Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.Die unbußfertige Nation Vaterland. In der schaffenden Treue dieser hiirtestgeprüftesten, deutscheste!, Das Maß der Zukunft eines Volkes liegt in seiner schöpferischen Kraft. Und wie Pflegen wir unsere seelische Kraft? Ohne Gediegenheit ist gerade Die unbußfertige Nation Vaterland. In der schaffenden Treue dieser hiirtestgeprüftesten, deutscheste!, Das Maß der Zukunft eines Volkes liegt in seiner schöpferischen Kraft. Und wie Pflegen wir unsere seelische Kraft? Ohne Gediegenheit ist gerade <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339751"/> <fw type="header" place="top"> Die unbußfertige Nation</fw><lb/> <p xml:id="ID_805" prev="#ID_804"> Vaterland. In der schaffenden Treue dieser hiirtestgeprüftesten, deutscheste!,<lb/> Familien, in ihren darbenden Müttern und Kindern lebt die Gesinnung fort,<lb/> die mit dem katholischen Allerseelen, dem protestantischen Buß- und Bettage auch<lb/> den schwarzen 9. November in Trauer jährt; dort ist es. wo die ersten Keime<lb/> eines zukünftigen achtzehnten Januars wachsen.</p><lb/> <p xml:id="ID_806"> Das Maß der Zukunft eines Volkes liegt in seiner schöpferischen Kraft.<lb/> Mit welcher eifersüchtigen Sorge lauscht das französische Volk auf alle Anzeichen<lb/> der noch vorhandenen schöpferischen Kräfte seines gerne nationel. Wie hat es seine<lb/> Malerei, seine Romanschriftsteller geehrt, wie gespannt über die angeblichen in-<lb/> ventions vrajment ir»n?fisch des Automobils, des Flugzeuges, des Unterseeboots<lb/> gewacht und alle möglichen Dinge in Kunst, Wissenschaft, Technik und Industrie<lb/> für toutes les Zlvires 6e Is Trance reklamiert, die ihm gar nicht zukamen. Der<lb/> Grund dieser (von uns belächelten) Eifersucht war der feine Instinkt und die nicht<lb/> unberechtigte Angst, ein anderes Volk könnte an schöpferischer, in die Zukunft<lb/> weisender Kraft die heutigen Franzosen überflügeln. Und aus dieser Angst hat<lb/> sich le genie latin jetzt auf das Morden gelegt' der an sich fruchtbarere Deutsche<lb/> wird gewaltsam verkrüppelt. Recht und Friede, Völkerbund und Ehre, Vertrags-<lb/> loyalität und alle anderen guten und edlen Begriffe werden gotteslästerlich ver¬<lb/> dreht zu Instrumenten, mit denen die schöpferische Kraft des Deutschen unter das<lb/> französische Maß hinabgedrückt werden soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_807"> Und wie Pflegen wir unsere seelische Kraft? Ohne Gediegenheit ist gerade<lb/> der Deutsche nichts, und die Gediegenheit ist es, die wir von der Großstadt und<lb/> ihren Idealen aus zu verlieren uns gewöhnt haben. Wir haben in der Lebens¬<lb/> sitte uns mit reißender Schnelligkeit der Gauloiserie angepaßt; die taciteische<lb/> Überlegenheit unseres Heeres von 1870 besteht nicht mehr. Die Einkindehe, die<lb/> kinderlose Ehe, nehmen überHand. Das gute Buch ist von Schaupöbeleieu, das<lb/> seelische Wachstum von Nervenkitzel, der sich selbst begrenzende Hausfrieden von<lb/> Begehrlichkeit überwuchert. Der Kampf ums Dasein drückt .sich weniger im Wett¬<lb/> eifer gründlichen Schaffens als in Börseuerwägnngen oder syndikalistischen Macht¬<lb/> kämpfen ans. Wir haben die Ziele der Jugend entidealisiert, das Persönlichkeits-<lb/> nivean gesenkt; wo wir früher knorrige Männer flehen hatten, gleiten jehti<lb/> Opportunisten, Macher, Routiniers umeinander herum. Unser öffentliches Leben<lb/> ist eher im Ab- als im Aufbau, zehrt uoch mehr von der Vergangenheit, als daß<lb/> es sich der Zukunft opferte. Von jenem Mutterboden gläubigen, fruchtbaren,<lb/> familier- und staatstrenen Volkstums, der unsere Wiedergeburt nach 1648 um.d<lb/> nach 180t! bedingt hat, ist uns allgemein und sicher fast nur noch die angespannte<lb/> Arbeitsamkeit geblieben; aber auch unser FleiK ist materialisiert und in egoisti¬<lb/> scher Auflösung. Wir lesen unsere seelische Aushöhlung ab an dein Zustand<lb/> unserer Dichtung, Kunst und politischen Führertnms, verglichen mit dem vorigen<lb/> Jahrhundert. Viele Worte über Wiederaufbau sind verschwendet, wie wir über¬<lb/> haupt jedes wahre Gelübde, jeden ans ferne Ziele gerichteten Entschluß in einee<lb/> Flut eilfertiger Gegenwartswichtigtncreien ertränken. Wahre schöpferische Kraft<lb/> ist groß nur noch in der Wirtschaft, und die kaun der wachsame Feind doch zur<lb/> Ader lassen, wie es ihm beliebt, solange wir das Deutschland Fichtes nicht sind,<lb/> das mit der unberechenbar liefen Kraft eines Boltsiunis, welches aus Persönlich-<lb/> keiten besieh!, die Ketten sprengt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0202]
Die unbußfertige Nation
Vaterland. In der schaffenden Treue dieser hiirtestgeprüftesten, deutscheste!,
Familien, in ihren darbenden Müttern und Kindern lebt die Gesinnung fort,
die mit dem katholischen Allerseelen, dem protestantischen Buß- und Bettage auch
den schwarzen 9. November in Trauer jährt; dort ist es. wo die ersten Keime
eines zukünftigen achtzehnten Januars wachsen.
