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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Verantwortung für die Weltlage

I. Deutschland war weder einzig, noch in der Tat ursprünglich verant¬
wortlich für den Krieg.

II. Weder die deutschen Truppen noch das Heimatvolk waren Hunnen.
Handlungen von Brutalität wurden zweifellos begangen, aber niemals syste¬
matisch, niemals mit der Billigung des deutschen Volkes, besonders nicht gegen
Frauen, Kinder, Verwundete und Kriegsgefangene.

III. Das Unterseeboot wurde innerhalb der rechtmäßigen Grenzen der modernen
Kriegführung eingesetzt, und wenn es die Welt entsetzte, verdient es die Ver¬
urteilung der Welt nicht mehr als ein Blockieren, das ein ganzes Volk an die
Grenze des Verhungerns brachte. Nichtsdestoweniger war eS ein kolossaler
Mißgriff, fast ein Verbrechen gegen das deutsche Volk, weil es dadurch die
Amerikaner in den Krieg brachte.

IV. Die Vernichtung Deutschlands war einzig die Folge von Amerikas
erstaunlichem Einsatz.

V. Wilsons 14 Punkte brachen den Kampfesmut des deutschen Volkes, und
das unglaubliche Erscheinen von Hunderttausenden tüchtigen amerikanischen Soldaten
brach den Kampfesmut der deutschen Mannschaft. Deutschland vertraute Wilson
und Amerika glaubte an die großen von Amerika verkündeten Grundsätze, und es
wurde dann schmählich betrogen.

VI. Deutschlands Schicksal liegt in der Hand Amerikas, und im Laufe der
Zeit kann man von Amerika erwarten, daß es gerecht handeln wird.

VII. Die gegenwärtige Regierungsform mag Veränderungen erheischen, aber
Wechsel müssen verfassungsgemäß bewerkstelligt werden, nicht durch einen Staatsstreich.

VIII. Militarismus ist ein Schwindel und der Krieg war eine tragische
Sinnwidrigkeit. Von beiden hat das deutsche Volk genug und mehr als genug.

IX. Unter den Spielregeln, wie alle europäischen Völker das Spiel von 1914
verstehen, verlor Deutschland den Krieg und muß damit rechnen, die Buße zu
zahlen. Es soll und will bezahlen bis an die Grenze seiner Fähigkeit, voraus¬
gesetzt nur, daß die bescheidensten Lebensbedingungen gestattet sind und daß der
einzelne Deutsche nicht ganz der Früchte seines Fleißes beraubt wird.

X. Unter den bestehenden Verhältnissen können die von der Entschädigungs¬
kommission geforderten jährlichen Zahlungen nicht geleistet werden. Es mag
möglich sein, ihnen unter geänderten Verhältnissen nachzukommen. Die Deutschen
werden bestimmt ihr Bestes tun, wenn ihnen gerechte oder vernünftige Möglichkeit
gegeben wird.

Hier sind zehn Sätze, die den Deutschen von der Straße meist einleuchten.
Mit der Mehrzahl dieser Sätze werden vielleicht die meisten meiner Leser sehr
unzufrieden sein. Ich meinerseits unterschreibe rückhaltlos nur den letzten, von
anderen weiche ich äußerlich ab, andere wiederum mögen ihre zwei Seiten haben.
Man möge sie im ganzen verwerfen, wenn es Vergnügen macht, aber man
lasse sich nicht täuschen in dem Glauben, daß sie in Deutschland nicht einleuchtend
sind. Die Deutschen glauben, daß sie unumstößliche Tatsachen sind, und ihre
Bedeutung eines Tages in Erscheinung treten wird. Aber wenn ich selbst den
letzten Satz vorbehaltlos unterschrieben habe, muß ich auch in diesem Artikel die
bestehenden Verhältnisse, welche die geforderten Reparationen unmöglich machen,
zusammenfassen. Es sind die folgenden:


Verantwortung für die Weltlage

I. Deutschland war weder einzig, noch in der Tat ursprünglich verant¬
wortlich für den Krieg.

II. Weder die deutschen Truppen noch das Heimatvolk waren Hunnen.
Handlungen von Brutalität wurden zweifellos begangen, aber niemals syste¬
matisch, niemals mit der Billigung des deutschen Volkes, besonders nicht gegen
Frauen, Kinder, Verwundete und Kriegsgefangene.

