Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Weltspiegel Ein schlagendes Beispiel für die kindliche deutsche Einstellung bilden die Bei einer derartigen Unreife der sogenannten öffentlichen Meinung ist es nicht Nicht ganz das gleiche kann man bis jetzt leider von den zwischen Rathenau Weltspiegel Ein schlagendes Beispiel für die kindliche deutsche Einstellung bilden die Bei einer derartigen Unreife der sogenannten öffentlichen Meinung ist es nicht Nicht ganz das gleiche kann man bis jetzt leider von den zwischen Rathenau <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339208"/> <fw type="header" place="top"> Weltspiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_171"> Ein schlagendes Beispiel für die kindliche deutsche Einstellung bilden die<lb/> Kommentare zum Rücktritt des Kabinetts Giolitti. Da hat Giolittis Politik „arg<lb/> enttäuscht". Warum? Weil man nie besseres zu tun wußte, als von dem „deutsch¬<lb/> freundlichen" Giolitti zu reden. Und warum deutschfreundlich? Weil er, wie<lb/> das in Italien eben allen Ausländern gegenüber üblich, Deutschen Freundlichkeiten<lb/> sagte, weil er, wie alle gebildeten Menschen im Ausland, vielleicht einmal deutsche<lb/> Bücher gelesen hat, weil er vor allem aber neutralise war. Aber Giolitii ist nie<lb/> aus Deutschfreundlichkeit neutralise gewesen, sondern aus Jtaliensreundlichkeit.<lb/> Und wenn man sich klar gemacht hatte, daß der Leiter der italienischen Politik<lb/> merkwürdigerweise eben Italiener war, und sein Land deshalb um eines nieder¬<lb/> geschlagenen Deutschland willen, das nicht, weiß, was es will und wirr von<lb/> Friedensschalmeicn und Nevanchereden zugleich widerhallt, nicht mit der ganzen<lb/> übrigen Welt verfeinden kann, hätte man nicht enttäuscht sein können. Ein<lb/> anderes Blatt belehrt gar die Italiener, ihr Kabinett sei der französischen Hysterie<lb/> nicht mit „gebührender" Festigkeit entgegengetreten! Wollten wir doch freundlich<lb/> den Italienern überlasten, das zu tun, was sie selbst für richtig halten und die<lb/> „gebührende Festigkeit" gefälligst erst einmal selbst blicken lassen, bzw. die Be¬<lb/> dingungen dazu schaffen helfen!</p><lb/> <p xml:id="ID_172"> Bei einer derartigen Unreife der sogenannten öffentlichen Meinung ist es nicht<lb/> weiter verwunderlich, das; es der neue deutsche Außenminister einstweilen vor¬<lb/> gezogen hgt, zu handeln, anstatt durch Reden oder Programme die komplizierte<lb/> Lage noch mehr zu verwickeln. Die Ansatzpunkte dieses Handelns liegen für den,<lb/> der mit stetiger Aufmerksamkeit die Presse des Auslandes (allerdings nicht nur<lb/> die „Times" oder den „Matin") verfolgt, ziemlich deutlich zutage, werden aber<lb/> einstweilen besser noch nicht erörtert. Im ganzen hat man das Gefühl, daß eine<lb/> geschickte, sachkundige und geübte Hand am Werke ist, doch bleibt bei den aus<lb/> unserer Innenpolitik erwachsenden Hemmnissen und bei der ständig drohenden<lb/> Möglichkeit, daß das Gesnmtkabinett und damit eventuell auch die außenpolitische<lb/> Leitung über ein simples Steuergesetz zu Fall kommen kann, stets zu befürchten,<lb/> daß die andern, die erstens mehr sind und zweitens schneller und präziser ar¬<lb/> beiten, die Aktion lahmlegen. Doch ist in dem ganzen Plan im Gegensatz zu der<lb/> bisherigen Gefühls- und Aubahimngspolitik eine große Konzeption sichtbar, die<lb/> Gutes erhoffen läßt.</p><lb/> <p xml:id="ID_173" next="#ID_174"> Nicht ganz das gleiche kann man bis jetzt leider von den zwischen Rathenau<lb/> und Loucheur zu Wiesbaden gepflogenen Verhandlungen sagen. Der bisher<lb/> charakteristischerweise bei uns am wenigsten gewürdigte Hauptvorteil, daß die<lb/> Minister hüben und drüben sich zunächst einmal persönlich und ohne den schwer¬<lb/> fälligen Apparat der Konferenzen und Kanzleien als Geschäftsleute miteinander<lb/> in Verbindung gesetzt haben, wird durch die Schwierigkeit, das wirtschaftliche mit<lb/> dem politischen Problem in Einklang zu bringen, weit überwogen. Es ist natür¬<lb/> lich sehr schön, daß man sich ohne gegenseitige Anbellerei und Angeberei hübsch<lb/> verständig an den Tisch setzt und ausmacht, wie der eins das Geld (und das<lb/> Material), das der andere braucht, am besten beschafft. Man übersieht aber, daß<lb/> diese Verständigkeit wenigstens von der einen Seite, wenn nicht beim deutschen<lb/> Minister persönlich, doch beim größten T«it derer, die er vertritt, eine er- und<lb/> gezwungene ist. Il taut ein'une pores soit ouvte on kermee. Sonst ist sie<lb/> jedem Luftzug preisgegeben. Mit anderen Worten, man kann von einem Gegner<lb/> keine Gmwilligkeit erwarten, wenn man ihn auf einen Marterstuhl setzt. Es ist<lb/> eine lächerliche Bescheidenheit, wenn jetzt hier die Räumung der drei Rheinsläote<lb/> verlangt wird. Glaubt jemand allen Ernstes, das gesamte deutsche Volk oder doch<lb/> ein überwiegender Teil werde bereit sein, sich friedlich mit einem Vertragsgegner<lb/> in Verhandlungen einzulassen, der ihm nicht nur in Oberschlesien direkt feindlich<lb/> gegenübersteht, sondern auch einen großen Teil deutschen Gebietes dauernd und<lb/> in durchaus feindlichen Formen besetzt hält und diese Besetzung, wie aus der<lb/> jüngsten Versammlung der „Rheinischen republikanischen Volkspartei" in Bonn<lb/> hervorgeht, zu anhaltenden Versuchen, dieses Land vom Stammkörpcr abzutrennen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
Weltspiegel
Ein schlagendes Beispiel für die kindliche deutsche Einstellung bilden die
Kommentare zum Rücktritt des Kabinetts Giolitti. Da hat Giolittis Politik „arg
enttäuscht". Warum? Weil man nie besseres zu tun wußte, als von dem „deutsch¬
freundlichen" Giolitti zu reden. Und warum deutschfreundlich? Weil er, wie
das in Italien eben allen Ausländern gegenüber üblich, Deutschen Freundlichkeiten
sagte, weil er, wie alle gebildeten Menschen im Ausland, vielleicht einmal deutsche
Bücher gelesen hat, weil er vor allem aber neutralise war. Aber Giolitii ist nie
aus Deutschfreundlichkeit neutralise gewesen, sondern aus Jtaliensreundlichkeit.
