Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Briefwechsel zwischen einer phantastin und einem Bürokraten

ist am Auftreten unserer Vertreter in London bemängelt worden. Man mag
füglich bezweifeln, ob ihr Gegenzug geschickt und ob er hinreichend durchdacht war.
Man mag in der Abwehr der gegnerischen Beschuldigungen die gebotene Ent¬
schiedenheit vermissen. Warum ist das alberne Gerede von Deutschlands "bösem
Willen" nicht mit der Feststellung abgetan worden, daß das ausgesogene und ver¬
hungerte Deutschland in zwei Jahren seinen Feinden gutwillig mehr geleistet hat,
als alle Besiegten der Weltgeschichte zusammengenommen? Warum, als der
Walliser Rabulist die Stirn hatte, Deutschlands Schuld durch eine Reihe frag-"
würdiger Unterschriften für gerichtlich festgestellt, für "esuso jugee" zu erklären,
warum wurde ihm nicht in die Zähne gerückt, daß er sich dadurch dem Hexen--
richter gleichstellt, der auf das einer Halbtoten durch den letzten Grad der Folter
.abgepreßte Geständnis ein vernunftwidriges Urteil gründet? Warum, zum Henker,
beten wir gedankenlos das heuchlerische Kauderwelsch der Feinde nach und sprechen
von "Sanktionen", wo von Raubzügen, und von "Wiedergutmachung", wo von
der Erpressung wucherischer Ersatzes für selbstangerichtete (Se. QuentinI) oder
wenigstens durch frivole Verlängerung des Krieges selbstverschuldete Schäden
die Rede ist?

Man darf nicht alles auf einmal erwarten. Wenn die Haltung unserer Ver¬
treter noch viel zu wünschen übrig ließ; wenn der Ruf zur Eiuheitsfrout noch
unmer mißtönendes Echo weckt -- Eines ist doch gewonnen: wir haben endlich
einmal Widerstand geleistet. Passiver Widerstand freilich. Eine traurige Abart,
die nur der müde Sinn einer absterbenden Kultur für edler halten kann als
tätige Abwehr. Wem aber, wie uns, die Wehr zerbrochen ist, der muß eben als
Dulder die .Kraft feindlicher Angriffe zu brechen suchen, und er kann es, wenn er
nur zum mutigen Dulden auch des Äußersten entschlossen ist. Zu diesen: Entschluß
hat die Londoner Gewalttat das deutsche Volk aufgerüttelt. Nachdem es über
zwei Jahre lang vor jeder Drohung zu Kreuze gekrochen ist, hat es sich jetzt in
feiner überwältigenden Mehrheit bereit gezeigt, zur Verteidigung seines Rechtes
Opfer auf sich zu nehmen. Wir sehen, wie dies erste opfermutige Nein 'ihm
schon ein Stück Achtung in der Welt zurückgewonnen hat. Bleiben wir fest, dann
muß der Vernichtungswille der Feinde schließlich erlahmen. Und, was mehr ist:
durch gemeinsamen Widerstand und genieinsames Dulden für Recht und Ehre des
Vaterlandes werden wir wieder zu einer Nation zusammenwachsen.




Briefwechsel zwischen einer phantastin und einem Bürokraten

ist am Auftreten unserer Vertreter in London bemängelt worden. Man mag
füglich bezweifeln, ob ihr Gegenzug geschickt und ob er hinreichend durchdacht war.
Man mag in der Abwehr der gegnerischen Beschuldigungen die gebotene Ent¬
schiedenheit vermissen. Warum ist das alberne Gerede von Deutschlands „bösem
Willen" nicht mit der Feststellung abgetan worden, daß das ausgesogene und ver¬
hungerte Deutschland in zwei Jahren seinen Feinden gutwillig mehr geleistet hat,
als alle Besiegten der Weltgeschichte zusammengenommen? Warum, als der
Walliser Rabulist die Stirn hatte, Deutschlands Schuld durch eine Reihe frag-»
würdiger Unterschriften für gerichtlich festgestellt, für „esuso jugee" zu erklären,
warum wurde ihm nicht in die Zähne gerückt, daß er sich dadurch dem Hexen--
richter gleichstellt, der auf das einer Halbtoten durch den letzten Grad der Folter
.abgepreßte Geständnis ein vernunftwidriges Urteil gründet? Warum, zum Henker,
beten wir gedankenlos das heuchlerische Kauderwelsch der Feinde nach und sprechen
von „Sanktionen", wo von Raubzügen, und von „Wiedergutmachung", wo von
der Erpressung wucherischer Ersatzes für selbstangerichtete (Se. QuentinI) oder
wenigstens durch frivole Verlängerung des Krieges selbstverschuldete Schäden
die Rede ist?

