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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

Oder hunderttausend unabhängig und kommunistisch gesinnte Arbeiter
schmuggeln sich in die Wehrmacht ein und errichten eines Tages die Diktatur des
Proletariats.

Der politische Eigennutz ist immer noch edler, als der Geldeigennutz.

Aber was wird geschaffen?

Als Sieg der praktischen Demokratie, des Zufalls und des Hineinschlitterns
in eine für die deutsche Zukunft ausschlaggebende Lösung: Ein Kompromiß.

In Praxis: Von den hunderttausend heutigen Soldaten sind der über¬
wiegende Teil einstige Arbeitslose und durch den Zufall dem Soldatenberuf zuge-
führte Leute. Deshalb ist für absehbare Zeit von der Wehrmacht weder einheitlicher
Geist, noch Idealismus zu erwarten. Die Reichswehrbildung setzt unbewußt ein mit
dem dritten Zusammenbruch des Offizierkorps -- am Tage von Versailles! -- Denn:

Wer bleibt Führer?

Soweit Versailles oder die Haltung des Offizierkorps seit der Revolution
ihn nicht veranlaßten, sich zurückzuziehen: der alte Offizier.

In der Regel, weil er die Liebe zum Vaterland über die Staatsform
stellt, an den Wiederaufstieg und die Notwendigkeit seiner sachlichen Mitarbeit
glaubt. Weil er dem deutschen Volke einen Kern von nationalen Männern und
Vorbildern an Staatspflichterfüllung schaffen will. Wer ein charakterstarker Mann
ist, dem fällt das angesichts der Vergangenheit und Zukunft, mit ihren, den
Offiziersstand zermürbenden und kraftlos machenden Geschehnissen, ungeheuer
schwer. -- Wenn er trotzdem bleibt, ist er doppelter Achtung wert.

Andere sind mit Leib und Seele dem Soldatenberuf verfallen.

Jener hat Frau und Kind und will den Berufswechsel nicht wagen.
Dieser will die Gewohnheit nicht wechseln, ihm ist die neue Ordnung gleichgültig.

Wieder andere lassen sich vom Schicksal treiben, machen sich kein Kopf¬
zerbrechen.

Nur wenige bleiben als überzeugte Republikaner, mit dem direkten Ziel,
ein republikanisches Heer zu schaffen.

Der und jener denkt auch: In zäher stiller Arbeit ziehe ich eine Truppe
von Führern heran, die so denkt wie ich, und wenn die Stunde innerer und
äußerer Kämpfe kommt, so handelt wie ich.

Wieder andere wollen bequem leben. Das konnte der Offizier, wenn er
es wollte, wie in jedem Beruf. Der übergroßen Mehrzahl des alten deutschen
Offizierkorps aber lag das Pflichtgefühl im Blut und wurde zur Triebkraft
des Handelns.

Einige bleiben auch aus Ehrgeiz.

Oder aus Egoismus. Sie sagen dann, bewußt oder unbewußt: "aus
Vaterlandsliebe."

Dieses neue Offizierkorps ist zunächst -- zusammen mit den zu Leutnants
ernannten Unteroffizier" -- eine Schaar von Führern und kein Korps, und
solange keine Gefahr für die Republik. --

Welche Mannschaften bleiben?

Der Abbau von vierhunderttausend auf zweihunderttausend Mann geht so:

Die der Regierung gefährlichsten Freikorps werden zuerst aufgelöst. Militärisch
sind es die besten. Andere werden mit schlechteren verschmolzen, oder durch-


Grenzboten III 1921 22
Altes und neues Heer

Oder hunderttausend unabhängig und kommunistisch gesinnte Arbeiter
schmuggeln sich in die Wehrmacht ein und errichten eines Tages die Diktatur des
Proletariats.

Der politische Eigennutz ist immer noch edler, als der Geldeigennutz.

Aber was wird geschaffen?

Als Sieg der praktischen Demokratie, des Zufalls und des Hineinschlitterns
in eine für die deutsche Zukunft ausschlaggebende Lösung: Ein Kompromiß.

In Praxis: Von den hunderttausend heutigen Soldaten sind der über¬
wiegende Teil einstige Arbeitslose und durch den Zufall dem Soldatenberuf zuge-
führte Leute. Deshalb ist für absehbare Zeit von der Wehrmacht weder einheitlicher
Geist, noch Idealismus zu erwarten. Die Reichswehrbildung setzt unbewußt ein mit
dem dritten Zusammenbruch des Offizierkorps — am Tage von Versailles! — Denn:

Wer bleibt Führer?

Soweit Versailles oder die Haltung des Offizierkorps seit der Revolution
ihn nicht veranlaßten, sich zurückzuziehen: der alte Offizier.

In der Regel, weil er die Liebe zum Vaterland über die Staatsform
stellt, an den Wiederaufstieg und die Notwendigkeit seiner sachlichen Mitarbeit
glaubt. Weil er dem deutschen Volke einen Kern von nationalen Männern und
Vorbildern an Staatspflichterfüllung schaffen will. Wer ein charakterstarker Mann
ist, dem fällt das angesichts der Vergangenheit und Zukunft, mit ihren, den
Offiziersstand zermürbenden und kraftlos machenden Geschehnissen, ungeheuer
schwer. — Wenn er trotzdem bleibt, ist er doppelter Achtung wert.

