Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.Der Musik-Lhronist 9er Musik-Chronist [Beginn Spaltensatz] Der Berliner Musikbetrieb hat sich Eine wichtige Stelle im Berliner erste stattgefunden, in dem der aus Der Musik-Lhronist 9er Musik-Chronist [Beginn Spaltensatz] Der Berliner Musikbetrieb hat sich Eine wichtige Stelle im Berliner erste stattgefunden, in dem der aus <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339875"/> <fw type="header" place="top"> Der Musik-Lhronist</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> 9er Musik-Chronist</head><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_1311"> Der Berliner Musikbetrieb hat sich<lb/> allgemach ins Mammuthafte ausge¬<lb/> wachsen. Durchschnittlich finden vierzig<lb/> bis fünfzig Konzerte in der Woche statt,<lb/> zu denen dann noch die Veranstaltungen<lb/> des Opernhauses treten. Unablässig<lb/> wächst die Zahl derer, die das unab¬<lb/> weisbare Bedürfnis fühlen, das Berliner<lb/> Publikum und die Kritik mit ihren mehr<lb/> oder weniger künstlerischen Leistungen<lb/> zu beglücken, und man fragt sich nur,<lb/> woher all' die Musikbeflissenen das<lb/> nötige Kleingeld zur Abhaltung ihrer<lb/> öffentlichen Übungen nehmen. Denn<lb/> das Konzertieren ist heute eine teure<lb/> Sache. Zudem werden die meisten<lb/> Konzerte ja nur zwecks Erlangung von<lb/> Kritiken gegeben, und es ist einleuchtend,<lb/> daß die Aussicht auf öffentliche Er¬<lb/> wähnung in dem Maße abnimmt, als<lb/> me Zahl der Veranstaltungen wächst.<lb/> Der arme Referent aber, auf den all¬<lb/> abendlich ein Sturzregen von Klavier -<lb/> und Liederabenden, von Orchester- und<lb/> Kammermusik herniedergeht, weiß manch¬<lb/> mal nicht aus noch ein; überall kann<lb/> er ja nicht herumkommen, und es bleibt<lb/> ihm eben nichts anderes übrig, als eine<lb/> möglichst gerechte Auswahl zu treffen.<lb/> In diesen hier zum erstenmal versuchten<lb/> Übersichten, die jeden Monat erscheinen<lb/> sollen, handelt es sich natürlich um<lb/> Heraushebung der großen Linien und<lb/> um Aufzeichnung solcher musikalischen<lb/> Ereignisse, die aus diesem oder jenem<lb/> Grunde für die Entwicklung der Musik<lb/> oder für die Charakterisierung des<lb/> Musiklebens bedeutsam sind. Denn<lb/> der größte Teil der Konzertierenden<lb/> verschwindet meistens wieder so un¬<lb/> beachtet, wie er gekommen war, und<lb/> nur die ganz Wenigen, die wirklich<lb/> Berufenen und Auserwählten, erringen<lb/> sich den Platz an der Sonne.</p> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <p xml:id="ID_1312" next="#ID_1313"> Eine wichtige Stelle im Berliner<lb/> Musikleben nehmen die großen Orchester-<lb/> Abonnementskonzerte ein. unter denen<lb/> die von Arthur Nikisch geleiteten<lb/> „Philharmonischen Konzerte" die vor¬<lb/> nehmsten sind. Bis jetzt hat nur das</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_1313" prev="#ID_1312" next="#ID_1314"> erste stattgefunden, in dem der aus<lb/> Amerika noch rechtzeitig zurückgekehrte<lb/> Nikisch mit größtem Jubel empfangen<lb/> wurde. Das Programm brachte außer<lb/> der Romantischen Sinfonie von Bruckner<lb/> nur noch Beethoven; man weiß, wie<lb/> Nikisch so etwas macht und kann sich<lb/> deshalb mit der Feststellung begnügen,<lb/> daß seine Meisterschaft unverändert ge¬<lb/> blieben ist. Zu den Berufenen gehört<lb/> auch Wilhelm Furtwängler, der in<lb/> jungen Jahren an die Spitze der Kor<lb/> zerte unserer Staatsopernkapelle gelangt<lb/> ist. Er ist ein Musiker von höchsten<lb/> Graden, ebenso ein Meister des Tech¬<lb/> nischen als eine Persönlichkeit, die mit<lb/> ihrer Kraft zu vollkommener Durchdrin¬<lb/> gung jedes Kunstwerkes zu Leistungen<lb/> von höchster Vollkommenheit gelangt.<lb/> Grenzenlos ist seine Fähigkeit zur Be¬<lb/> geisterung, die sich gleichermaßen aus<lb/> Orchester und Hörer überträgt. Diese<lb/> suggestive Wirkung des Persönlichen ist<lb/> ja' letzten Endes das Wichtigste beim<lb/> Dirigenten, und Furtwängler besitzt sie<lb/> in einem solchen Maße, daß man ge¬<lb/> fühlsmäßig eigentlich immer mit ihm<lb/> mitgeht, wenn der Vorstand vielleicht<lb/> auch dann und wann einmal Einspruch<lb/> erhebt. Konnte man so zum Beispiel bei<lb/> dem ersten Satz der im Sinfonie-Konzert<lb/> der Staatsoper aufgeführten „Eroim"<lb/> zuweilen anderer Meinung sein, so<lb/> mußte man doch unter dem spontanen<lb/> Eindruck sagen, — daß sie von pracht¬<lb/> voller Einheitlichkeit war. Noch zwei¬<lb/> mal stand Furtwängler in diesen Tagen<lb/> vor dem Orchester, und zwar in der<lb/> Philharmonie, wo er Schumanns vierte<lb/> und Mahlers erste Sinfonie dirigierte.<lb/> Beide Aufführungen gehörten zum<lb/> Schönsten, was er uns bisher gebracht<lb/> hat; unvergeßlich vor allem das Schu-<lb/> mannsche Werk. Mahlers, der ja jetzt<lb/> große Mode ist, wurde mehrfach mit<lb/> unterschiedlichen Gelingen dirigiert. Ich<lb/> greise nur die Bußtagaufführung seiner<lb/> ..Neunten Sinfonie" heraus, die von<lb/> dem um die neue Musik hochverdienten<lb/> „Anbruch" unter Klaus Prings-<lb/> h eins Leitung veranstaltet wurde. Man<lb/> hört dieses letzte Werk, das Mahler zu</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0326]
