Celander [i. e. Gressel, Johann Georg]: Verliebte-Galante/ Sinn-Vermischte und Grab-Gedichte. Hamburg u. a., 1716.IV. Vermischte Gedichte. Tempel der Liebe. Füngst als das Sonnen-Licht in letzten Zügen lag Da sich sein Purpur-Schein nach blauen Wellen lenckte/ Da schon die Demmerung aus grauen Wolcken brach/ Und den geflammten Glantz in Thetys Schooß versenckte. Da stützte ich mein Haupt auf den ermüdten Arm Den Sorgen zu entgehn/ die Geister zu erfrischen/ Und das beklummne Hertz aus der Gedancken-Schwarm Durch Frölichkeit zu ziehn/ und Lustbarkeit zu mischen Jn Kummer-volle Angst damit mein Schicksahl glüht. Jndessen überspann ein Nebel das Gesichte/ Ein Schlaff/ der alle Macht dem müden Leib entzieht/ Nam mir im Augenblick die meisten Lebens-Früchte. Mein Haupt das senckte sich von der erstarrten Hand/ Mein Leichnam stellte für den rechten Todes-Schatten/ Mein Geist verreißte fast ins Elyseer-Land Und wolt' in Charons Kahn sich mit den Geistern gatten. Jnzwischen traumte mir/ wie ich da schiffend fuhr Wo in des Nereus Fluth die schwimmenden Najaden Jn lauter Marmor-Milch entdeckten ihre Spuhr Mir selbsten kahm die Lust in dieser See zu baden/ Wie ich denn auch so fort mein morsches Schiff verließ/ Und mich der sanfften Fluth in ihre Schooß vertraute Ein kühler Anmuths-Wind das weiche Meer auffbließ/ Worauf ich mich sofort in einem Lande schaute; Wo ich ein Frembdling war/ mir war kein Weg bekannt/ Wo sonst die Dornen stehn/ da zeigten sich die Rosen/ Vor
IV. Vermiſchte Gedichte. Tempel der Liebe. Fuͤngſt als das Sonnen-Licht in letzten Zuͤgen lag Da ſich ſein Purpur-Schein nach blauen Wellen lenckte/ Da ſchon die Demmerung aus grauen Wolcken brach/ Und den geflammten Glantz in Thetys Schooß verſenckte. Da ſtuͤtzte ich mein Haupt auf den ermuͤdten Arm Den Sorgen zu entgehn/ die Geiſter zu erfriſchen/ Und das beklummne Hertz aus der Gedancken-Schwarm Durch Froͤlichkeit zu ziehn/ und Luſtbarkeit zu miſchen Jn Kummer-volle Angſt damit mein Schickſahl gluͤht. Jndeſſen uͤberſpann ein Nebel das Geſichte/ Ein Schlaff/ der alle Macht dem muͤden Leib entzieht/ Nam mir im Augenblick die meiſten Lebens-Fruͤchte. Mein Haupt das ſenckte ſich von der erſtarrten Hand/ Mein Leichnam ſtellte fuͤr den rechten Todes-Schatten/ Mein Geiſt verreißte faſt ins Elyſeer-Land Und wolt’ in Charons Kahn ſich mit den Geiſtern gatten. Jnzwiſchen traumte mir/ wie ich da ſchiffend fuhr Wo in des Nereus Fluth die ſchwimmenden Najaden Jn lauter Marmor-Milch entdeckten ihre Spuhr Mir ſelbſten kahm die Luſt in dieſer See zu baden/ Wie ich denn auch ſo fort mein morſches Schiff verließ/ Und mich der ſanfften Fluth in ihre Schooß vertraute Ein kuͤhler Anmuths-Wind das weiche Meer auffbließ/ Worauf ich mich ſofort in einem Lande ſchaute; Wo ich ein Frembdling war/ mir war kein Weg bekannt/ Wo ſonſt die Dornen ſtehn/ da zeigten ſich die Roſen/ Vor
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IV.
Vermiſchte
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Und den geflammten Glantz in Thetys Schooß verſenckte.
Da ſtuͤtzte ich mein Haupt auf den ermuͤdten Arm
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Durch Froͤlichkeit zu ziehn/ und Luſtbarkeit zu miſchen
Jn Kummer-volle Angſt damit mein Schickſahl gluͤht.
Jndeſſen uͤberſpann ein Nebel das Geſichte/
Ein Schlaff/ der alle Macht dem muͤden Leib entzieht/
Nam mir im Augenblick die meiſten Lebens-Fruͤchte.
Mein Haupt das ſenckte ſich von der erſtarrten Hand/
Mein Leichnam ſtellte fuͤr den rechten Todes-Schatten/
Mein Geiſt verreißte faſt ins Elyſeer-Land
Und wolt’ in Charons Kahn ſich mit den Geiſtern gatten.
Jnzwiſchen traumte mir/ wie ich da ſchiffend fuhr
Wo in des Nereus Fluth die ſchwimmenden Najaden
Jn lauter Marmor-Milch entdeckten ihre Spuhr
Mir ſelbſten kahm die Luſt in dieſer See zu baden/
Wie ich denn auch ſo fort mein morſches Schiff verließ/
Und mich der ſanfften Fluth in ihre Schooß vertraute
Ein kuͤhler Anmuths-Wind das weiche Meer auffbließ/
Worauf ich mich ſofort in einem Lande ſchaute;
Wo ich ein Frembdling war/ mir war kein Weg bekannt/
Wo ſonſt die Dornen ſtehn/ da zeigten ſich die Roſen/
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Zitationshilfe: | Celander [i. e. Gressel, Johann Georg]: Verliebte-Galante/ Sinn-Vermischte und Grab-Gedichte. Hamburg u. a., 1716, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gressel_grabgedichte_1716/401>, abgerufen am 22.07.2024. |