Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.Rarl Marx Rarl Marx' ) Professor Friedrich Lenz von line Würdigung der Persönlichkeit dürfte zu dein Ergebnis führen, Freund wie Feind zeichnen uns sein Bild: die Herrschergaben seines Ver¬ Kein Wunder, daß man Marxens Intoleranz anklagt: Diktator, Thrannen Herrschen allerdings sehen wir Marx, wo immer er erscheint/ niemals hat Aus "Staat und Marxismus" Grundlegung und Kritik der marxistischen Gesellschafts-
lehre. Von Friedrich Lenz. I. G. Cvttasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 192 l. Rarl Marx Rarl Marx' ) Professor Friedrich Lenz von line Würdigung der Persönlichkeit dürfte zu dein Ergebnis führen, Freund wie Feind zeichnen uns sein Bild: die Herrschergaben seines Ver¬ Kein Wunder, daß man Marxens Intoleranz anklagt: Diktator, Thrannen Herrschen allerdings sehen wir Marx, wo immer er erscheint/ niemals hat Aus „Staat und Marxismus" Grundlegung und Kritik der marxistischen Gesellschafts-
lehre. Von Friedrich Lenz. I. G. Cvttasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 192 l. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338842"/> <fw type="header" place="top"> Rarl Marx</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> Rarl Marx' )<lb/><note type="byline"> Professor Friedrich Lenz</note> von </head><lb/> <p xml:id="ID_147"> line Würdigung der Persönlichkeit dürfte zu dein Ergebnis führen,<lb/> daß Karl Marx wie Friedrich Engels „echte und wahrhafte<lb/> Charaktere von historischem Stil" sind. Die Einheit der Marxschen<lb/> Persönlichkeit wird sein künftiger Biograph in dem Politiker, dem<lb/> Soziologen, dem Sozialvkonomen aufzuzeigen wissen/ dann erst wird<lb/> dies Charakterbild der Parteien Haß und Gunst entrückt sein. Mehr als<lb/> andere heißt ja eine solche Gestalt sich die Geister scheiden. Denn jener letzte An¬<lb/> trieb, der Marx beseelt, wirkt bis in die feinsten Verästelungen seiner Theorie, bis<lb/> in die flüchtigsten Äußerungen des Alltags. Der gleiche „Dämon", den der Vater<lb/> im Jüngling sah, treibt den junghcgelschen Idealisten und bürgerlichen Radikalen<lb/> der Frühzeit wie den Materialisten und Kommunisten späterer Jahrzehnte. Durch<lb/> die überladenen „rhetorischen Neflektivnen", durch die „Phantastischen" Gedichte<lb/> und Dramen des Beginns stürmt schon ohne Rast jener Feuergeist, der — ein<lb/> „wahrer rasender Roland" in der Liebe des Jünglings — Marx nun über die<lb/> Höhen revolutionären Wirkens wie durch alles niederziehende des Alltags trägt.</p><lb/> <p xml:id="ID_148"> Freund wie Feind zeichnen uns sein Bild: die Herrschergaben seines Ver¬<lb/> standes und seines Willens. In der frühen Wahl der Braut greift er bereits<lb/> nach dem Höchsten und halt es durch alles Widerwärtige fest mit starkem und<lb/> reinem Herzen. Der Sohn des jüdischen Urwalds macht sich zum Schwager des<lb/> reaktionärsten aller preußischen Bürokraten, ohne daß wir Marxens Verhältnis<lb/> zur Familie v. Westphalen bisher ganz durchschauen könnten. Die Strudel der<lb/> Politik ergreifen sodann den Neunzehnjährigen. Sie werfen ihn bald genug an<lb/> das andere Ufer/ doch in Kämpfen innerster „Gewissensangst" erst lost der TagcS-<lb/> schriftsteller jenes Band, das die Überlieferungen Voltaires und Friedrichs "des<lb/> Großen in ihm knüpften: der „Humanität" und dem „Genius der Monarchie"<lb/> hatte sein aufgeklärter, Christ gewordener Bater ihn verbinden wollen. Das<lb/> menschliche