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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Iveltspiegel

Sowie sich also Japan zu einem Zeitpunkt, den es infolge dieser inneren
Unsicherheit nicht hatte wählen können, isoliert sah, hat es nichts unterlassen,
große Gesten unbedingtester Friedfertigkeit zu machen, aus deren Eilfertigkeit
man jedoch keineswegs auf ihre Aufrichtigkeit oder auch nur Durchführbarkeit
schließen darf. Die Aufgabe Sibiriens ist schon mehr als einmal beschlossen
worden, eine Beschränkung oder Verlangsamung des FlottenbaueS kann Japan nur
recht sein, da es sich dann dem Ausbau seiner Luftstreitträfte zuwenden kann und
die Entfcstigung der strategischen Positionen bietet allzu viele Möglichkeiten, daZ
Befestigungssystem grundlegend zu modernisieren, als daß man sie nicht gerne ein
nehmen sollte. Andererseits hat man sich japanischerseits sofort bemüht, die
Chinesen durch Konzessionen in Schankung und der Mandschurei zu gewinnen.
Aber das zu beträchtlichem Teil selbstverschuldete Unglück Japans will, daß es
"die" Chinesen eben gar nicht gibt. Der seit drei Jahrzehnten gegen China ge¬
richtete japanische Imperialismus hat solange zur inneren Zersetzung des Reiches
der Mitte beigetragen und, soweit andere dazu geholfen haben, von deren Er¬
folgen so weitgehend profitiert, daß jetzt auch andere die Früchte dieser ZersetzungS-
arbeit pflücken und sie zum Schaden Japans selber auszunützen vermögen. Selbst
wenn heute die nordchinesische Negierung die Konzessionen Japans dankend ent-
gegennehmen würde, was sie nicht tut, um ihre innere Stellung nicht noch mehr
zu gefährden, wäre immer noch Südchina da, dem durch Amerika der Nacken ge¬
steift wird. Und die Panasiatenbewegung ist sowohl in Japan, wo ihre Not¬
wendigkeit sich erst einen kleinen Teil der Politiker erschlossen hat, wie in China
noch nicht mächtig genug, um die natürlichen Gegensätze zwischen den beiden
gelben Mächten schwinden zu lassen, genau so wenig wie bis jetzt Frankreich und
Deutschland über den Erfordernissen der europäischen Gesamtlage ihre Feindschaft
zu überwinden vermögen.

Da aber gerade England es ist, das, aus amerikanischer Interessensphäre
verdrängt, Europa mittels des Völkerbundes unter seine Vormundschaft zwingen
möchte, so tun, um dieser Vormundschaft zu entgehen, und einen Rückhalt an
Amerika zu gewinnen, die Franzosen das Menschenmögliche, die Amerikaner in
Europa festzulegen. Soweit man sieht, bis jetzt ohne jeden Erfolg. Man will
auf keinen Vorteil aus dem 5?riege verzichten, aber man entzieht sich allen Ver¬
pflichtungen. Man spart nicht mit Freundschaftsversicherungen, man hütet sich
vor Bindungen. "Je weniger ihr erlangt, desto fester könnt ihr auf uns zählen",
wird den Franzosen gesagt. Man lacht über Frankreich, das sich einerseits rühmt,
die Welt vor der deutschen Barbarei "errettet" zu haben und im bengalischen
Kriegsfeuer seines Sieges prangt, andererseits bei jeder Gelegenheit mit der
deutschen Gefahr krebsen geht. Man lacht darüber, aber man ist froh, daß man
die maßlose Eitelkeit der Franzosen dazu benutzen kann, die Beobachtung der
wirklichen Vorgänge unter den reichen Fassaden der Marschallempsänge der
,
Menenius Freundschafts- und Friedfertigkeitserklärungen zu verstecken.




Iveltspiegel

Sowie sich also Japan zu einem Zeitpunkt, den es infolge dieser inneren
Unsicherheit nicht hatte wählen können, isoliert sah, hat es nichts unterlassen,
große Gesten unbedingtester Friedfertigkeit zu machen, aus deren Eilfertigkeit
man jedoch keineswegs auf ihre Aufrichtigkeit oder auch nur Durchführbarkeit
schließen darf. Die Aufgabe Sibiriens ist schon mehr als einmal beschlossen
worden, eine Beschränkung oder Verlangsamung des FlottenbaueS kann Japan nur
recht sein, da es sich dann dem Ausbau seiner Luftstreitträfte zuwenden kann und
die Entfcstigung der strategischen Positionen bietet allzu viele Möglichkeiten, daZ
Befestigungssystem grundlegend zu modernisieren, als daß man sie nicht gerne ein
nehmen sollte. Andererseits hat man sich japanischerseits sofort bemüht, die
Chinesen durch Konzessionen in Schankung und der Mandschurei zu gewinnen.
Aber das zu beträchtlichem Teil selbstverschuldete Unglück Japans will, daß es
„die" Chinesen eben gar nicht gibt. Der seit drei Jahrzehnten gegen China ge¬
richtete japanische Imperialismus hat solange zur inneren Zersetzung des Reiches
der Mitte beigetragen und, soweit andere dazu geholfen haben, von deren Er¬
folgen so weitgehend profitiert, daß jetzt auch andere die Früchte dieser ZersetzungS-
arbeit pflücken und sie zum Schaden Japans selber auszunützen vermögen. Selbst
wenn heute die nordchinesische Negierung die Konzessionen Japans dankend ent-
gegennehmen würde, was sie nicht tut, um ihre innere Stellung nicht noch mehr
zu gefährden, wäre immer noch Südchina da, dem durch Amerika der Nacken ge¬
steift wird. Und die Panasiatenbewegung ist sowohl in Japan, wo ihre Not¬
wendigkeit sich erst einen kleinen Teil der Politiker erschlossen hat, wie in China
noch nicht mächtig genug, um die natürlichen Gegensätze zwischen den beiden
gelben Mächten schwinden zu lassen, genau so wenig wie bis jetzt Frankreich und
Deutschland über den Erfordernissen der europäischen Gesamtlage ihre Feindschaft
zu überwinden vermögen.

