lb/> facher, zusammenwirkender ungünstiger Verhältnisse; dass im einzelnen Falle<lb/> gerade hier, unter gewissen gegebenen Umständen eine solche Gehirnkrankheit<lb/> ausbricht, darauf kann eine früher vorhandene Beeinträchtigung des allgemeinen<lb/> Gesundheitszustandes durch eine chronische anderweitige Krankheit nicht ohne<lb/> Einfluss sein. Nur davor muss gewarnt werden, nicht ohne den nöthigen patho-<lb/> logischen Erweis auf einzelne leichte oder missdeutete Symptome hin, schwere,<lb/> chronische Allgemeinkrankheiten zu hypostasiren, weil solche Annahmen so häufig<lb/> zu überflüssigen und gewaltthätigen Arzneikuren führen. Es wäre eine Wieder-<lb/> holung der ganzen speciellen Pathologie, wenn hier alle diese Erkrankungen<lb/> aufgezählt werden sollten; die hauptsächlichsten werden unter den somatischen<lb/> Ursachen mit näherer Besprechung ihrer Wirkungsweise bei Erzeugung des Irre-<lb/> seins erwähnt werden; hier soll nur nochmals an die innere Untrennbarkeit der<lb/> disponirenden und der im engeren Sinne ursächlichen Momente erinnert werden.</p><lb/> <p>Dass ein früher schon einmal bestandenes, aber geheiltes Irresein zu einem<lb/> neuen Erkranken disponire, wird keiner weiteren Erörterung bedürfen. Ueber<lb/> Rückfälle S. das Capitel von der Prognose.</p> </div> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [120/0134]
Die nervöse Constitution.
anhaltende Reizung grösserer oder kleinerer Abschnitte des Gehirns
wirken, sofern sie nicht (s. unten §. 78) erst durch Umwege deutero-
pathische Gehirnaffectionen veranlassen.
Die Fälle sind verhältnissmässig selten, aber nicht zu läugnen,
wo in ganz langsamer, allmähliger Entwickelung solche psychische
Anomalieen ohne weiter nachweisbare schädliche Einflüsse in ent-
schiedenes Irresein übergehen; weit gewöhnlicher bildet die nervöse
Constitution nur eine Disposition, zu der noch etwas anderes, eine
wirkliche Ursache, sei es eine weitere körperliche Erkrankung oder
ein psychisches Moment hinzutreten muss, damit die leichte Störbarkeit
zur wirklichen Störung, die mässigeren psychischen Abweichungen
zu tieferem Irresein, zu einer wirklichen Gehirnkrankheit werden.
Nach dem in diesen beiden §§. Gesagten können wir von einer weiteren
Besprechung der sogenannten Temperamente, insofern sie etwa zu Geistes-
krankheiten disponiren sollen, abstehen. Wir so wenig als manche andere
geschätzte Forscher (Gall, Georget, Lotze u. A.) vermögen diesen 4 Categorieen,
ursprünglich aus der dunkelsten Humoralpathologie hervorgegangen und niemals
zu empirischem Nachweis oder nur der mindesten practischen Brauchbarkeit ge-
bracht, irgend einen Werth beizulegen.
Ausser den angeführten Umständen muss man nun eine Menge schwererer,
chronischer Krankheiten als somatisch prädisponirende Momente betrachten. Wie
bemerkt entstehen die Geisteskrankheiten gewöhnlich unter dem Einflusse mehr-
facher, zusammenwirkender ungünstiger Verhältnisse; dass im einzelnen Falle
gerade hier, unter gewissen gegebenen Umständen eine solche Gehirnkrankheit
ausbricht, darauf kann eine früher vorhandene Beeinträchtigung des allgemeinen
Gesundheitszustandes durch eine chronische anderweitige Krankheit nicht ohne
Einfluss sein. Nur davor muss gewarnt werden, nicht ohne den nöthigen patho-
logischen Erweis auf einzelne leichte oder missdeutete Symptome hin, schwere,
chronische Allgemeinkrankheiten zu hypostasiren, weil solche Annahmen so häufig
zu überflüssigen und gewaltthätigen Arzneikuren führen. Es wäre eine Wieder-
holung der ganzen speciellen Pathologie, wenn hier alle diese Erkrankungen
aufgezählt werden sollten; die hauptsächlichsten werden unter den somatischen
Ursachen mit näherer Besprechung ihrer Wirkungsweise bei Erzeugung des Irre-
seins erwähnt werden; hier soll nur nochmals an die innere Untrennbarkeit der
disponirenden und der im engeren Sinne ursächlichen Momente erinnert werden.
Dass ein früher schon einmal bestandenes, aber geheiltes Irresein zu einem
neuen Erkranken disponire, wird keiner weiteren Erörterung bedürfen. Ueber
Rückfälle S. das Capitel von der Prognose.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |