Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.Bethmanns Schatten Es wäre grausam, auch die anderen Teile des Plaidoyers so scharf unter Interessant find Bethmanns Mitteilungen über seine Sondierungen Ru߬ Es wäre zuviel verlangt, daß Bethmann selbst begriffe, wie sehr seine Person Die langen Partien des Buches, welche innerpolitische Vorgänge und Er¬ Der posthume Bethmann Wenn von diesem Buch keine starken Wirkungen ausgehen, so ist doch unser Wenn jedes Pferd nach wenigen Schritten merkt, ob sein Reiter reiten Bethmanns Schatten Es wäre grausam, auch die anderen Teile des Plaidoyers so scharf unter Interessant find Bethmanns Mitteilungen über seine Sondierungen Ru߬ Es wäre zuviel verlangt, daß Bethmann selbst begriffe, wie sehr seine Person Die langen Partien des Buches, welche innerpolitische Vorgänge und Er¬ Der posthume Bethmann Wenn von diesem Buch keine starken Wirkungen ausgehen, so ist doch unser Wenn jedes Pferd nach wenigen Schritten merkt, ob sein Reiter reiten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339921"/> <fw type="header" place="top"> Bethmanns Schatten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1687"> Es wäre grausam, auch die anderen Teile des Plaidoyers so scharf unter<lb/> die Lupe zu nehmen. Wertvoll ist Bethmanns Darstellung seines Zwiespalts mit<lb/> Ludendorff, ohne daß sie natürlich alles erzählte. Daß durch Bethmanns Sturz<lb/> nichts verbessert wurde, trifft zu; aber Michaelis, Kühlmann und Hertling. unter<lb/> denen das deutsche Geschick noch tiefer sank, vermögen Bethmanns Politik nicht<lb/> positiv zu rechtfertigen. Für sein Alibi in Ubootssachen gilt das oben Gesagte,<lb/> ebenso in der polnischen Tragikomödie, wo indes Bethmann dem Alibibeweis selbst<lb/> nur zur Hälfte traut, weshalb er zur andern Hälfte dem Leser wieder zumutet,<lb/> sich von der Notwendigkeit der Polenproklamation überreden zu lassen. Wäre<lb/> Bethmann der kristallklare und mutige deutsche Charakter gewesen, als der er<lb/> manchem galt und gilt, dann fände man doch nach einem solchen Zusammen¬<lb/> bruch auf irgend einer Seite das erlösende Wort: Ich habe geirrt. Wir würden<lb/> dann seiner Asche Frieden wünschen können, statt noch einmal mit seinem Schatten<lb/> zu kämpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1688"> Interessant find Bethmanns Mitteilungen über seine Sondierungen Ru߬<lb/> lands. Auch hier dürfte der übereifrig und ungeschickt bekundete Friedenswille<lb/> (I. 54, 99, 146) den russischen Kriegswillen gestärkt haben, und mit einem so<lb/> unklaren, nach England lauschenden Kanzler konnte sich der Zar schwer auf Ver¬<lb/> handlungen einlassen. Wenn aber der Zar sogar unter diesen Umständen noch<lb/> nach dem Polenmanifest „nach dem Strohhalm des Separatfriedens gegriffen<lb/> hat" (S. 106). wird dann nicht durch Bethmanns eigene Mitteilungen Tirpitz'<lb/> Vermutung bestätigt, daß ein anderer Unterhändler bei Unterlassung des Polen-<lb/> manifestes noch rechtzeitig mit den Russen ins Gespräch gekommen wäre?</p><lb/> <p xml:id="ID_1689"> Es wäre zuviel verlangt, daß Bethmann selbst begriffe, wie sehr seine Person<lb/> das schweifte Hindernis für den Sonderfrieden mit dem Zaren war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1690"> Die langen Partien des Buches, welche innerpolitische Vorgänge und Er¬<lb/> wägungen entwickeln, fesseln in ganz anderer Weise das Interesse, als die<lb/> außenpolitischen „Betrachtungen". Dort spricht ein gewiegter Verwaltungstechniker,<lb/> der auch dann etwas zu sagen hat. wo er sich verteidigt. In der Außenpolitik<lb/> aber theoretisiert ein gewöhnlicher Intellekt an diplomatischen Stümpereien herum,<lb/> um ihnen nachträglich ein Ansehen zu geben. Nichts ist diesem Mann von selbst<lb/> zugeflossen; keine seiner Handlungen kam frei aus schöpferischen Instinkt, und<lb/> so hätte er auch dies Buch so wenig von sich aus geschrieben, wie er von sich<lb/> aus Kanzler war oder große Politik machte. Sondern weil er sich früher einge¬<lb/> redet hat, Politik machen zu müssen, hat er sich nun einreden lassen, ein Buch<lb/> über Politik zu schreiben, und so hat er zum letzten Male einen Mißerfolg geerntet,<lb/> indem er über eine verlorene Sache gewählte Sätze ohne Sachsubstanz spricht.