Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Ernst Haeckels Jugendbriefe Begeisterung nimmt er Virchows Lehre von der Zelle als dem Grundbaustein und Diese medizinisch-naturwissenschaftlichen Studien sind es, die den jungen Erst ganz allmählich dringt der junge Mediziner in seine eigentliche Wissen- Das, was eigentlich über Haeckels wissenschaftliches Schicksal entschied, war Viel weniger klar, aber psychologisch viel interessanter ist der andere Kampf, Ernst Haeckels Jugendbriefe Begeisterung nimmt er Virchows Lehre von der Zelle als dem Grundbaustein und Diese medizinisch-naturwissenschaftlichen Studien sind es, die den jungen Erst ganz allmählich dringt der junge Mediziner in seine eigentliche Wissen- Das, was eigentlich über Haeckels wissenschaftliches Schicksal entschied, war Viel weniger klar, aber psychologisch viel interessanter ist der andere Kampf, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0222" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339371"/> <fw type="header" place="top"> Ernst Haeckels Jugendbriefe</fw><lb/> <p xml:id="ID_839" prev="#ID_838"> Begeisterung nimmt er Virchows Lehre von der Zelle als dem Grundbaustein und<lb/> dem Kernproblem von Biologie und Medizin in sich auf und sein höchstes Ziel<lb/> erscheint ihm, an dem Ausbau dieser Theorie mitzuarbeiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_840"> Diese medizinisch-naturwissenschaftlichen Studien sind es, die den jungen<lb/> Studenten wirklich gefördert haben. Bei der Ankunft auf der Universität ist er<lb/> ein leidenschaftlicher Pflanzensammler voller Interesse an seltenen Formen und<lb/> neuen Standorten, der jedes Semester seine „Heusammlung" um mehrere Bände<lb/> vergrößert und seine Ausflüge vorwiegend nach botanischen Gesichtspunkten orientiert.<lb/> Die Arbeit bei Kölliker bringt eine große Vertiefung und lenkt ihn mehr und mehr<lb/> von der Botanik ab, die keinen gleich anregenden Vertreter in Würzburg zählt.<lb/> Vor allen Dingen zieht ihn das Studium der wirbellosen Tiere und ihrer Ent¬<lb/> wicklung in seinen Bann. Es knüpfen sich Beziehungen zu den jungen zoologischen<lb/> Privatdozentsn Leydig und Gegenbaur, von denen besonders der letztere für seine<lb/> spätere Laufbahn von großer Bedeutung wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_841"> Erst ganz allmählich dringt der junge Mediziner in seine eigentliche Wissen-<lb/> schaft ein und ringt sich zu einer gerechteren Beurteilung ihrer Bedeutung durch,<lb/> wie er sie sehr klar in einem Brief aus dem November 1865 ausspricht. Die<lb/> Aussöhnung bleibt aber immer nur eine zeitweilige und das, was ihn fesselt, ist<lb/> nie das eigentlich ärztliche, sondern der naturwissenschaftliche Hintergrund. So<lb/> wird er Assistent von Virchow und bleibt in dieser Stellung ein halbes Jahr bis<lb/> zu Virchows Übersiedelung nach Berlin. Ein außerordentlich interessanter Gegensatz:<lb/> der kühl und klar, streng rationalistisch und methodisch denkende, menschlich ver¬<lb/> schlossene und zurückhaltende Lehrer und der feurig überschäumende, himmelhoch<lb/> jauchzende und zu Tode betrübte, offenherzig schwärmerische Schüler. Bei aller<lb/> Ehrfurcht vor dem überlegenen Wissen und Können des Meisters und bei aller<lb/> Achtung seines klaren und starken Charakters spüren wir doch schon in den.<lb/> Schilderungen der Jugendbriefe die tiefen Gegensätze, die die beiden großen<lb/> Kämpfer nach kurzer Zeit gemeinsamen Strebens mit Notwendigkeit auseinander¬<lb/> führen mußten.