Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.Das Staatsoberhaupt Der natürliche und so berechtigte Wunsch ist, den Tüchtigsten aus dem Volk Schließlich kam man fast überall auf die erbliche Monarchie. Sie ist zwar Das Staatsoberhaupt Der natürliche und so berechtigte Wunsch ist, den Tüchtigsten aus dem Volk Schließlich kam man fast überall auf die erbliche Monarchie. Sie ist zwar <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338890"/> <fw type="header" place="top"> Das Staatsoberhaupt</fw><lb/> <p xml:id="ID_320"> Der natürliche und so berechtigte Wunsch ist, den Tüchtigsten aus dem Volk<lb/> an die Spitze zu stellen. Aber wer soll Richter sein? Es gibt keine unbestechliche<lb/> Wählerschaft. Je größer sie ist, desto leichter läßt sie sich von Schlagwarten<lb/> und äußerlichen Blendvorzügen bestechen. Ein engerer Kreis kann zwar die<lb/> Person besser beurteilen, aber wird nur zu leicht von seinen eigenen Interessen<lb/> bestochen. Gerade die großen, strenggerechten und das Staatswohl über alles<lb/> Private stellenden Herrscher sind unbequeme Herren, und die deutschen Kurfürsten,<lb/> nur sieben an der Zahl, also an sich ein recht bewegliches Wahlkolleg, haben<lb/> häufig absichtlich einen schwachen Kaiser gewählt, von anderen Privatgründen<lb/> ganz zu schweigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_321" next="#ID_322"> Schließlich kam man fast überall auf die erbliche Monarchie. Sie ist zwar<lb/> eine Lotterie mit nieder und seltenen großen Lösen, aber wenn man zum Beispiel die<lb/> Reihe der nordamerikanischen Präsidenten mustert, so findet man erstaunt, daß<lb/> das souveräne Volk kaum mehr Qualitätssinn oder Intelligenz verrät als der<lb/> Zufall der Erblichkeit, der etwas gemildert wird durch Überlieferungen<lb/> Bevor sich indes die Erblichkeit durchsetzte, gab es eine Fülle anderer Losungen,<lb/> welche das blinde Walten der Geburt verbessern und mehr Treffer in der<lb/> Negentenreihe erzielen wollten. Diese Versuche haben noch heute ein gewisses<lb/> Interesse. Gemeinsam ist allen, daß der Ehrgeiz der vielen Volksgenossen zurück¬<lb/> gebannt und die passive Wahlfähigkeit nur einem einzigen Geschlecht vorbehalten<lb/> wird, um Bürgerkriege zu vermeiden. Aber innerhalb dieses Geschlechts wird<lb/> bald der jeweils Älteste (als der Erfahrenste), bald der jeweils Jüngste (als der<lb/> Kräftigste und Zukunftsreichste), häufiger indes ein vom König selbst zu designierender<lb/> Verwandter oder ein von den hofkundigen Großen als tüchtigster Angehöriger des<lb/> Geschlechts ausgewählter Prinz berufen. Wenn neue Dynastien begründet werden,<lb/> ist der Berufene begreiflicherweise stets ein hervorragender Mann. Jene Mischung<lb/> von Erblichkeit und Wahl, wobei also das Glücksspiel der Geburt durch Auslese,<lb/> verbessert, anderseits aber kein uferloses Jagen nach der Krone möglich ist, hat<lb/> viel Bestechendes, und dieser Modus hat sich lange im Mittelalter behauptet.<lb/> Indes kam man doch allgemein zur einfachen Thronerbfolge des erstgeborenen<lb/> Sohnes, welche allein Intrigen und Kämpfe um das Ganze ausschaltet. Das<lb/> nichtige Korrektiv gegen zu starke Unbilden des Zufalls wurde im konstitutionellen<lb/> Staat gefunden dadurch, daß das Staatsoberhaupt in zwei Männern zusammen<lb/> besteht, einem erblichen Monarchen und einem gewählten beziehungsweise berufenen<lb/> Ministerpräsidenten. In dem Paar Wilhelm I. - Bismarck hatten wir Deutsche<lb/> das allerdings nur in Jahrhunderten verwirklichte Glück einer vollkommen idealen<lb/> Staatsspitze. Es war für das Wohl Deutschlands unerläßlich, daß der erbliche<lb/> Monarch damals einen solchen Kanzler fand, aber noch viel unerläßlicher, daß<lb/> dieser, wie Bismarck sich ausdrückte, nur von einem einzigen „Wähler", nämlich<lb/> dem Monarchen, abhing. Diesem idealen Normalfall der Ergänzung steht der<lb/> unnormale Jdealfall einer rein einköpfigen Spitze gegenüber in Friedrich dem<lb/> Großen, dem geborenen König-Staatsmann. Unter Friedrich Wilhelm III. dagegen<lb/> beklagten die Einsichtigsten, daß nicht der Freiherr vom Stein, ein geborener<lb/> Monarch, Staatsoberhaupt war, nur zeitweilig konnte er mit dem König zusammen¬<lb/> wirken. Wir hatten Zeiten, in denen es noch schlimmer stand, indem man nicht<lb/> einmal ungewöhnliche staatsmännische Talente in der Nation namhaft machen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0089]
Das Staatsoberhaupt
Der natürliche und so berechtigte Wunsch ist, den Tüchtigsten aus dem Volk
an die Spitze zu stellen. Aber wer soll Richter sein? Es gibt keine unbestechliche
Wählerschaft. Je größer sie ist, desto leichter läßt sie sich von Schlagwarten
und äußerlichen Blendvorzügen bestechen. Ein engerer Kreis kann zwar die
Person besser beurteilen, aber wird nur zu leicht von seinen eigenen Interessen
bestochen. Gerade die großen, strenggerechten und das Staatswohl über alles
Private stellenden Herrscher sind unbequeme Herren, und die deutschen Kurfürsten,
nur sieben an der Zahl, also an sich ein recht bewegliches Wahlkolleg, haben
häufig absichtlich einen schwachen Kaiser gewählt, von anderen Privatgründen
ganz zu schweigen.
