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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Ueber Revolutionen

Rheinufer zu tragen. Besatzungslast, wirtschaftliche Not, wie sie heute in dem
Erfolg der "Sanktionen" so furchtbar deutlich sich ausspricht, endlich nicht zum
letzten "Kultur- und Greuelpropaganda": alle diese Lockungen und Drohungen
treffen ja noch immer nicht auf die granitene Mauer eines einmütiger nationalen
Willens, der im Reiche entflammt und Anziehungskraft genug besitzt, die Land¬
schollen, die sich zu lockern und zu lösen drohen, immer fester und fester ans
heimatliche Ufer zu binden oder gar die abgetriebenen zurückzuziehen und ihnen
einen sicheren Hafen zu bieten.

Kein anderer als Friedrich Engels, "der erste rheinische Sozialdemokrat",
Hat vor achtzig Jahren schon diesen Gedanken so machtvoll und treffend Ausdruck
gegeben, daß sie auch unsere kleinen Sorgen über Luxemburg und Liechtenstein,
über "Sanktionen" und "Nheinlandpropaganda" in den großen Zug Weltgeschichte
licher Entwicklung emporheben und zugleich ins Reich hinübertragen: "Nachdem
Burgund und Lothringen uns entrissen, so heißt es da, nachdem Frank¬
reich mit dem Elsaß schon bis an den Rhein vorgedrungen und nur ein ver¬
hältnismäßig kleiner Teil der ehemals deutschen linken Rheinseite noch unser ist,
jetzt schämen wir uns nicht, großzutun und.zu schreien: Das letzte Stück sollt
ihr wenigstens nicht haben. Statt daß wir Buße tun sollten im Sack und in
Asche für die Sünden, durch die wir alle jene schönen Länder verloren haben, für
die Uneinigkeit und den Verrat an der Idee, für den Lokalpatriotismus, der vom
Ganzen um des lokalen Vorteils willen falle für die nationale Bewußtlosigkeit."
Bedeutungsvoll sollte gerade heute dies lange und doch so stolze Bekenntnis des
alten "Generals", alle deutschen Parteien zu der "Einheitsfront" zu--
sammenzwingen, die das ganze, weite deutsche Rheintal so unendlich bitter nötig hat..




Über Revolutionen

Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem!
Despotismus oder gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals
wahre Reform der Denkungsart zustande kommen, sondern neue Vorurteil?
werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen HaufenK
dienen. Was aber das äußere Staatsverhältnis betrifft, so kann von einem
Staate nicht verlangt werden, daß er seine obgleich despotische Verfassung ablegen
sollte, solange er Gefahr läuft, von andern Seiten sofort
verschlungen zu werden; mithin muß bei jenem Vorsatz doch auch die-
Verzögerung der Ausführung bis zu besserer Zeitgelegenheit erlaubt sein.


Kant.


Ueber Revolutionen

Rheinufer zu tragen. Besatzungslast, wirtschaftliche Not, wie sie heute in dem
Erfolg der „Sanktionen" so furchtbar deutlich sich ausspricht, endlich nicht zum
letzten „Kultur- und Greuelpropaganda": alle diese Lockungen und Drohungen
treffen ja noch immer nicht auf die granitene Mauer eines einmütiger nationalen
Willens, der im Reiche entflammt und Anziehungskraft genug besitzt, die Land¬
schollen, die sich zu lockern und zu lösen drohen, immer fester und fester ans
heimatliche Ufer zu binden oder gar die abgetriebenen zurückzuziehen und ihnen
einen sicheren Hafen zu bieten.