Man darf nicht alles auf einmal erwarten. Wenn die Haltung unserer Ver¬
treter noch viel zu wünschen übrig ließ; wenn der Ruf zur Eiuheitsfrout noch
unmer mißtönendes Echo weckt — Eines ist doch gewonnen: wir haben endlich
einmal Widerstand geleistet. Passiver Widerstand freilich. Eine traurige Abart,
die nur der müde Sinn einer absterbenden Kultur für edler halten kann als
tätige Abwehr. Wem aber, wie uns, die Wehr zerbrochen ist, der muß eben als
Dulder die .Kraft feindlicher Angriffe zu brechen suchen, und er kann es, wenn er
nur zum mutigen Dulden auch des Äußersten entschlossen ist. Zu diesen: Entschluß
hat die Londoner Gewalttat das deutsche Volk aufgerüttelt. Nachdem es über
zwei Jahre lang vor jeder Drohung zu Kreuze gekrochen ist, hat es sich jetzt in
feiner überwältigenden Mehrheit bereit gezeigt, zur Verteidigung seines Rechtes
Opfer auf sich zu nehmen. Wir sehen, wie dies erste opfermutige Nein 'ihm
schon ein Stück Achtung in der Welt zurückgewonnen hat. Bleiben wir fest, dann
muß der Vernichtungswille der Feinde schließlich erlahmen. Und, was mehr ist:
durch gemeinsamen Widerstand und genieinsames Dulden für Recht und Ehre des
Vaterlandes werden wir wieder zu einer Nation zusammenwachsen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339305"/>
          <fw type="header" place="top"> Briefwechsel zwischen einer phantastin und einem Bürokraten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_534" prev="#ID_533"> ist am Auftreten unserer Vertreter in London bemängelt worden. Man mag<lb/>
füglich bezweifeln, ob ihr Gegenzug geschickt und ob er hinreichend durchdacht war.<lb/>
Man mag in der Abwehr der gegnerischen Beschuldigungen die gebotene Ent¬<lb/>
schiedenheit vermissen. Warum ist das alberne Gerede von Deutschlands &#x201E;bösem<lb/>
Willen" nicht mit der Feststellung abgetan worden, daß das ausgesogene und ver¬<lb/>
hungerte Deutschland in zwei Jahren seinen Feinden gutwillig mehr geleistet hat,<lb/>
als alle Besiegten der Weltgeschichte zusammengenommen? Warum, als der<lb/>
Walliser Rabulist die Stirn hatte, Deutschlands Schuld durch eine Reihe frag-»<lb/>
würdiger Unterschriften für gerichtlich festgestellt, für &#x201E;esuso jugee" zu erklären,<lb/>
warum wurde ihm nicht in die Zähne gerückt, daß er sich dadurch dem Hexen--<lb/>
richter gleichstellt, der auf das einer Halbtoten durch den letzten Grad der Folter<lb/>
.abgepreßte Geständnis ein vernunftwidriges Urteil gründet? Warum, zum Henker,<lb/>
beten wir gedankenlos das heuchlerische Kauderwelsch der Feinde nach und sprechen<lb/>
von &#x201E;Sanktionen", wo von Raubzügen, und von &#x201E;Wiedergutmachung", wo von<lb/>
der Erpressung wucherischer Ersatzes für selbstangerichtete (Se. QuentinI) oder<lb/>
wenigstens durch frivole Verlängerung des Krieges selbstverschuldete Schäden<lb/>
die Rede ist?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_535"> Man darf nicht alles auf einmal erwarten. Wenn die Haltung unserer Ver¬<lb/>
treter noch viel zu wünschen übrig ließ; wenn der Ruf zur Eiuheitsfrout noch<lb/>
unmer mißtönendes Echo weckt &#x2014; Eines ist doch gewonnen: wir haben endlich<lb/>
einmal Widerstand geleistet. Passiver Widerstand freilich. Eine traurige Abart,<lb/>
die nur der müde Sinn einer absterbenden Kultur für edler halten kann als<lb/>
tätige Abwehr. Wem aber, wie uns, die Wehr zerbrochen ist, der muß eben als<lb/>
Dulder die .Kraft feindlicher Angriffe zu brechen suchen, und er kann es, wenn er<lb/>