Der Musik-Lhronist
9er Musik-Chronist
Der Berliner Musikbetrieb hat sich
allgemach ins Mammuthafte ausge¬
wachsen. Durchschnittlich finden vierzig
bis fünfzig Konzerte in der Woche statt,
zu denen dann noch die Veranstaltungen
des Opernhauses treten. Unablässig
wächst die Zahl derer, die das unab¬
weisbare Bedürfnis fühlen, das Berliner
Publikum und die Kritik mit ihren mehr
oder weniger künstlerischen Leistungen
zu beglücken, und man fragt sich nur,
woher all' die Musikbeflissenen das
nötige Kleingeld zur Abhaltung ihrer
öffentlichen Übungen nehmen. Denn
das Konzertieren ist heute eine teure
Sache. Zudem werden die meisten
Konzerte ja nur zwecks Erlangung von
Kritiken gegeben, und es ist einleuchtend,
daß die Aussicht auf öffentliche Er¬
wähnung in dem Maße abnimmt, als
me Zahl der Veranstaltungen wächst.
Der arme Referent aber, auf den all¬
abendlich ein Sturzregen von Klavier -
und Liederabenden, von Orchester- und
Kammermusik herniedergeht, weiß manch¬
mal nicht aus noch ein; überall kann
er ja nicht herumkommen, und es bleibt
ihm eben nichts anderes übrig, als eine
möglichst gerechte Auswahl zu treffen.
In diesen hier zum erstenmal versuchten
Übersichten, die jeden Monat erscheinen
sollen, handelt es sich natürlich um
Heraushebung der großen Linien und
um Aufzeichnung solcher musikalischen
Ereignisse, die aus diesem oder jenem
Grunde für die Entwicklung der Musik
oder für die Charakterisierung des
Musiklebens bedeutsam sind. Denn
der größte Teil der Konzertierenden
verschwindet meistens wieder so un¬
beachtet, wie er gekommen war, und
nur die ganz Wenigen, die wirklich
Berufenen und Auserwählten, erringen
sich den Platz an der Sonne.
Eine wichtige Stelle im Berliner
Musikleben nehmen die großen Orchester-
Abonnementskonzerte ein. unter denen
die von Arthur Nikisch geleiteten
„Philharmonischen Konzerte" die vor¬
nehmsten sind. Bis jetzt hat nur das
erste stattgefunden, in dem der aus
Amerika noch rechtzeitig zurückgekehrte
Nikisch mit größtem Jubel empfangen
wurde. Das Programm brachte außer
der Romantischen Sinfonie von Bruckner
nur noch Beethoven; man weiß, wie
Nikisch so etwas macht und kann sich
deshalb mit der Feststellung begnügen,
daß seine Meisterschaft unverändert ge¬
blieben ist. Zu den Berufenen gehört
auch Wilhelm Furtwängler, der in
jungen Jahren an die Spitze der Kor
zerte unserer Staatsopernkapelle gelangt
ist. Er ist ein Musiker von höchsten
Graden, ebenso ein Meister des Tech¬
nischen als eine Persönlichkeit, die mit
ihrer Kraft zu vollkommener Durchdrin¬
gung jedes Kunstwerkes zu Leistungen
von höchster Vollkommenheit gelangt.
Grenzenlos ist seine Fähigkeit zur Be¬
geisterung, die sich gleichermaßen aus
Orchester und Hörer überträgt. Diese
suggestive Wirkung des Persönlichen ist
ja' letzten Endes das Wichtigste beim
Dirigenten, und Furtwängler besitzt sie
in einem solchen Maße, daß man ge¬
fühlsmäßig eigentlich immer mit ihm
mitgeht, wenn der Vorstand vielleicht
auch dann und wann einmal Einspruch
erhebt. Konnte man so zum Beispiel bei
dem ersten Satz der im Sinfonie-Konzert
der Staatsoper aufgeführten „Eroim"
zuweilen anderer Meinung sein, so
mußte man doch unter dem spontanen
Eindruck sagen, — daß sie von pracht¬
voller Einheitlichkeit war. Noch zwei¬
mal stand Furtwängler in diesen Tagen
vor dem Orchester, und zwar in der
Philharmonie, wo er Schumanns vierte
und Mahlers erste Sinfonie dirigierte.
Beide Aufführungen gehörten zum
Schönsten, was er uns bisher gebracht
hat; unvergeßlich vor allem das Schu-
mannsche Werk. Mahlers, der ja jetzt
große Mode ist, wurde mehrfach mit
unterschiedlichen Gelingen dirigiert. Ich
greise nur die Bußtagaufführung seiner
..Neunten Sinfonie" heraus, die von
dem um die neue Musik hochverdienten
„Anbruch" unter Klaus Prings-
h eins Leitung veranstaltet wurde. Man
hört dieses letzte Werk, das Mahler zu
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