</p><lb/> <p xml:id="ID_842"> Das, was eigentlich über Haeckels wissenschaftliches Schicksal entschied, war<lb/> nicht so sehr das Studium in Würzburg selbst, als seine wissenschaftlichen Ferien¬<lb/> reisen. Durch die Arbeit bei Kölliker wird er auf die Bedeutung der Meeres¬<lb/> biologie hingewiesen, und so geht er zunächst nach Helgoland, um dort noch<lb/> unter ganz primitiven Verhältnissen zoologisch zu arbeiten. Hier lebt er auf und<lb/> fühlt sich ganz in seinem Elemente, besonders als der Meister der Biologie,<lb/> Johannes Müller, den er während eines Berliner Semesters kennen gelernt hat,<lb/> auch nach Helgoland kommt und ihn in den Kreis seiner Schüler aufnimmt.<lb/> Diese Briefe von Helgoland sind voll naiver Entdeckerfreude und Begeisterung<lb/> über das schöne und fremde Leben, das ihn umgibt. Im Sommer 1855 folgt<lb/> eine Alpenreise, auf der er voller Empfänglichkeit die Großartigkeit des Hoch¬<lb/> gebirges auf sich wirken läßt, die ihn auf angestrengten Märschen von dem Gefühl<lb/> körperlicher Unzulänglichkeit befreit. Sie bringt noch einmal einen Rückfall in<lb/> die Begeisterung für die Botanik, und der junge Haeckel schmiedet Pläne über<lb/> Pläne, wie er, der doch zum Heiraten nicht geschaffen sei, als Schiffsarzt in die<lb/> Tropen gehen und dort unter den Wundern der mächtigen Natur sich seine wissen¬<lb/> schaftlichen Sporen verdienen wolle. Sehr stark schwingt die künstlerische Seite<lb/> in seiner Natur dabei mit. Landschaftliche Bilder, Menschentypen und natur¬<lb/> wissenschaftliche Objekte werden mit schnellem Stift festgehalten. Der Plan zu<lb/> den „Kunstformen der Natur" taucht bereits in diesen Jugendbriefen auf. Doch<lb/> die Zoologie ist stärker, und voller Jubel folgt er der Einladung Köllikers, ihm<lb/> im Herbst 1856 nach Nizza, dem Dorado der Meeresbiologen, zu folgen, wo er<lb/> auch mit Johannes Müller wieder zusammentreffen wird. Mit den Vorbereitungen<lb/> zu dieser Reise, die Haeckel ganz in die Zoologie hineinführte, schließen die Jugend¬<lb/> briefe ab. Der Streit zwischen Medizin und Naturwissenschaft endet mit der<lb/> entschiedenen Durchsetzung des inneren Berufes,</p><lb/> <p xml:id="ID_843" next="#ID_844"> Viel weniger klar, aber psychologisch viel interessanter ist der andere Kampf,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0222]
Ernst Haeckels Jugendbriefe
Begeisterung nimmt er Virchows Lehre von der Zelle als dem Grundbaustein und
dem Kernproblem von Biologie und Medizin in sich auf und sein höchstes Ziel
erscheint ihm, an dem Ausbau dieser Theorie mitzuarbeiten.
Diese medizinisch-naturwissenschaftlichen Studien sind es, die den jungen
Studenten wirklich gefördert haben. Bei der Ankunft auf der Universität ist er
ein leidenschaftlicher Pflanzensammler voller Interesse an seltenen Formen und
neuen Standorten, der jedes Semester seine „Heusammlung" um mehrere Bände
vergrößert und seine Ausflüge vorwiegend nach botanischen Gesichtspunkten orientiert.
Die Arbeit bei Kölliker bringt eine große Vertiefung und lenkt ihn mehr und mehr
von der Botanik ab, die keinen gleich anregenden Vertreter in Würzburg zählt.
Vor allen Dingen zieht ihn das Studium der wirbellosen Tiere und ihrer Ent¬
wicklung in seinen Bann. Es knüpfen sich Beziehungen zu den jungen zoologischen
Privatdozentsn Leydig und Gegenbaur, von denen besonders der letztere für seine
spätere Laufbahn von großer Bedeutung wird.