Andere sind mit Leib und Seele dem Soldatenberuf verfallen.

Jener hat Frau und Kind und will den Berufswechsel nicht wagen.
Dieser will die Gewohnheit nicht wechseln, ihm ist die neue Ordnung gleichgültig.

Wieder andere lassen sich vom Schicksal treiben, machen sich kein Kopf¬
zerbrechen.

Nur wenige bleiben als überzeugte Republikaner, mit dem direkten Ziel,
ein republikanisches Heer zu schaffen.

Der und jener denkt auch: In zäher stiller Arbeit ziehe ich eine Truppe
von Führern heran, die so denkt wie ich, und wenn die Stunde innerer und
äußerer Kämpfe kommt, so handelt wie ich.

Wieder andere wollen bequem leben. Das konnte der Offizier, wenn er
es wollte, wie in jedem Beruf. Der übergroßen Mehrzahl des alten deutschen
Offizierkorps aber lag das Pflichtgefühl im Blut und wurde zur Triebkraft
des Handelns.

Einige bleiben auch aus Ehrgeiz.

Oder aus Egoismus. Sie sagen dann, bewußt oder unbewußt: „aus
Vaterlandsliebe."

Dieses neue Offizierkorps ist zunächst — zusammen mit den zu Leutnants
ernannten Unteroffizier» — eine Schaar von Führern und kein Korps, und
solange keine Gefahr für die Republik. —

Welche Mannschaften bleiben?

Der Abbau von vierhunderttausend auf zweihunderttausend Mann geht so:

Die der Regierung gefährlichsten Freikorps werden zuerst aufgelöst. Militärisch
sind es die besten. Andere werden mit schlechteren verschmolzen, oder durch-


Grenzboten III 1921 22
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[0351] Altes und neues Heer Oder hunderttausend unabhängig und kommunistisch gesinnte Arbeiter schmuggeln sich in die Wehrmacht ein und errichten eines Tages die Diktatur des Proletariats. Der politische Eigennutz ist immer noch edler, als der Geldeigennutz. Aber was wird geschaffen? Als Sieg der praktischen Demokratie, des Zufalls und des Hineinschlitterns in eine für die deutsche Zukunft ausschlaggebende Lösung: Ein Kompromiß. In Praxis: Von den hunderttausend heutigen Soldaten sind der über¬ wiegende Teil einstige Arbeitslose und durch den Zufall dem Soldatenberuf zuge- führte Leute. Deshalb ist für absehbare Zeit von der Wehrmacht weder einheitlicher Geist, noch Idealismus zu erwarten. Die Reichswehrbildung setzt unbewußt ein mit dem dritten Zusammenbruch des Offizierkorps — am Tage von Versailles! — Denn: Wer bleibt Führer? Soweit Versailles oder die Haltung des Offizierkorps seit der Revolution ihn nicht veranlaßten, sich zurückzuziehen: der alte Offizier. In der Regel, weil er die Liebe zum Vaterland über die Staatsform stellt, an den Wiederaufstieg und die Notwendigkeit seiner sachlichen Mitarbeit glaubt. Weil er dem deutschen Volke einen Kern von nationalen Männern und Vorbildern an Staatspflichterfüllung schaffen will. Wer ein charakterstarker Mann ist, dem fällt das angesichts der Vergangenheit und Zukunft, mit ihren, den Offiziersstand zermürbenden und kraftlos machenden Geschehnissen, ungeheuer schwer. — Wenn er trotzdem bleibt, ist er doppelter Achtung wert. Andere sind mit Leib und Seele dem Soldatenberuf verfallen. Jener hat Frau und Kind und will den Berufswechsel nicht wagen. Dieser will die Gewohnheit nicht wechseln, ihm ist die neue Ordnung gleichgültig. Wieder andere lassen sich vom Schicksal treiben, machen sich kein Kopf¬ zerbrechen. Nur wenige bleiben als überzeugte Republikaner, mit dem direkten Ziel, ein republikanisches Heer zu schaffen. Der und jener denkt auch: In zäher stiller Arbeit ziehe ich eine Truppe von Führern heran, die so denkt wie ich, und wenn die Stunde innerer und äußerer Kämpfe kommt, so handelt wie ich. Wieder andere wollen bequem leben. Das konnte der Offizier, wenn er es wollte, wie in jedem Beruf. Der übergroßen Mehrzahl des alten deutschen Offizierkorps aber lag das Pflichtgefühl im Blut und wurde zur Triebkraft des Handelns. Einige bleiben auch aus Ehrgeiz. Oder aus Egoismus. Sie sagen dann, bewußt oder unbewußt: „aus Vaterlandsliebe." Dieses neue Offizierkorps ist zunächst — zusammen mit den zu Leutnants ernannten Unteroffizier» — eine Schaar von Führern und kein Korps, und solange keine Gefahr für die Republik. — Welche Mannschaften bleiben? Der Abbau von vierhunderttausend auf zweihunderttausend Mann geht so: Die der Regierung gefährlichsten Freikorps werden zuerst aufgelöst. Militärisch sind es die besten. Andere werden mit schlechteren verschmolzen, oder durch- Grenzboten III 1921 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/351>, abgerufen am 24.07.2024.