Kein anderer als Friedrich Engels, „der erste rheinische Sozialdemokrat",
Hat vor achtzig Jahren schon diesen Gedanken so machtvoll und treffend Ausdruck
gegeben, daß sie auch unsere kleinen Sorgen über Luxemburg und Liechtenstein,
über „Sanktionen" und „Nheinlandpropaganda" in den großen Zug Weltgeschichte
licher Entwicklung emporheben und zugleich ins Reich hinübertragen: „Nachdem
Burgund und Lothringen uns entrissen, so heißt es da, nachdem Frank¬
reich mit dem Elsaß schon bis an den Rhein vorgedrungen und nur ein ver¬
hältnismäßig kleiner Teil der ehemals deutschen linken Rheinseite noch unser ist,
jetzt schämen wir uns nicht, großzutun und.zu schreien: Das letzte Stück sollt
ihr wenigstens nicht haben. Statt daß wir Buße tun sollten im Sack und in
Asche für die Sünden, durch die wir alle jene schönen Länder verloren haben, für
die Uneinigkeit und den Verrat an der Idee, für den Lokalpatriotismus, der vom
Ganzen um des lokalen Vorteils willen falle für die nationale Bewußtlosigkeit."
Bedeutungsvoll sollte gerade heute dies lange und doch so stolze Bekenntnis des
alten „Generals", alle deutschen Parteien zu der „Einheitsfront" zu--
sammenzwingen, die das ganze, weite deutsche Rheintal so unendlich bitter nötig hat..




Über Revolutionen

Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem!
Despotismus oder gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals
wahre Reform der Denkungsart zustande kommen, sondern neue Vorurteil?
werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen HaufenK
dienen. Was aber das äußere Staatsverhältnis betrifft, so kann von einem
Staate nicht verlangt werden, daß er seine obgleich despotische Verfassung ablegen
sollte, solange er Gefahr läuft, von andern Seiten sofort
verschlungen zu werden; mithin muß bei jenem Vorsatz doch auch die-
Verzögerung der Ausführung bis zu besserer Zeitgelegenheit erlaubt sein.


Kant.


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[0290] Ueber Revolutionen Rheinufer zu tragen. Besatzungslast, wirtschaftliche Not, wie sie heute in dem Erfolg der „Sanktionen" so furchtbar deutlich sich ausspricht, endlich nicht zum letzten „Kultur- und Greuelpropaganda": alle diese Lockungen und Drohungen treffen ja noch immer nicht auf die granitene Mauer eines einmütiger nationalen Willens, der im Reiche entflammt und Anziehungskraft genug besitzt, die Land¬ schollen, die sich zu lockern und zu lösen drohen, immer fester und fester ans heimatliche Ufer zu binden oder gar die abgetriebenen zurückzuziehen und ihnen einen sicheren Hafen zu bieten. Kein anderer als Friedrich Engels, „der erste rheinische Sozialdemokrat", Hat vor achtzig Jahren schon diesen Gedanken so machtvoll und treffend Ausdruck gegeben, daß sie auch unsere kleinen Sorgen über Luxemburg und Liechtenstein, über „Sanktionen" und „Nheinlandpropaganda" in den großen Zug Weltgeschichte licher Entwicklung emporheben und zugleich ins Reich hinübertragen: „Nachdem Burgund und Lothringen uns entrissen, so heißt es da, nachdem Frank¬ reich mit dem Elsaß schon bis an den Rhein vorgedrungen und nur ein ver¬ hältnismäßig kleiner Teil der ehemals deutschen linken Rheinseite noch unser ist, jetzt schämen wir uns nicht, großzutun und.zu schreien: Das letzte Stück sollt ihr wenigstens nicht haben. Statt daß wir Buße tun sollten im Sack und in Asche für die Sünden, durch die wir alle jene schönen Länder verloren haben, für die Uneinigkeit und den Verrat an der Idee, für den Lokalpatriotismus, der vom Ganzen um des lokalen Vorteils willen falle für die nationale Bewußtlosigkeit." Bedeutungsvoll sollte gerade heute dies lange und doch so stolze Bekenntnis des alten „Generals", alle deutschen Parteien zu der „Einheitsfront" zu-- sammenzwingen, die das ganze, weite deutsche Rheintal so unendlich bitter nötig hat.. Über Revolutionen Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem! Despotismus oder gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen, sondern neue Vorurteil? werden ebensowohl als die alten zum Leitbande des gedankenlosen großen HaufenK dienen. Was aber das äußere Staatsverhältnis betrifft, so kann von einem Staate nicht verlangt werden, daß er seine obgleich despotische Verfassung ablegen sollte, solange er Gefahr läuft, von andern Seiten sofort verschlungen zu werden; mithin muß bei jenem Vorsatz doch auch die- Verzögerung der Ausführung bis zu besserer Zeitgelegenheit erlaubt sein. Kant.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/290>, abgerufen am 26.06.2024.