Erst ganz allmählich dringt der junge Mediziner in seine eigentliche Wissen-
schaft ein und ringt sich zu einer gerechteren Beurteilung ihrer Bedeutung durch,
wie er sie sehr klar in einem Brief aus dem November 1865 ausspricht. Die
Aussöhnung bleibt aber immer nur eine zeitweilige und das, was ihn fesselt, ist
nie das eigentlich ärztliche, sondern der naturwissenschaftliche Hintergrund. So
wird er Assistent von Virchow und bleibt in dieser Stellung ein halbes Jahr bis
zu Virchows Übersiedelung nach Berlin. Ein außerordentlich interessanter Gegensatz:
der kühl und klar, streng rationalistisch und methodisch denkende, menschlich ver¬
schlossene und zurückhaltende Lehrer und der feurig überschäumende, himmelhoch
jauchzende und zu Tode betrübte, offenherzig schwärmerische Schüler. Bei aller
Ehrfurcht vor dem überlegenen Wissen und Können des Meisters und bei aller
Achtung seines klaren und starken Charakters spüren wir doch schon in den.
Schilderungen der Jugendbriefe die tiefen Gegensätze, die die beiden großen
Kämpfer nach kurzer Zeit gemeinsamen Strebens mit Notwendigkeit auseinander¬
führen mußten.
Das, was eigentlich über Haeckels wissenschaftliches Schicksal entschied, war
nicht so sehr das Studium in Würzburg selbst, als seine wissenschaftlichen Ferien¬
reisen. Durch die Arbeit bei Kölliker wird er auf die Bedeutung der Meeres¬
biologie hingewiesen, und so geht er zunächst nach Helgoland, um dort noch
unter ganz primitiven Verhältnissen zoologisch zu arbeiten. Hier lebt er auf und
fühlt sich ganz in seinem Elemente, besonders als der Meister der Biologie,
Johannes Müller, den er während eines Berliner Semesters kennen gelernt hat,
auch nach Helgoland kommt und ihn in den Kreis seiner Schüler aufnimmt.
Diese Briefe von Helgoland sind voll naiver Entdeckerfreude und Begeisterung
über das schöne und fremde Leben, das ihn umgibt. Im Sommer 1855 folgt
eine Alpenreise, auf der er voller Empfänglichkeit die Großartigkeit des Hoch¬
gebirges auf sich wirken läßt, die ihn auf angestrengten Märschen von dem Gefühl
körperlicher Unzulänglichkeit befreit. Sie bringt noch einmal einen Rückfall in
die Begeisterung für die Botanik, und der junge Haeckel schmiedet Pläne über
Pläne, wie er, der doch zum Heiraten nicht geschaffen sei, als Schiffsarzt in die
Tropen gehen und dort unter den Wundern der mächtigen Natur sich seine wissen¬
schaftlichen Sporen verdienen wolle. Sehr stark schwingt die künstlerische Seite
in seiner Natur dabei mit. Landschaftliche Bilder, Menschentypen und natur¬
wissenschaftliche Objekte werden mit schnellem Stift festgehalten. Der Plan zu
den „Kunstformen der Natur" taucht bereits in diesen Jugendbriefen auf. Doch
die Zoologie ist stärker, und voller Jubel folgt er der Einladung Köllikers, ihm
im Herbst 1856 nach Nizza, dem Dorado der Meeresbiologen, zu folgen, wo er
auch mit Johannes Müller wieder zusammentreffen wird. Mit den Vorbereitungen
zu dieser Reise, die Haeckel ganz in die Zoologie hineinführte, schließen die Jugend¬
briefe ab. Der Streit zwischen Medizin und Naturwissenschaft endet mit der
entschiedenen Durchsetzung des inneren Berufes,
Viel weniger klar, aber psychologisch viel interessanter ist der andere Kampf,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |