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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Das baltische Deutschtum und die Gstpolitik

Das baltische Deutschtum und die Ostpolitik
Kurt von Wetter von

UMjod bedingt Leben. Auf den Trümmern des Alten muß Neues
erstehen. Vor mehr als siebenhundert Jahren haben deutsche Ordens¬
ritter das Baltenland erobert, haben ihm neben dem Christentum
auch die Kultur gebracht, deutsche Kultur. Kaufleute, Handwerker,
Gelehrte sind gefolgt und haben das Land bewohnbar gemach?..
Im steten Wechsel der Zeiten haben ihre Enkel und Großenkel es verstanden, dem
Lande jenes deutsche Gepräge zu geben, welches es noch heute hat. Wer daS
Stadtbild von Riga oder das von Reval mit dem von Lübeck oder Danzig ver¬
gleicht, der wird in beiden dieselbe alt-deutsche Bauart erkennen. Denselben
Eindruck gewinnt man auch, wenn man Landstädte, Gutshöfe und Dörfer ver¬
gleicht. Deutsche Bauart, deutsche Kunst, deutsches Leben I Vielleicht kein anderes
Land hat eine so wechselvolle Geschichte gehabt, wie das Baltenland. Stürme sind
drüber hinwcggebraust, vieles haben sie zerstört, sie haben aber nicht vermocht
den deutschen Geist, die deutsche Arbeitskraft wegzufegen, zu vernichten. Viel¬
mals ist im Laufe der Jahrhunderte immer neues Leben ans den Trümmern des
alten entstanden. Im schweren, wenn auch unblutigen Kampf gegen den russischen
Bedrücker einerseits und gegen den eingeborenen Letten und Ehlen andererseits,
hat sich das baltische Deutschtum gestärkt und gefestigt. Es stand alles auf dem
Spiele. Siebenhundert Jahre alte deutsche Kultur war bedroht. Der Weltkrieg
hatte das Baltentum von jeglicher Verbindung mit dem deutschen Reiche abge¬
schnitten, aus dem es doch seine geistige Nahrung schöpfte. Das russische Zaren¬
reich brach zusammen, der Bolschewismus, der nach einem kurzen Interregnum der.
Regierung Kerenski anbrach, drohte das Baltentum zu vernichten. Die deutsche
Okkupation brachte die Rettung. Der langersehnte Traum schien Wirklichkeit zu
werden. Der 9. November hat auch das zerstört. In den letzten Jahren hat das
Land nun alle Schrecken der Zerstörung durchgemacht. Unersetzliche Kulturwerte
sind vernichtet worden und werden, obgleich die rote russische Welle zurückgebannt
ist. noch täglich von den sreiheitstrunkenen Letten und Ehlen zerstört. Deutscher
Fleiß und deutsche Schaffensfreude werden dort zu Grabe getragen.

Hat nun -- so fragt man sich naturgemäß -- das baltische Deutschtum
seine ihm von der Geschichte zugewiesene Rolle ausgespielt, oder steht noch eine
Aufgabe bevor?

Ohne Zweifel läßt sich diese Frage dahin beantworten, daß das Baltentum
nicht als eine vorübergehende Erscheinung zu betrachten ist. Die früheren Lebens¬
bedingungen sind nicht vernichtet, der baltische Gedanke lebt und muß in die Tat
umgesetzt werden, sobald die Zeit da ist.

Der Bolschewismus geht seinem Ende entgegen; von welcher Seite es ihm
bereitet wird, läßt sich noch nicht übersehen; er krankt tötlich an seinen eigenen
Prinzipien, oder richtiger an seiner Prinzipienlosigkeit. Mit seinem Sturze öffnen
sich uns die Tore zum russischen Riesenreiche. Wenngleich der Bolschewismus
viel zerstört hat, so bietet das Land dem Deutschen doch noch unendlich
viele Möglichkeiten. Und eben in diesem Augenblicke brauchen wir Leute, welche
die russischen Verhältnisse, Land und Leute genau kennen. Solche Leute finden


Das baltische Deutschtum und die Gstpolitik

Das baltische Deutschtum und die Ostpolitik
Kurt von Wetter von

UMjod bedingt Leben. Auf den Trümmern des Alten muß Neues
erstehen. Vor mehr als siebenhundert Jahren haben deutsche Ordens¬
ritter das Baltenland erobert, haben ihm neben dem Christentum
auch die Kultur gebracht, deutsche Kultur. Kaufleute, Handwerker,
Gelehrte sind gefolgt und haben das Land bewohnbar gemach?..
Im steten Wechsel der Zeiten haben ihre Enkel und Großenkel es verstanden, dem
Lande jenes deutsche Gepräge zu geben, welches es noch heute hat. Wer daS
Stadtbild von Riga oder das von Reval mit dem von Lübeck oder Danzig ver¬
gleicht, der wird in beiden dieselbe alt-deutsche Bauart erkennen. Denselben
Eindruck gewinnt man auch, wenn man Landstädte, Gutshöfe und Dörfer ver¬
gleicht. Deutsche Bauart, deutsche Kunst, deutsches Leben I Vielleicht kein anderes
Land hat eine so wechselvolle Geschichte gehabt, wie das Baltenland. Stürme sind
drüber hinwcggebraust, vieles haben sie zerstört, sie haben aber nicht vermocht
den deutschen Geist, die deutsche Arbeitskraft wegzufegen, zu vernichten. Viel¬
mals ist im Laufe der Jahrhunderte immer neues Leben ans den Trümmern des
alten entstanden. Im schweren, wenn auch unblutigen Kampf gegen den russischen
Bedrücker einerseits und gegen den eingeborenen Letten und Ehlen andererseits,
hat sich das baltische Deutschtum gestärkt und gefestigt. Es stand alles auf dem
Spiele. Siebenhundert Jahre alte deutsche Kultur war bedroht. Der Weltkrieg
hatte das Baltentum von jeglicher Verbindung mit dem deutschen Reiche abge¬
schnitten, aus dem es doch seine geistige Nahrung schöpfte. Das russische Zaren¬
reich brach zusammen, der Bolschewismus, der nach einem kurzen Interregnum der.
Regierung Kerenski anbrach, drohte das Baltentum zu vernichten. Die deutsche
Okkupation brachte die Rettung. Der langersehnte Traum schien Wirklichkeit zu
werden. Der 9. November hat auch das zerstört. In den letzten Jahren hat das
Land nun alle Schrecken der Zerstörung durchgemacht. Unersetzliche Kulturwerte
sind vernichtet worden und werden, obgleich die rote russische Welle zurückgebannt
ist. noch täglich von den sreiheitstrunkenen Letten und Ehlen zerstört. Deutscher
Fleiß und deutsche Schaffensfreude werden dort zu Grabe getragen.

Hat nun — so fragt man sich naturgemäß — das baltische Deutschtum
seine ihm von der Geschichte zugewiesene Rolle ausgespielt, oder steht noch eine
Aufgabe bevor?

Ohne Zweifel läßt sich diese Frage dahin beantworten, daß das Baltentum
nicht als eine vorübergehende Erscheinung zu betrachten ist. Die früheren Lebens¬
bedingungen sind nicht vernichtet, der baltische Gedanke lebt und muß in die Tat
umgesetzt werden, sobald die Zeit da ist.

Der Bolschewismus geht seinem Ende entgegen; von welcher Seite es ihm
bereitet wird, läßt sich noch nicht übersehen; er krankt tötlich an seinen eigenen
Prinzipien, oder richtiger an seiner Prinzipienlosigkeit. Mit seinem Sturze öffnen
sich uns die Tore zum russischen Riesenreiche. Wenngleich der Bolschewismus
viel zerstört hat, so bietet das Land dem Deutschen doch noch unendlich
viele Möglichkeiten. Und eben in diesem Augenblicke brauchen wir Leute, welche
die russischen Verhältnisse, Land und Leute genau kennen. Solche Leute finden


