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Celander [i. e. Gressel, Johann Georg]: Verliebte-Galante/ Sinn-Vermischte und Grab-Gedichte. Hamburg u. a., 1716.

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Vermischte Gedichte.
Der Weinstock liebt den Ulm/ weil er die Rinde küßt/
Das Epheu schlinget sich in Felsen harte Mauren/
Dian' und Nereus zeugt das Cypris mächtig ist
Vor Amors Pfeilen kan Medusens Haupt nicht dauren.
Es zündet ihm die Welt viel tausend Opffer an/
Der Mutter siegt er ob/ und macht sie selber brennen/
Da doch der grosse Zeus der Mutter unterthan/
Ja es erhitzt so gar Cupidens blosses nennen.
Das auffgefrorne Meer/ als ein gethürmter Berg
Hegt Amors heisse Gluth in seinen kalten Wellen/
Das Löwens grimme Macht/ und seine wilde Stärck/
Kan ihm der Venus-Sohn in Lammes-Art verstellen.
Jndeme nun mein Geist auf Amors Wirckung dacht'/
Und seine Wunder-Krafft im Hertzen überlegte/
Ward mir von Aretin ein grosses Buch gebracht
Das vieler Helden-Schrifft in seinen Blättern hegte/
So ihr gelehrter Kiel aufs weisse Blat gepflügt.
Er sprach: Hier must du auch ein Ehren-Denck-Mahl setzen.
Wie so? ersetzte ich/ wird denn auch beygefügt
Ein ungelehrter Spruch/ den klugen Wunder-Schätzen?
Doch/ daß man über mich nicht aller Orten klagt/
So schreibe ich ins Buch nur wenig keusche Zeilen.
Schreib was/ und wie du wilt/ es ist dir unversagt
Sprach Aretin, mach fort du darffst dich nicht verweilen.
Hierauf nahm ich zur Hand Buch/ Dinte und den Kiel
Und schrieb auf eine Schrifft an einem reinen Orte/
Sie füllete den Raum bis zum gezeichten Ziel
Und hegte/ wo mir recht/ fast eben diese Worte:
"Jch flieh den süssen Klang der schmeichelnden Sirene,
"Und stopffe mein Gehör mit der Verachtung zu;
"Jch binde die Begierd mit der Enthaltungs-Sehne/
"Am Mast-Baum der Vernunfft/ und gebe mich zur Ruh.
"Jch wende meinen Lauff von den verborgnen Klippen/
"Und lenck mein Sinnen-Schiff nach reiner Keuschheit hin/
"Mein Bau begehret nicht auf ihren falschen Lippen
"Den Untergang zu sehn; des ich gewisser bin
"Als Nacht und Sonnenschein sich um einander zeiget/
"Als eine Woch' ein Jahr sich Wechsel-weise küßt.
"Denn
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Vermiſchte Gedichte.
Der Weinſtock liebt den Ulm/ weil er die Rinde kuͤßt/
Das Epheu ſchlinget ſich in Felſen harte Mauren/
Dian’ und Nereus zeugt das Cypris maͤchtig iſt
Vor Amors Pfeilen kan Meduſens Haupt nicht dauren.
Es zuͤndet ihm die Welt viel tauſend Opffer an/
Der Mutter ſiegt er ob/ und macht ſie ſelber brennen/
Da doch der groſſe Zeus der Mutter unterthan/
Ja es erhitzt ſo gar Cupidens bloſſes nennen.
Das auffgefrorne Meer/ als ein gethuͤrmter Berg
Hegt Amors heiſſe Gluth in ſeinen kalten Wellen/
Das Loͤwens grimme Macht/ und ſeine wilde Staͤrck/
Kan ihm der Venus-Sohn in Lammes-Art verſtellen.
Jndeme nun mein Geiſt auf Amors Wirckung dacht’/
Und ſeine Wunder-Krafft im Hertzen uͤberlegte/
Ward mir von Aretin ein groſſes Buch gebracht
Das vieler Helden-Schrifft in ſeinen Blaͤttern hegte/
So ihr gelehrter Kiel aufs weiſſe Blat gepfluͤgt.
Er ſprach: Hier muſt du auch ein Ehren-Denck-Mahl ſetzen.
Wie ſo? erſetzte ich/ wird denn auch beygefuͤgt
Ein ungelehrter Spruch/ den klugen Wunder-Schaͤtzen?
Doch/ daß man uͤber mich nicht aller Orten klagt/
So ſchreibe ich ins Buch nur wenig keuſche Zeilen.