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Der posthume Bethmann</head><lb/> <p xml:id="ID_1691"> Wenn von diesem Buch keine starken Wirkungen ausgehen, so ist doch unser<lb/> öffentliches Leben voll von Bethmann. Zwei Charakterzüge hat er ihm tief ein¬<lb/> geprägt: die Gewöhnung an eine schwache Regierung und das Betteln um das<lb/> Vertrauen des Auslandes.</p><lb/> <p xml:id="ID_1692" next="#ID_1693"> Wenn jedes Pferd nach wenigen Schritten merkt, ob sein Reiter reiten<lb/> kann, so mußte auch das geduldige deutsche Volk nach einigen Jahren solcher<lb/> Lenkung sich zu bäumen beginnen. Erzberger eröffnete im Juli 1917 den Um'</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0372]
Bethmanns Schatten
Es wäre grausam, auch die anderen Teile des Plaidoyers so scharf unter
die Lupe zu nehmen. Wertvoll ist Bethmanns Darstellung seines Zwiespalts mit
Ludendorff, ohne daß sie natürlich alles erzählte. Daß durch Bethmanns Sturz
nichts verbessert wurde, trifft zu; aber Michaelis, Kühlmann und Hertling. unter
denen das deutsche Geschick noch tiefer sank, vermögen Bethmanns Politik nicht
positiv zu rechtfertigen. Für sein Alibi in Ubootssachen gilt das oben Gesagte,
ebenso in der polnischen Tragikomödie, wo indes Bethmann dem Alibibeweis selbst
nur zur Hälfte traut, weshalb er zur andern Hälfte dem Leser wieder zumutet,
sich von der Notwendigkeit der Polenproklamation überreden zu lassen. Wäre
Bethmann der kristallklare und mutige deutsche Charakter gewesen, als der er
manchem galt und gilt, dann fände man doch nach einem solchen Zusammen¬
bruch auf irgend einer Seite das erlösende Wort: Ich habe geirrt. Wir würden
dann seiner Asche Frieden wünschen können, statt noch einmal mit seinem Schatten
zu kämpfen.
Interessant find Bethmanns Mitteilungen über seine Sondierungen Ru߬
lands. Auch hier dürfte der übereifrig und ungeschickt bekundete Friedenswille
(I. 54, 99, 146) den russischen Kriegswillen gestärkt haben, und mit einem so
unklaren, nach England lauschenden Kanzler konnte sich der Zar schwer auf Ver¬
handlungen einlassen. Wenn aber der Zar sogar unter diesen Umständen noch
nach dem Polenmanifest „nach dem Strohhalm des Separatfriedens gegriffen
hat" (S. 106). wird dann nicht durch Bethmanns eigene Mitteilungen Tirpitz'
Vermutung bestätigt, daß ein anderer Unterhändler bei Unterlassung des Polen-
manifestes noch rechtzeitig mit den Russen ins Gespräch gekommen wäre?
Es wäre zuviel verlangt, daß Bethmann selbst begriffe, wie sehr seine Person
das schweifte Hindernis für den Sonderfrieden mit dem Zaren war.
Die langen Partien des Buches, welche innerpolitische Vorgänge und Er¬
wägungen entwickeln, fesseln in ganz anderer Weise das Interesse, als die
außenpolitischen „Betrachtungen". Dort spricht ein gewiegter Verwaltungstechniker,
der auch dann etwas zu sagen hat. wo er sich verteidigt. In der Außenpolitik
aber theoretisiert ein gewöhnlicher Intellekt an diplomatischen Stümpereien herum,
um ihnen nachträglich ein Ansehen zu geben. Nichts ist diesem Mann von selbst
zugeflossen; keine seiner Handlungen kam frei aus schöpferischen Instinkt, und
so hätte er auch dies Buch so wenig von sich aus geschrieben, wie er von sich
aus Kanzler war oder große Politik machte. Sondern weil er sich früher einge¬
redet hat, Politik machen zu müssen, hat er sich nun einreden lassen, ein Buch
über Politik zu schreiben, und so hat er zum letzten Male einen Mißerfolg geerntet,
indem er über eine verlorene Sache gewählte Sätze ohne Sachsubstanz spricht.
Der posthume Bethmann
Wenn von diesem Buch keine starken Wirkungen ausgehen, so ist doch unser
öffentliches Leben voll von Bethmann. Zwei Charakterzüge hat er ihm tief ein¬
geprägt: die Gewöhnung an eine schwache Regierung und das Betteln um das
Vertrauen des Auslandes.
Wenn jedes Pferd nach wenigen Schritten merkt, ob sein Reiter reiten
kann, so mußte auch das geduldige deutsche Volk nach einigen Jahren solcher
Lenkung sich zu bäumen beginnen. Erzberger eröffnete im Juli 1917 den Um'
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |