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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Neue deutsche Romane

unverlierbar vor die Seelen aller Deutschen hingestellt, so griff er diesmal zu
einer ganz anderen Technik: er bot das leidende Volk als Helden, schilderte es
in Hunderten von kleinen, scheinbar zusammenhanglosen Szenen, die doch alle
das Eine, Gleiche haben: Leiden und Hoffen, Aufbegehren und Sichbefreien I
Jeder Leser dieses dritten Bandes wird verblüfft und tiefbewegt erkennen müssen,
daß die Zeiten tiefster preußischer Not nach 1807 in tausend Zügen unsern Tagen
gleichen. Und jeder wird Hoffen schöpfen aus diesem von patriotischer Leiden¬
schaft förmlich lodernden Buche des uns allen innig verbundenen Dichters, in
dessen Adern ja auch -- vom Ahn her -- Tropfen Hohenzollernblutes rinnen.

Behaglicher geht Papa Paul Schreckenbach, der Erfolgreiche, in seinem
äußerlich waffenilirrenden Jenenser Vurschenschaftsroman "Eiserne Jugend"
(L. Staackmann, Leipzig) einher, wo wir auch mal wieder -- was selten gewagt wird
-- den alten Goeihe, ganz Exzellenz, und vollends den guten Karl August von
Weimar leibhaftig auftreten sehen können; freilich ist er hier beileibe nicht jener
"gefährlichste Teutsche", welchen Napoleon in ihm witterte, sondern ein gar be¬
häbiger Regente, seliger Jugendsünden von Stützerbach und anderswo sich lächelnd
erinnernd. Viel geredet wird in dem Schreckenbachschen Buche, wie eben jene
Jugend von Jena viel, viel geredet hat aus ihren aufglühenden Herzen heraus.
Aber man wird auch zugeben müssen, daß der alte Kaisertraum in den Jugend¬
herzen, der Geheimbund zur Erlangung einer deutschen Demokratie, Kotzebues
Ermordung und die Demagogenhetze hinterdrein, diese vier historischen Momente
aus jener Zeit vor gerade hundert Jahren noch von keinem Erzähler so geschickt
und wirksam, packend dargestellt worden sind wie von Schreckenbach. Es ist so
recht ein Roman fürs Volk, wie er heute nottut und unendlichen Segen im Auf¬
klären und Aufbauen, Vorbereiten und Verhindern stiften kann.

Ein stilles, schönes Buch aus altem Deutschland dumpfer Enge, das hin¬
führt zum reichen inneren Blühen, ein Buch vom Rheinland der dreißiger Jahre
vorigen Jahrhunderts, vom alten Köln und seinen Menschen schenkt uns Adele
Gerhard in "Vom Sinken und Werden" (Fr. Wilh. Grunow, Leipzig) ein
Buch, das viele feine Reize birgt und mit ganzer Seele genossen werden will,
damit es sich erschließe. Aber dann wird auch diesem Bändchen ein unsagbarer
Segen entströmen, welchen vor allem die Rheinländer unter den Deutschen sowie
alle Bedrückten und Verzagten ernten mögen. Ein Buch vom deutschen Werde¬
gang im Westen, das wie ein holder Traum anmutet.

Aus einer vergangenen Zeit herüber grüßt uns Richard Wagner in Zdenko
von Krafts "Liebestod" (Grethlein u. Co.. Leipzig), dem zweiten Bande einer
Wagncrtrilogie, die nicht nur unter den Millionen deutscher Wagner-Enthusiasten
als ein höchst gelungener Versuch, Wagners krauses Erleben in einen Roman
einzufangen, berechtigtes Aufsehen erregt hat. Der erste Band "Barrikaden" gab
den Dresdener Hofkapellmeister und Revolutionär Richard Wagner in seinem
wirren Werden als Mensch und Künstler und dramatisierte Wagners innere Teil¬
nahme an der achtundvierziger Revolution in Dresden. Dieser zweite Band
bietet nun das große Wagnersche Züricher Erleben: Mathilde Wesendonck. Minna
tritt mählich zurück und Cosima taucht schon auf, der letzte große Konflikt deutet
sich bereits an. Es ist ein Buch voll des Mmpfens, des Glückes und der Trauer
und es bringt einem zum ersten Male jenen Menschen so menschlich nahe, den