Selbstbewußtsein, das „Selbstgefühl des Menschen" war die seinem<lb/> Wesen gemäße Philosophie geworden/ ihre Züge prägt Marx in der äußeren wie<lb/> inneren" Einsamkeit des Kämpfens nun um so stärker aus. Sein „Intellektualismus"<lb/> scheut vor keiner Schärfe/ Kampfgenossen wie Willich gegenüber schreckt er selbst<lb/> vor „Mystifikationen" nicht zurück. Sein an Voltaire geschulter Sarkasmus<lb/> bedarf der Gegner, entlädt sich in weit ausgesponnenen Polemiken., Sein Denken<lb/> zerlegt alles in Quantitäten: die Wirtschaft in die Summe der individuellen, me߬<lb/> baren Arbeitsstunden, deu geschichtlichen Fortschritt in eine rationale Entwicklung<lb/> der Individuen. Er begreift wohl die Gesetze der Mathematik, nicht aber „die<lb/> einfachste technische Realität, zu der Anschaung gehört".</p><lb/> <p xml:id="ID_149"> Kein Wunder, daß man Marxens Intoleranz anklagt: Diktator, Thrannen<lb/> Despoten ihn benennt. Energie und Feuer bezeichnen sein Auftreten, aber auch<lb/> Verachtung aller Andersmeinenden und eine ganz unerträgliche Arroganz (Karl<lb/> Schurz). „Träume künftiger Polnischer Macht" erfüllen ihn, der im Exil die<lb/> Revolution erwartet. Ein Feind sagt: Er lache über alle, die seinen Proletarier¬<lb/> katechismus nachbeten. Er achte allein die reinen Aristokraten. Um sie von der<lb/> Herrschaft zu verdrängen, brauche er eine Kraft, die er allein in den Proletariern<lb/> finde/ deshalb habe er sein System auf sie zugeschnitten. Seine persönliche<lb/> Herrschaft sei der Zweck all seines Treibens. Ein anderer nennt ihn einen<lb/> Virtuosen des Hasses. Und ein Freund nennt ihn die Verkörperung eines demo¬<lb/> kratischen Diktators — aus Energie, Willenskraft und unbeugsamer Überzeugung<lb/> zusammengesetzt. Er sei „ein geborner Leiter der Menschen".</p><lb/> <p xml:id="ID_150" next="#ID_151"> Herrschen allerdings sehen wir Marx, wo immer er erscheint/ niemals hat<lb/> er, gleich Engels, die zweite Geige spielen mögen. Seine Liebe zu Homer, Dante</p><lb/> <note xml:id="FID_4" place="foot"> Aus „Staat und Marxismus" Grundlegung und Kritik der marxistischen Gesellschafts-<lb/> lehre. Von Friedrich Lenz. I. G. Cvttasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 192 l.</note><lb/> <fw type="sig" place="bottom"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
Rarl Marx
Rarl Marx' )
Professor Friedrich Lenz von
line Würdigung der Persönlichkeit dürfte zu dein Ergebnis führen,
daß Karl Marx wie Friedrich Engels „echte und wahrhafte
Charaktere von historischem Stil" sind. Die Einheit der Marxschen
Persönlichkeit wird sein künftiger Biograph in dem Politiker, dem
Soziologen, dem Sozialvkonomen aufzuzeigen wissen/ dann erst wird
dies Charakterbild der Parteien Haß und Gunst entrückt sein. Mehr als
andere heißt ja eine solche Gestalt sich die Geister scheiden. Denn jener letzte An¬
trieb, der Marx beseelt, wirkt bis in die feinsten Verästelungen seiner Theorie, bis
in die flüchtigsten Äußerungen des Alltags. Der gleiche „Dämon", den der Vater
im Jüngling sah, treibt den junghcgelschen Idealisten und bürgerlichen Radikalen
der Frühzeit wie den Materialisten und Kommunisten späterer Jahrzehnte. Durch
die überladenen „rhetorischen Neflektivnen", durch die „Phantastischen" Gedichte
und Dramen des Beginns stürmt schon ohne Rast jener Feuergeist, der — ein
„wahrer rasender Roland" in der Liebe des Jünglings — Marx nun über die
Höhen revolutionären Wirkens wie durch alles niederziehende des Alltags trägt.