Das Maß der Zukunft eines Volkes liegt in seiner schöpferischen Kraft.
Mit welcher eifersüchtigen Sorge lauscht das französische Volk auf alle Anzeichen
der noch vorhandenen schöpferischen Kräfte seines gerne nationel. Wie hat es seine
Malerei, seine Romanschriftsteller geehrt, wie gespannt über die angeblichen in-
ventions vrajment ir»n?fisch des Automobils, des Flugzeuges, des Unterseeboots
gewacht und alle möglichen Dinge in Kunst, Wissenschaft, Technik und Industrie
für toutes les Zlvires 6e Is Trance reklamiert, die ihm gar nicht zukamen. Der
Grund dieser (von uns belächelten) Eifersucht war der feine Instinkt und die nicht
unberechtigte Angst, ein anderes Volk könnte an schöpferischer, in die Zukunft
weisender Kraft die heutigen Franzosen überflügeln. Und aus dieser Angst hat
sich le genie latin jetzt auf das Morden gelegt' der an sich fruchtbarere Deutsche
wird gewaltsam verkrüppelt. Recht und Friede, Völkerbund und Ehre, Vertrags-
loyalität und alle anderen guten und edlen Begriffe werden gotteslästerlich ver¬
dreht zu Instrumenten, mit denen die schöpferische Kraft des Deutschen unter das
französische Maß hinabgedrückt werden soll.
Und wie Pflegen wir unsere seelische Kraft? Ohne Gediegenheit ist gerade
der Deutsche nichts, und die Gediegenheit ist es, die wir von der Großstadt und
ihren Idealen aus zu verlieren uns gewöhnt haben. Wir haben in der Lebens¬
sitte uns mit reißender Schnelligkeit der Gauloiserie angepaßt; die taciteische
Überlegenheit unseres Heeres von 1870 besteht nicht mehr. Die Einkindehe, die
kinderlose Ehe, nehmen überHand. Das gute Buch ist von Schaupöbeleieu, das
seelische Wachstum von Nervenkitzel, der sich selbst begrenzende Hausfrieden von
Begehrlichkeit überwuchert. Der Kampf ums Dasein drückt .sich weniger im Wett¬
eifer gründlichen Schaffens als in Börseuerwägnngen oder syndikalistischen Macht¬
kämpfen ans. Wir haben die Ziele der Jugend entidealisiert, das Persönlichkeits-
nivean gesenkt; wo wir früher knorrige Männer flehen hatten, gleiten jehti
Opportunisten, Macher, Routiniers umeinander herum. Unser öffentliches Leben
ist eher im Ab- als im Aufbau, zehrt uoch mehr von der Vergangenheit, als daß
es sich der Zukunft opferte. Von jenem Mutterboden gläubigen, fruchtbaren,
familier- und staatstrenen Volkstums, der unsere Wiedergeburt nach 1648 um.d
nach 180t! bedingt hat, ist uns allgemein und sicher fast nur noch die angespannte
Arbeitsamkeit geblieben; aber auch unser FleiK ist materialisiert und in egoisti¬
scher Auflösung. Wir lesen unsere seelische Aushöhlung ab an dein Zustand
unserer Dichtung, Kunst und politischen Führertnms, verglichen mit dem vorigen
Jahrhundert. Viele Worte über Wiederaufbau sind verschwendet, wie wir über¬
haupt jedes wahre Gelübde, jeden ans ferne Ziele gerichteten Entschluß in einee
Flut eilfertiger Gegenwartswichtigtncreien ertränken. Wahre schöpferische Kraft
ist groß nur noch in der Wirtschaft, und die kaun der wachsame Feind doch zur
Ader lassen, wie es ihm beliebt, solange wir das Deutschland Fichtes nicht sind,
das mit der unberechenbar liefen Kraft eines Boltsiunis, welches aus Persönlich-
keiten besieh!, die Ketten sprengt.
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