Neue deutsche Romane

unverlierbar vor die Seelen aller Deutschen hingestellt, so griff er diesmal zu
einer ganz anderen Technik: er bot das leidende Volk als Helden, schilderte es
in Hunderten von kleinen, scheinbar zusammenhanglosen Szenen, die doch alle
das Eine, Gleiche haben: Leiden und Hoffen, Aufbegehren und Sichbefreien I
Jeder Leser dieses dritten Bandes wird verblüfft und tiefbewegt erkennen müssen,
daß die Zeiten tiefster preußischer Not nach 1807 in tausend Zügen unsern Tagen
gleichen. Und jeder wird Hoffen schöpfen aus diesem von patriotischer Leiden¬
schaft förmlich lodernden Buche des uns allen innig verbundenen Dichters, in
dessen Adern ja auch — vom Ahn her — Tropfen Hohenzollernblutes rinnen.

Behaglicher geht Papa Paul Schreckenbach, der Erfolgreiche, in seinem
äußerlich waffenilirrenden Jenenser Vurschenschaftsroman „Eiserne Jugend"
(L. Staackmann, Leipzig) einher, wo wir auch mal wieder — was selten gewagt wird
— den alten Goeihe, ganz Exzellenz, und vollends den guten Karl August von
Weimar leibhaftig auftreten sehen können; freilich ist er hier beileibe nicht jener
„gefährlichste Teutsche", welchen Napoleon in ihm witterte, sondern ein gar be¬
häbiger Regente, seliger Jugendsünden von Stützerbach und anderswo sich lächelnd
erinnernd. Viel geredet wird in dem Schreckenbachschen Buche, wie eben jene
Jugend von Jena viel, viel geredet hat aus ihren aufglühenden Herzen heraus.
Aber man wird auch zugeben müssen, daß der alte Kaisertraum in den Jugend¬
herzen, der Geheimbund zur Erlangung einer deutschen Demokratie, Kotzebues
Ermordung und die Demagogenhetze hinterdrein, diese vier historischen Momente
aus jener Zeit vor gerade hundert Jahren noch von keinem Erzähler so geschickt
und wirksam, packend dargestellt worden sind wie von Schreckenbach. Es ist so
recht ein Roman fürs Volk, wie er heute nottut und unendlichen Segen im Auf¬
klären und Aufbauen, Vorbereiten und Verhindern stiften kann.

Ein stilles, schönes Buch aus altem Deutschland dumpfer Enge, das hin¬
führt zum reichen inneren Blühen, ein Buch vom Rheinland der dreißiger Jahre
vorigen Jahrhunderts, vom alten Köln und seinen Menschen schenkt uns Adele
Gerhard in „Vom Sinken und Werden" (Fr. Wilh. Grunow, Leipzig) ein
Buch, das viele feine Reize birgt und mit ganzer Seele genossen werden will,
damit es sich erschließe. Aber dann wird auch diesem Bändchen ein unsagbarer
Segen entströmen, welchen vor allem die Rheinländer unter den Deutschen sowie
alle Bedrückten und Verzagten ernten mögen. Ein Buch vom deutschen Werde¬
gang im Westen, das wie ein holder Traum anmutet.

Aus einer vergangenen Zeit herüber grüßt uns Richard Wagner in Zdenko
von Krafts „Liebestod" (Grethlein u. Co.. Leipzig), dem zweiten Bande einer
Wagncrtrilogie, die nicht nur unter den Millionen deutscher Wagner-Enthusiasten
als ein höchst gelungener Versuch, Wagners krauses Erleben in einen Roman
einzufangen, berechtigtes Aufsehen erregt hat. Der erste Band „Barrikaden" gab
den Dresdener Hofkapellmeister und Revolutionär Richard Wagner in seinem
wirren Werden als Mensch und Künstler und dramatisierte Wagners innere Teil¬
nahme an der achtundvierziger Revolution in Dresden. Dieser zweite Band
bietet nun das große Wagnersche Züricher Erleben: Mathilde Wesendonck. Minna
tritt mählich zurück und Cosima taucht schon auf, der letzte große Konflikt deutet
sich bereits an. Es ist ein Buch voll des Mmpfens, des Glückes und der Trauer
und es bringt einem zum ersten Male jenen Menschen so menschlich nahe, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/128>, abgerufen am 22.12.2024.