Da aber gerade England es ist, das, aus amerikanischer Interessensphäre
verdrängt, Europa mittels des Völkerbundes unter seine Vormundschaft zwingen
möchte, so tun, um dieser Vormundschaft zu entgehen, und einen Rückhalt an
Amerika zu gewinnen, die Franzosen das Menschenmögliche, die Amerikaner in
Europa festzulegen. Soweit man sieht, bis jetzt ohne jeden Erfolg. Man will
auf keinen Vorteil aus dem 5?riege verzichten, aber man entzieht sich allen Ver¬
pflichtungen. Man spart nicht mit Freundschaftsversicherungen, man hütet sich
vor Bindungen. „Je weniger ihr erlangt, desto fester könnt ihr auf uns zählen",
wird den Franzosen gesagt. Man lacht über Frankreich, das sich einerseits rühmt,
die Welt vor der deutschen Barbarei „errettet" zu haben und im bengalischen
Kriegsfeuer seines Sieges prangt, andererseits bei jeder Gelegenheit mit der
deutschen Gefahr krebsen geht. Man lacht darüber, aber man ist froh, daß man
die maßlose Eitelkeit der Franzosen dazu benutzen kann, die Beobachtung der
wirklichen Vorgänge unter den reichen Fassaden der Marschallempsänge der
,
Menenius Freundschafts- und Friedfertigkeitserklärungen zu verstecken.




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[0263] Iveltspiegel Sowie sich also Japan zu einem Zeitpunkt, den es infolge dieser inneren Unsicherheit nicht hatte wählen können, isoliert sah, hat es nichts unterlassen, große Gesten unbedingtester Friedfertigkeit zu machen, aus deren Eilfertigkeit man jedoch keineswegs auf ihre Aufrichtigkeit oder auch nur Durchführbarkeit schließen darf. Die Aufgabe Sibiriens ist schon mehr als einmal beschlossen worden, eine Beschränkung oder Verlangsamung des FlottenbaueS kann Japan nur recht sein, da es sich dann dem Ausbau seiner Luftstreitträfte zuwenden kann und die Entfcstigung der strategischen Positionen bietet allzu viele Möglichkeiten, daZ Befestigungssystem grundlegend zu modernisieren, als daß man sie nicht gerne ein nehmen sollte. Andererseits hat man sich japanischerseits sofort bemüht, die Chinesen durch Konzessionen in Schankung und der Mandschurei zu gewinnen. Aber das zu beträchtlichem Teil selbstverschuldete Unglück Japans will, daß es „die" Chinesen eben gar nicht gibt. Der seit drei Jahrzehnten gegen China ge¬ richtete japanische Imperialismus hat solange zur inneren Zersetzung des Reiches der Mitte beigetragen und, soweit andere dazu geholfen haben, von deren Er¬ folgen so weitgehend profitiert, daß jetzt auch andere die Früchte dieser ZersetzungS- arbeit pflücken und sie zum Schaden Japans selber auszunützen vermögen. Selbst wenn heute die nordchinesische Negierung die Konzessionen Japans dankend ent- gegennehmen würde, was sie nicht tut, um ihre innere Stellung nicht noch mehr zu gefährden, wäre immer noch Südchina da, dem durch Amerika der Nacken ge¬ steift wird. Und die Panasiatenbewegung ist sowohl in Japan, wo ihre Not¬ wendigkeit sich erst einen kleinen Teil der Politiker erschlossen hat, wie in China noch nicht mächtig genug, um die natürlichen Gegensätze zwischen den beiden gelben Mächten schwinden zu lassen, genau so wenig wie bis jetzt Frankreich und Deutschland über den Erfordernissen der europäischen Gesamtlage ihre Feindschaft zu überwinden vermögen. Da aber gerade England es ist, das, aus amerikanischer Interessensphäre verdrängt, Europa mittels des Völkerbundes unter seine Vormundschaft zwingen möchte, so tun, um dieser Vormundschaft zu entgehen, und einen Rückhalt an Amerika zu gewinnen, die Franzosen das Menschenmögliche, die Amerikaner in Europa festzulegen. Soweit man sieht, bis jetzt ohne jeden Erfolg. Man will auf keinen Vorteil aus dem 5?riege verzichten, aber man entzieht sich allen Ver¬ pflichtungen. Man spart nicht mit Freundschaftsversicherungen, man hütet sich vor Bindungen. „Je weniger ihr erlangt, desto fester könnt ihr auf uns zählen", wird den Franzosen gesagt. Man lacht über Frankreich, das sich einerseits rühmt, die Welt vor der deutschen Barbarei „errettet" zu haben und im bengalischen Kriegsfeuer seines Sieges prangt, andererseits bei jeder Gelegenheit mit der deutschen Gefahr krebsen geht. Man lacht darüber, aber man ist froh, daß man die maßlose Eitelkeit der Franzosen dazu benutzen kann, die Beobachtung der wirklichen Vorgänge unter den reichen Fassaden der Marschallempsänge der , Menenius Freundschafts- und Friedfertigkeitserklärungen zu verstecken.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/263>, abgerufen am 26.06.2024.