Schreib was/ und wie du wilt/ es iſt dir unverſagt
Sprach Aretin, mach fort du darffſt dich nicht verweilen.
Hierauf nahm ich zur Hand Buch/ Dinte und den Kiel
Und ſchrieb auf eine Schrifft an einem reinen Orte/
Sie fuͤllete den Raum bis zum gezeichten Ziel
Und hegte/ wo mir recht/ faſt eben dieſe Worte:
„Jch flieh den ſuͤſſen Klang der ſchmeichelnden Sirene,
„Und ſtopffe mein Gehoͤr mit der Verachtung zu;
„Jch binde die Begierd mit der Enthaltungs-Sehne/
„Am Maſt-Baum der Vernunfft/ und gebe mich zur Ruh.
„Jch wende meinen Lauff von den verborgnen Klippen/
„Und lenck mein Sinnen-Schiff nach reiner Keuſchheit hin/
„Mein Bau begehret nicht auf ihren falſchen Lippen
„Den Untergang zu ſehn; des ich gewiſſer bin
„Als Nacht und Sonnenſchein ſich um einander zeiget/
„Als eine Woch’ ein Jahr ſich Wechſel-weiſe kuͤßt.
„Denn
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[387/0405] Vermiſchte Gedichte. Der Weinſtock liebt den Ulm/ weil er die Rinde kuͤßt/ Das Epheu ſchlinget ſich in Felſen harte Mauren/ Dian’ und Nereus zeugt das Cypris maͤchtig iſt Vor Amors Pfeilen kan Meduſens Haupt nicht dauren. Es zuͤndet ihm die Welt viel tauſend Opffer an/ Der Mutter ſiegt er ob/ und macht ſie ſelber brennen/ Da doch der groſſe Zeus der Mutter unterthan/ Ja es erhitzt ſo gar Cupidens bloſſes nennen. Das auffgefrorne Meer/ als ein gethuͤrmter Berg Hegt Amors heiſſe Gluth in ſeinen kalten Wellen/ Das Loͤwens grimme Macht/ und ſeine wilde Staͤrck/ Kan ihm der Venus-Sohn in Lammes-Art verſtellen. Jndeme nun mein Geiſt auf Amors Wirckung dacht’/ Und ſeine Wunder-Krafft im Hertzen uͤberlegte/ Ward mir von Aretin ein groſſes Buch gebracht Das vieler Helden-Schrifft in ſeinen Blaͤttern hegte/ So ihr gelehrter Kiel aufs weiſſe Blat gepfluͤgt. Er ſprach: Hier muſt du auch ein Ehren-Denck-Mahl ſetzen. Wie ſo? erſetzte ich/ wird denn auch beygefuͤgt Ein ungelehrter Spruch/ den klugen Wunder-Schaͤtzen? Doch/ daß man uͤber mich nicht aller Orten klagt/ So ſchreibe ich ins Buch nur wenig keuſche Zeilen. Schreib was/ und wie du wilt/ es iſt dir unverſagt Sprach Aretin, mach fort du darffſt dich nicht verweilen. Hierauf nahm ich zur Hand Buch/ Dinte und den Kiel Und ſchrieb auf eine Schrifft an einem reinen Orte/ Sie fuͤllete den Raum bis zum gezeichten Ziel Und hegte/ wo mir recht/ faſt eben dieſe Worte: „Jch flieh den ſuͤſſen Klang der ſchmeichelnden Sirene, „Und ſtopffe mein Gehoͤr mit der Verachtung zu; „Jch binde die Begierd mit der Enthaltungs-Sehne/ „Am Maſt-Baum der Vernunfft/ und gebe mich zur Ruh. „Jch wende meinen Lauff von den verborgnen Klippen/ „Und lenck mein Sinnen-Schiff nach reiner Keuſchheit hin/ „Mein Bau begehret nicht auf ihren falſchen Lippen „Den Untergang zu ſehn; des ich gewiſſer bin „Als Nacht und Sonnenſchein ſich um einander zeiget/ „Als eine Woch’ ein Jahr ſich Wechſel-weiſe kuͤßt. „Denn B b 2

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Zitationshilfe: Celander [i. e. Gressel, Johann Georg]: Verliebte-Galante/ Sinn-Vermischte und Grab-Gedichte. Hamburg u. a., 1716, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gressel_grabgedichte_1716/405>, abgerufen am 20.05.2024.