Schließlich kam man fast überall auf die erbliche Monarchie. Sie ist zwar
eine Lotterie mit nieder und seltenen großen Lösen, aber wenn man zum Beispiel die
Reihe der nordamerikanischen Präsidenten mustert, so findet man erstaunt, daß
das souveräne Volk kaum mehr Qualitätssinn oder Intelligenz verrät als der
Zufall der Erblichkeit, der etwas gemildert wird durch Überlieferungen
Bevor sich indes die Erblichkeit durchsetzte, gab es eine Fülle anderer Losungen,
welche das blinde Walten der Geburt verbessern und mehr Treffer in der
Negentenreihe erzielen wollten. Diese Versuche haben noch heute ein gewisses
Interesse. Gemeinsam ist allen, daß der Ehrgeiz der vielen Volksgenossen zurück¬
gebannt und die passive Wahlfähigkeit nur einem einzigen Geschlecht vorbehalten
wird, um Bürgerkriege zu vermeiden. Aber innerhalb dieses Geschlechts wird
bald der jeweils Älteste (als der Erfahrenste), bald der jeweils Jüngste (als der
Kräftigste und Zukunftsreichste), häufiger indes ein vom König selbst zu designierender
Verwandter oder ein von den hofkundigen Großen als tüchtigster Angehöriger des
Geschlechts ausgewählter Prinz berufen. Wenn neue Dynastien begründet werden,
ist der Berufene begreiflicherweise stets ein hervorragender Mann. Jene Mischung
von Erblichkeit und Wahl, wobei also das Glücksspiel der Geburt durch Auslese,
verbessert, anderseits aber kein uferloses Jagen nach der Krone möglich ist, hat
viel Bestechendes, und dieser Modus hat sich lange im Mittelalter behauptet.
Indes kam man doch allgemein zur einfachen Thronerbfolge des erstgeborenen
Sohnes, welche allein Intrigen und Kämpfe um das Ganze ausschaltet. Das
nichtige Korrektiv gegen zu starke Unbilden des Zufalls wurde im konstitutionellen
Staat gefunden dadurch, daß das Staatsoberhaupt in zwei Männern zusammen
besteht, einem erblichen Monarchen und einem gewählten beziehungsweise berufenen
Ministerpräsidenten. In dem Paar Wilhelm I. - Bismarck hatten wir Deutsche
das allerdings nur in Jahrhunderten verwirklichte Glück einer vollkommen idealen
Staatsspitze. Es war für das Wohl Deutschlands unerläßlich, daß der erbliche
Monarch damals einen solchen Kanzler fand, aber noch viel unerläßlicher, daß
dieser, wie Bismarck sich ausdrückte, nur von einem einzigen „Wähler", nämlich
dem Monarchen, abhing. Diesem idealen Normalfall der Ergänzung steht der
unnormale Jdealfall einer rein einköpfigen Spitze gegenüber in Friedrich dem
Großen, dem geborenen König-Staatsmann. Unter Friedrich Wilhelm III. dagegen
beklagten die Einsichtigsten, daß nicht der Freiherr vom Stein, ein geborener
Monarch, Staatsoberhaupt war, nur zeitweilig konnte er mit dem König zusammen¬
wirken. Wir hatten Zeiten, in denen es noch schlimmer stand, indem man nicht
einmal ungewöhnliche staatsmännische Talente in der Nation namhaft machen
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