Freund wie Feind zeichnen uns sein Bild: die Herrschergaben seines Ver¬
standes und seines Willens. In der frühen Wahl der Braut greift er bereits
nach dem Höchsten und halt es durch alles Widerwärtige fest mit starkem und
reinem Herzen. Der Sohn des jüdischen Urwalds macht sich zum Schwager des
reaktionärsten aller preußischen Bürokraten, ohne daß wir Marxens Verhältnis
zur Familie v. Westphalen bisher ganz durchschauen könnten. Die Strudel der
Politik ergreifen sodann den Neunzehnjährigen. Sie werfen ihn bald genug an
das andere Ufer/ doch in Kämpfen innerster „Gewissensangst" erst lost der TagcS-
schriftsteller jenes Band, das die Überlieferungen Voltaires und Friedrichs "des
Großen in ihm knüpften: der „Humanität" und dem „Genius der Monarchie"
hatte sein aufgeklärter, Christ gewordener Bater ihn verbinden wollen. Das
menschliche Selbstbewußtsein, das „Selbstgefühl des Menschen" war die seinem
Wesen gemäße Philosophie geworden/ ihre Züge prägt Marx in der äußeren wie
inneren" Einsamkeit des Kämpfens nun um so stärker aus. Sein „Intellektualismus"
scheut vor keiner Schärfe/ Kampfgenossen wie Willich gegenüber schreckt er selbst
vor „Mystifikationen" nicht zurück. Sein an Voltaire geschulter Sarkasmus
bedarf der Gegner, entlädt sich in weit ausgesponnenen Polemiken., Sein Denken
zerlegt alles in Quantitäten: die Wirtschaft in die Summe der individuellen, me߬
baren Arbeitsstunden, deu geschichtlichen Fortschritt in eine rationale Entwicklung
der Individuen. Er begreift wohl die Gesetze der Mathematik, nicht aber „die
einfachste technische Realität, zu der Anschaung gehört".
Kein Wunder, daß man Marxens Intoleranz anklagt: Diktator, Thrannen
Despoten ihn benennt. Energie und Feuer bezeichnen sein Auftreten, aber auch
Verachtung aller Andersmeinenden und eine ganz unerträgliche Arroganz (Karl
Schurz). „Träume künftiger Polnischer Macht" erfüllen ihn, der im Exil die
Revolution erwartet. Ein Feind sagt: Er lache über alle, die seinen Proletarier¬
katechismus nachbeten. Er achte allein die reinen Aristokraten. Um sie von der
Herrschaft zu verdrängen, brauche er eine Kraft, die er allein in den Proletariern
finde/ deshalb habe er sein System auf sie zugeschnitten. Seine persönliche
Herrschaft sei der Zweck all seines Treibens. Ein anderer nennt ihn einen
Virtuosen des Hasses. Und ein Freund nennt ihn die Verkörperung eines demo¬
kratischen Diktators — aus Energie, Willenskraft und unbeugsamer Überzeugung
zusammengesetzt. Er sei „ein geborner Leiter der Menschen".
Herrschen allerdings sehen wir Marx, wo immer er erscheint/ niemals hat
er, gleich Engels, die zweite Geige spielen mögen. Seine Liebe zu Homer, Dante
Aus „Staat und Marxismus" Grundlegung und Kritik der marxistischen Gesellschafts-
lehre. Von Friedrich Lenz. I. G. Cvttasche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 192 l.
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