Und wenn man sich klar gemacht hatte, daß der Leiter der italienischen Politik
merkwürdigerweise eben Italiener war, und sein Land deshalb um eines nieder¬
geschlagenen Deutschland willen, das nicht, weiß, was es will und wirr von
Friedensschalmeicn und Nevanchereden zugleich widerhallt, nicht mit der ganzen
übrigen Welt verfeinden kann, hätte man nicht enttäuscht sein können. Ein
anderes Blatt belehrt gar die Italiener, ihr Kabinett sei der französischen Hysterie
nicht mit „gebührender" Festigkeit entgegengetreten! Wollten wir doch freundlich
den Italienern überlasten, das zu tun, was sie selbst für richtig halten und die
„gebührende Festigkeit" gefälligst erst einmal selbst blicken lassen, bzw. die Be¬
dingungen dazu schaffen helfen!
Bei einer derartigen Unreife der sogenannten öffentlichen Meinung ist es nicht
weiter verwunderlich, das; es der neue deutsche Außenminister einstweilen vor¬
gezogen hgt, zu handeln, anstatt durch Reden oder Programme die komplizierte
Lage noch mehr zu verwickeln. Die Ansatzpunkte dieses Handelns liegen für den,
der mit stetiger Aufmerksamkeit die Presse des Auslandes (allerdings nicht nur
die „Times" oder den „Matin") verfolgt, ziemlich deutlich zutage, werden aber
einstweilen besser noch nicht erörtert. Im ganzen hat man das Gefühl, daß eine
geschickte, sachkundige und geübte Hand am Werke ist, doch bleibt bei den aus
unserer Innenpolitik erwachsenden Hemmnissen und bei der ständig drohenden
Möglichkeit, daß das Gesnmtkabinett und damit eventuell auch die außenpolitische
Leitung über ein simples Steuergesetz zu Fall kommen kann, stets zu befürchten,
daß die andern, die erstens mehr sind und zweitens schneller und präziser ar¬
beiten, die Aktion lahmlegen. Doch ist in dem ganzen Plan im Gegensatz zu der
bisherigen Gefühls- und Aubahimngspolitik eine große Konzeption sichtbar, die
Gutes erhoffen läßt.
Nicht ganz das gleiche kann man bis jetzt leider von den zwischen Rathenau
und Loucheur zu Wiesbaden gepflogenen Verhandlungen sagen. Der bisher
charakteristischerweise bei uns am wenigsten gewürdigte Hauptvorteil, daß die
Minister hüben und drüben sich zunächst einmal persönlich und ohne den schwer¬
fälligen Apparat der Konferenzen und Kanzleien als Geschäftsleute miteinander
in Verbindung gesetzt haben, wird durch die Schwierigkeit, das wirtschaftliche mit
dem politischen Problem in Einklang zu bringen, weit überwogen. Es ist natür¬
lich sehr schön, daß man sich ohne gegenseitige Anbellerei und Angeberei hübsch
verständig an den Tisch setzt und ausmacht, wie der eins das Geld (und das
Material), das der andere braucht, am besten beschafft. Man übersieht aber, daß
diese Verständigkeit wenigstens von der einen Seite, wenn nicht beim deutschen
Minister persönlich, doch beim größten T«it derer, die er vertritt, eine er- und
gezwungene ist. Il taut ein'une pores soit ouvte on kermee. Sonst ist sie
jedem Luftzug preisgegeben. Mit anderen Worten, man kann von einem Gegner
keine Gmwilligkeit erwarten, wenn man ihn auf einen Marterstuhl setzt. Es ist
eine lächerliche Bescheidenheit, wenn jetzt hier die Räumung der drei Rheinsläote
verlangt wird. Glaubt jemand allen Ernstes, das gesamte deutsche Volk oder doch
ein überwiegender Teil werde bereit sein, sich friedlich mit einem Vertragsgegner
in Verhandlungen einzulassen, der ihm nicht nur in Oberschlesien direkt feindlich
gegenübersteht, sondern auch einen großen Teil deutschen Gebietes dauernd und
in durchaus feindlichen Formen besetzt hält und diese Besetzung, wie aus der
jüngsten Versammlung der „Rheinischen republikanischen Volkspartei" in Bonn
hervorgeht, zu anhaltenden Versuchen, dieses Land vom Stammkörpcr abzutrennen.
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