III. Das Unterseeboot wurde innerhalb der rechtmäßigen Grenzen der modernen
Kriegführung eingesetzt, und wenn es die Welt entsetzte, verdient es die Ver¬
urteilung der Welt nicht mehr als ein Blockieren, das ein ganzes Volk an die
Grenze des Verhungerns brachte. Nichtsdestoweniger war eS ein kolossaler
Mißgriff, fast ein Verbrechen gegen das deutsche Volk, weil es dadurch die
Amerikaner in den Krieg brachte.

IV. Die Vernichtung Deutschlands war einzig die Folge von Amerikas
erstaunlichem Einsatz.

V. Wilsons 14 Punkte brachen den Kampfesmut des deutschen Volkes, und
das unglaubliche Erscheinen von Hunderttausenden tüchtigen amerikanischen Soldaten
brach den Kampfesmut der deutschen Mannschaft. Deutschland vertraute Wilson
und Amerika glaubte an die großen von Amerika verkündeten Grundsätze, und es
wurde dann schmählich betrogen.

VI. Deutschlands Schicksal liegt in der Hand Amerikas, und im Laufe der
Zeit kann man von Amerika erwarten, daß es gerecht handeln wird.

VII. Die gegenwärtige Regierungsform mag Veränderungen erheischen, aber
Wechsel müssen verfassungsgemäß bewerkstelligt werden, nicht durch einen Staatsstreich.

VIII. Militarismus ist ein Schwindel und der Krieg war eine tragische
Sinnwidrigkeit. Von beiden hat das deutsche Volk genug und mehr als genug.

IX. Unter den Spielregeln, wie alle europäischen Völker das Spiel von 1914
verstehen, verlor Deutschland den Krieg und muß damit rechnen, die Buße zu
zahlen. Es soll und will bezahlen bis an die Grenze seiner Fähigkeit, voraus¬
gesetzt nur, daß die bescheidensten Lebensbedingungen gestattet sind und daß der
einzelne Deutsche nicht ganz der Früchte seines Fleißes beraubt wird.

X. Unter den bestehenden Verhältnissen können die von der Entschädigungs¬
kommission geforderten jährlichen Zahlungen nicht geleistet werden. Es mag
möglich sein, ihnen unter geänderten Verhältnissen nachzukommen. Die Deutschen
werden bestimmt ihr Bestes tun, wenn ihnen gerechte oder vernünftige Möglichkeit
gegeben wird.

Hier sind zehn Sätze, die den Deutschen von der Straße meist einleuchten.
Mit der Mehrzahl dieser Sätze werden vielleicht die meisten meiner Leser sehr
unzufrieden sein. Ich meinerseits unterschreibe rückhaltlos nur den letzten, von
anderen weiche ich äußerlich ab, andere wiederum mögen ihre zwei Seiten haben.
Man möge sie im ganzen verwerfen, wenn es Vergnügen macht, aber man
lasse sich nicht täuschen in dem Glauben, daß sie in Deutschland nicht einleuchtend
sind. Die Deutschen glauben, daß sie unumstößliche Tatsachen sind, und ihre
Bedeutung eines Tages in Erscheinung treten wird. Aber wenn ich selbst den
letzten Satz vorbehaltlos unterschrieben habe, muß ich auch in diesem Artikel die
bestehenden Verhältnisse, welche die geforderten Reparationen unmöglich machen,
zusammenfassen. Es sind die folgenden:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/15>, abgerufen am 19.10.2024.