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[0321] Das baltische Deutschtum und die Gstpolitik Das baltische Deutschtum und die Ostpolitik Kurt von Wetter von UMjod bedingt Leben. Auf den Trümmern des Alten muß Neues erstehen. Vor mehr als siebenhundert Jahren haben deutsche Ordens¬ ritter das Baltenland erobert, haben ihm neben dem Christentum auch die Kultur gebracht, deutsche Kultur. Kaufleute, Handwerker, Gelehrte sind gefolgt und haben das Land bewohnbar gemach?.. Im steten Wechsel der Zeiten haben ihre Enkel und Großenkel es verstanden, dem Lande jenes deutsche Gepräge zu geben, welches es noch heute hat. Wer daS Stadtbild von Riga oder das von Reval mit dem von Lübeck oder Danzig ver¬ gleicht, der wird in beiden dieselbe alt-deutsche Bauart erkennen. Denselben Eindruck gewinnt man auch, wenn man Landstädte, Gutshöfe und Dörfer ver¬ gleicht. Deutsche Bauart, deutsche Kunst, deutsches Leben I Vielleicht kein anderes Land hat eine so wechselvolle Geschichte gehabt, wie das Baltenland. Stürme sind drüber hinwcggebraust, vieles haben sie zerstört, sie haben aber nicht vermocht den deutschen Geist, die deutsche Arbeitskraft wegzufegen, zu vernichten. Viel¬ mals ist im Laufe der Jahrhunderte immer neues Leben ans den Trümmern des alten entstanden. Im schweren, wenn auch unblutigen Kampf gegen den russischen Bedrücker einerseits und gegen den eingeborenen Letten und Ehlen andererseits, hat sich das baltische Deutschtum gestärkt und gefestigt. Es stand alles auf dem Spiele. Siebenhundert Jahre alte deutsche Kultur war bedroht. Der Weltkrieg hatte das Baltentum von jeglicher Verbindung mit dem deutschen Reiche abge¬ schnitten, aus dem es doch seine geistige Nahrung schöpfte. Das russische Zaren¬ reich brach zusammen, der Bolschewismus, der nach einem kurzen Interregnum der. Regierung Kerenski anbrach, drohte das Baltentum zu vernichten. Die deutsche Okkupation brachte die Rettung. Der langersehnte Traum schien Wirklichkeit zu werden. Der 9. November hat auch das zerstört. In den letzten Jahren hat das Land nun alle Schrecken der Zerstörung durchgemacht. Unersetzliche Kulturwerte sind vernichtet worden und werden, obgleich die rote russische Welle zurückgebannt ist. noch täglich von den sreiheitstrunkenen Letten und Ehlen zerstört. Deutscher Fleiß und deutsche Schaffensfreude werden dort zu Grabe getragen. Hat nun — so fragt man sich naturgemäß — das baltische Deutschtum seine ihm von der Geschichte zugewiesene Rolle ausgespielt, oder steht noch eine Aufgabe bevor? Ohne Zweifel läßt sich diese Frage dahin beantworten, daß das Baltentum nicht als eine vorübergehende Erscheinung zu betrachten ist. Die früheren Lebens¬ bedingungen sind nicht vernichtet, der baltische Gedanke lebt und muß in die Tat umgesetzt werden, sobald die Zeit da ist. Der Bolschewismus geht seinem Ende entgegen; von welcher Seite es ihm bereitet wird, läßt sich noch nicht übersehen; er krankt tötlich an seinen eigenen Prinzipien, oder richtiger an seiner Prinzipienlosigkeit. Mit seinem Sturze öffnen sich uns die Tore zum russischen Riesenreiche. Wenngleich der Bolschewismus viel zerstört hat, so bietet das Land dem Deutschen doch noch unendlich viele Möglichkeiten. Und eben in diesem Augenblicke brauchen wir Leute, welche die russischen Verhältnisse, Land und Leute genau kennen. Solche Leute finden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/321>, abgerufen am 27.11.2024.