Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.Erzberger und kein Lüde Baden zu erklären, daß er wegen seiner Reichskanzlertätigkeit vor einen Staats¬ Den Erfolgen Erzbergers in der massendemagogischen Arbeit entsprachen die Ein Skandal! Ein Gerichtsurteil drückt Erzberger in die tiefsten Tiefen des Erzberger und kein Lüde Baden zu erklären, daß er wegen seiner Reichskanzlertätigkeit vor einen Staats¬ Den Erfolgen Erzbergers in der massendemagogischen Arbeit entsprachen die Ein Skandal! Ein Gerichtsurteil drückt Erzberger in die tiefsten Tiefen des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0109" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339258"/> <fw type="header" place="top"> Erzberger und kein Lüde</fw><lb/> <p xml:id="ID_362" prev="#ID_361"> Baden zu erklären, daß er wegen seiner Reichskanzlertätigkeit vor einen Staats¬<lb/> gerichtshof gehöre. Den Arbeitsminister Dr. Brauns ironisierte Erzberger in der<lb/> gröblichsten Form ob seiner Amerika-Aktion in einem Düsseldorfer Wochenblatt des<lb/> Zentrums und bezeichnete ihn in einem eigenen Aufsatz des Großmannschen<lb/> „Tagebuch" als „amerikanischen Avantageur" (sie). Den Führer der Christlichen<lb/> Gewerkschaften behandelte er ans vielerlei Gründen etwas gnädiger, ohne indes<lb/> seine Mißstimmung über den Stegerwald-Kurs zu verbergen. Gegen die Partei,<lb/> die unter der Führung von Dr. Brauns mehr nach rechts drehen wollte, gab<lb/> er die Parole aus: Anschluß an die Linke, Kampf gegen die Rechte! Gegen die<lb/> Autorität der Gewerkschaftsführung spielte er, katholisch integral wie in den<lb/> schönsten Oppersdorf-Zeiten von 1909/10, die Autorität der geistlichen Führer<lb/> ber katholischen Arbeitervereine aus. In aller Öffentlichkeit arbeitete er am Sturz<lb/> des Kabinetts Fehrenbach. Seine politischen Gegenwartsziele stellte er denen der<lb/> eigenen Partei entgegen: Verdrängung der Deutschen Volkspartei in die Opposi¬<lb/> tion, Erweiterung der Linksfront nach der U. S. P. D. hin, Umbildung des<lb/> Preußenkabinetts gegen die beiden Rechtsparteien zugunsten der Sozialdemokratie,<lb/> damit Sturz Stegerwälds, Kampf gegen das bayerische System, Kampf gegen<lb/> Heim und Escherich, damit Sturz des Kabinetts Kasr, Expropriation des produk¬<lb/> tiven Großgrundbesitzes, Expropriation des produktiven Jndustriebesitzes, Kampf<lb/> gegen die beiden Rechtsparteien, Kampf gegen jede nationale Widerstandsgesin-<lb/> uung, defaitistische Hingabe an die Entente, vor allem an Frankreich.</p><lb/> <p xml:id="ID_363"> Den Erfolgen Erzbergers in der massendemagogischen Arbeit entsprachen die<lb/> Erfolge in den Sphären der hohen Politik. Das Kabinett Fehrenbach-Simons<lb/> erlag tatsächlich dem doppelten Druck von links und rechts im Innern und dem<lb/> gleichzeitigen Ansturm der Entente. Erzbergers Schützling Wirth erreichte die Füh¬<lb/> rung des Reiches. Auch der Kandidat Erzbergers für das Außenministerium,<lb/> Dr. Rosen, setzte sich durch. Die Deutsche Volkspartei schied aus der Neichs-<lb/> regierung aus. Die Mehrheitssozialdemokratie trat ein. Die Unabhängigen stellten<lb/> sich erwartungsvoll zur Seite. Das Kabinett Stcgerwald in Preußen wurde<lb/> von links her bestürmt. Auch in Bayern kriselte es ob der Entwaffnung. Die<lb/> Politik der sklavischen Erfüllung unter Preisgabe jeglichen nationalen Wider¬<lb/> standes ward zum offiziellen Inhalt der Reichspolitik. Erzberger konnte zufrieden<lb/> sein, schon sahen jene Kreise, die für politische Tagcskonjunktur die feine Witterung<lb/> und die entsprechend feine Nase haben, Erzbergers Wiederkehr. Großmanns„Tagsbuch"<lb/> jubelte ihm zu. Die „Weltbühne" schrieb keck, sie werde zu Ehren Erzbergers flaggen.<lb/> Die „Welt a. Montag" begrüßte feierlichst den Führer der Defaitistenfront. Die radikal¬<lb/> sozialistische Presse verneigte sich in tiefer Ehrfurcht vor ihrem kommenden Mann.</p><lb/> <p xml:id="ID_364"> Ein Skandal! Ein Gerichtsurteil drückt Erzberger in die tiefsten Tiefen des<lb/> Schmutzes hinunter. Die Zentrumspartei verhüllt sich darob vor Scham. Sie<lb/> wagt zwar nicht, ihn hinauszuwerfen, verlangt aber von ihm den Verzicht aus<lb/> die Ausübung seiner parlamentarischen Rechte. Was tut Erzberger? Er ruft<lb/> seiner eigenen Partei frech das Sprüchlein eines Götz von Berlichingen zu; stürzt<lb/> sich mit voller Kraft in die politische Arena, hält überall Versammlungen ab,<lb/> hetzt die Zentrumsmassen gegen ihre derzeitige Führung auf, treibt in allem gegen<lb/> das Zentrum eine eigene Zielpolitik und vermählt sich geradezu mit der Sozial¬<lb/> demokratie, um wieder zur Macht zu gelangen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0109]