nur zum mutigen Dulden auch des Äußersten entschlossen ist. Zu diesen: Entschluß<lb/>
hat die Londoner Gewalttat das deutsche Volk aufgerüttelt. Nachdem es über<lb/>
zwei Jahre lang vor jeder Drohung zu Kreuze gekrochen ist, hat es sich jetzt in<lb/>
feiner überwältigenden Mehrheit bereit gezeigt, zur Verteidigung seines Rechtes<lb/>
Opfer auf sich zu nehmen. Wir sehen, wie dies erste opfermutige Nein 'ihm<lb/>
schon ein Stück Achtung in der Welt zurückgewonnen hat. Bleiben wir fest, dann<lb/>
muß der Vernichtungswille der Feinde schließlich erlahmen. Und, was mehr ist:<lb/>
durch gemeinsamen Widerstand und genieinsames Dulden für Recht und Ehre des<lb/>
Vaterlandes werden wir wieder zu einer Nation zusammenwachsen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0156] Briefwechsel zwischen einer phantastin und einem Bürokraten ist am Auftreten unserer Vertreter in London bemängelt worden. Man mag füglich bezweifeln, ob ihr Gegenzug geschickt und ob er hinreichend durchdacht war. Man mag in der Abwehr der gegnerischen Beschuldigungen die gebotene Ent¬ schiedenheit vermissen. Warum ist das alberne Gerede von Deutschlands „bösem Willen" nicht mit der Feststellung abgetan worden, daß das ausgesogene und ver¬ hungerte Deutschland in zwei Jahren seinen Feinden gutwillig mehr geleistet hat, als alle Besiegten der Weltgeschichte zusammengenommen? Warum, als der Walliser Rabulist die Stirn hatte, Deutschlands Schuld durch eine Reihe frag-» würdiger Unterschriften für gerichtlich festgestellt, für „esuso jugee" zu erklären, warum wurde ihm nicht in die Zähne gerückt, daß er sich dadurch dem Hexen-- richter gleichstellt, der auf das einer Halbtoten durch den letzten Grad der Folter .abgepreßte Geständnis ein vernunftwidriges Urteil gründet? Warum, zum Henker, beten wir gedankenlos das heuchlerische Kauderwelsch der Feinde nach und sprechen von „Sanktionen", wo von Raubzügen, und von „Wiedergutmachung", wo von der Erpressung wucherischer Ersatzes für selbstangerichtete (Se. QuentinI) oder wenigstens durch frivole Verlängerung des Krieges selbstverschuldete Schäden die Rede ist? Man darf nicht alles auf einmal erwarten. Wenn die Haltung unserer Ver¬ treter noch viel zu wünschen übrig ließ; wenn der Ruf zur Eiuheitsfrout noch unmer mißtönendes Echo weckt — Eines ist doch gewonnen: wir haben endlich einmal Widerstand geleistet. Passiver Widerstand freilich. Eine traurige Abart, die nur der müde Sinn einer absterbenden Kultur für edler halten kann als tätige Abwehr. Wem aber, wie uns, die Wehr zerbrochen ist, der muß eben als Dulder die .Kraft feindlicher Angriffe zu brechen suchen, und er kann es, wenn er nur zum mutigen Dulden auch des Äußersten entschlossen ist. Zu diesen: Entschluß hat die Londoner Gewalttat das deutsche Volk aufgerüttelt. Nachdem es über zwei Jahre lang vor jeder Drohung zu Kreuze gekrochen ist, hat es sich jetzt in feiner überwältigenden Mehrheit bereit gezeigt, zur Verteidigung seines Rechtes Opfer auf sich zu nehmen. Wir sehen, wie dies erste opfermutige Nein 'ihm schon ein Stück Achtung in der Welt zurückgewonnen hat. Bleiben wir fest, dann muß der Vernichtungswille der Feinde schließlich erlahmen. Und, was mehr ist: durch gemeinsamen Widerstand und genieinsames Dulden für Recht und Ehre des Vaterlandes werden wir wieder zu einer Nation zusammenwachsen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/156
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/156>, abgerufen am 24.07.2024.