Erzberger und kein Lüde
Baden zu erklären, daß er wegen seiner Reichskanzlertätigkeit vor einen Staats¬
gerichtshof gehöre. Den Arbeitsminister Dr. Brauns ironisierte Erzberger in der
gröblichsten Form ob seiner Amerika-Aktion in einem Düsseldorfer Wochenblatt des
Zentrums und bezeichnete ihn in einem eigenen Aufsatz des Großmannschen
„Tagebuch" als „amerikanischen Avantageur" (sie). Den Führer der Christlichen
Gewerkschaften behandelte er ans vielerlei Gründen etwas gnädiger, ohne indes
seine Mißstimmung über den Stegerwald-Kurs zu verbergen. Gegen die Partei,
die unter der Führung von Dr. Brauns mehr nach rechts drehen wollte, gab
er die Parole aus: Anschluß an die Linke, Kampf gegen die Rechte! Gegen die
Autorität der Gewerkschaftsführung spielte er, katholisch integral wie in den
schönsten Oppersdorf-Zeiten von 1909/10, die Autorität der geistlichen Führer
ber katholischen Arbeitervereine aus. In aller Öffentlichkeit arbeitete er am Sturz
des Kabinetts Fehrenbach. Seine politischen Gegenwartsziele stellte er denen der
eigenen Partei entgegen: Verdrängung der Deutschen Volkspartei in die Opposi¬
tion, Erweiterung der Linksfront nach der U. S. P. D. hin, Umbildung des
Preußenkabinetts gegen die beiden Rechtsparteien zugunsten der Sozialdemokratie,
damit Sturz Stegerwälds, Kampf gegen das bayerische System, Kampf gegen
Heim und Escherich, damit Sturz des Kabinetts Kasr, Expropriation des produk¬
tiven Großgrundbesitzes, Expropriation des produktiven Jndustriebesitzes, Kampf
gegen die beiden Rechtsparteien, Kampf gegen jede nationale Widerstandsgesin-
uung, defaitistische Hingabe an die Entente, vor allem an Frankreich.
Den Erfolgen Erzbergers in der massendemagogischen Arbeit entsprachen die
Erfolge in den Sphären der hohen Politik. Das Kabinett Fehrenbach-Simons
erlag tatsächlich dem doppelten Druck von links und rechts im Innern und dem
gleichzeitigen Ansturm der Entente. Erzbergers Schützling Wirth erreichte die Füh¬
rung des Reiches. Auch der Kandidat Erzbergers für das Außenministerium,
Dr. Rosen, setzte sich durch. Die Deutsche Volkspartei schied aus der Neichs-
regierung aus. Die Mehrheitssozialdemokratie trat ein. Die Unabhängigen stellten
sich erwartungsvoll zur Seite. Das Kabinett Stcgerwald in Preußen wurde
von links her bestürmt. Auch in Bayern kriselte es ob der Entwaffnung. Die
Politik der sklavischen Erfüllung unter Preisgabe jeglichen nationalen Wider¬
standes ward zum offiziellen Inhalt der Reichspolitik. Erzberger konnte zufrieden
sein, schon sahen jene Kreise, die für politische Tagcskonjunktur die feine Witterung
und die entsprechend feine Nase haben, Erzbergers Wiederkehr. Großmanns„Tagsbuch"
jubelte ihm zu. Die „Weltbühne" schrieb keck, sie werde zu Ehren Erzbergers flaggen.
Die „Welt a. Montag" begrüßte feierlichst den Führer der Defaitistenfront. Die radikal¬
sozialistische Presse verneigte sich in tiefer Ehrfurcht vor ihrem kommenden Mann.
Ein Skandal! Ein Gerichtsurteil drückt Erzberger in die tiefsten Tiefen des
Schmutzes hinunter. Die Zentrumspartei verhüllt sich darob vor Scham. Sie
wagt zwar nicht, ihn hinauszuwerfen, verlangt aber von ihm den Verzicht aus
die Ausübung seiner parlamentarischen Rechte. Was tut Erzberger? Er ruft
seiner eigenen Partei frech das Sprüchlein eines Götz von Berlichingen zu; stürzt
sich mit voller Kraft in die politische Arena, hält überall Versammlungen ab,
hetzt die Zentrumsmassen gegen ihre derzeitige Führung auf, treibt in allem gegen
das Zentrum eine eigene Zielpolitik und vermählt sich geradezu mit der Sozial¬
demokratie, um wieder zur Macht zu gelangen.
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