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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Volksgemeinschaft

eine Verbreiterung der Regierungsbasis anstrebe. Aber er und seine Gefolgschaft
gehen einen falschen Weg. Sie wollen die Regierung auf parteitaktischem Wege
verbreitern und übersehen vollkommen, daß alle Parteien sich derartig in -- für
das Gesamtwohl eine untergeordnete Bedeutung spielende -- Grundsätze verrannt
haben, daß auf dem Wege des Kompromisses nur eine Kleisterarbeit entstehen
kann. Eine der Not der Zeit und dem Wohle der Zukunft entsprechende Parole
aber "Nationale Volksgemeinschaft" kann (oder will?) der oberste Beamte des
Reiches nicht ausgeben: einmal aus Angst vor der Entente, der zu Willen zu
sein, er sich entschlossen zu haben scheint, und dann aus Furcht vor den Führern
von Parteien, die die Partei über das Vaterland stellen. Die Arbeiterschaft
Deutschlands würde einer solchen Parole in ihrer großen Mehrzahl Gehör schenken
und sie würde ihre Führer zwingen, dieser Parole zu folgen. Die mannhaften
Aussagen von Arbeitern im Hölz-Prozeß und der mißglückte Generalstreik in
München beweisen, daß dem einzelnen Arbeiter Wohl und Wehe des deutschen
Vaterlandes weit wichtiger sind als internationale Verbrüderungskongresse.

Parteien gibt es eigentlich nur im Reichstage; im Volke gibt es -- wenn
man die aus dem Rahmen der deutschen Volksgemeinschaft völlig herausfallenden
Fremdlinge und Betörten außer Betracht läßt -- eigentlich nur noch, wie Dr.'
Stadler im "Gewissen" vom 11. Juni sagt, zwei Fronten. "Die zwei Fronten",
sagt er da*), "um die eS sich handelt, lassen sich durch keinerlei Koalition der
Mitte mehr verschleiern. Es ist die Front des deutschen Widerstandes gegenüber
der Entente einerseits, die Front der sklavischen Hingabe an die Entente anderer¬
seits. Hier die Konjunkturfront, die sich der Fallbewegung der deutschen Er¬
schöpfungsrevolution anschließt. Dort die Willensfront, die sich der deutschen
Erneuerungs- und Aufstiegsbewegung langsam entringt."

Das erkennen aber nicht oder wollen nicht erkennen Männer vom Schlage
eines Wirth und eines Rathenau. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es erheblich
leichter und bequemer ist, sklavische Erfüllung als Motto eines Regierungs¬
programms zu wählen, als in passiver Resistenz eine deutsche Volksgemeinschaft
zu schaffen. Für die erstere Aufgabe genügen mittelmäßige Naturen mit guter
Handschrift und mathematischen Kenntnissen, für die letztere Aufgabe sind große,
eigene Ideen, staatsmännisches Können und diplomatisches Geschick erforderlich.
Das lernt man nicht im Dienste einer Partei, dazu bedarf es jahrelanger Eigm-
arbeit und Schulung.

Wir Deutschen leben in einer so bitter ernsten Zeit, daß wir uns den
Luxus von Staatsmänner-Stellvertretern nicht leisten können, wir brauchen ent¬
schlossene, willensstarke und mutige Männer, die bereit sind für eine Idee, für
eine deutsche Volksgemeinschaft zu kämpfen.





*) Gewissen, Für den Ring herausgegeben von Ed. Stadler. Ur. 2-1.
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Deutsche Volksgemeinschaft

eine Verbreiterung der Regierungsbasis anstrebe. Aber er und seine Gefolgschaft
gehen einen falschen Weg. Sie wollen die Regierung auf parteitaktischem Wege
verbreitern und übersehen vollkommen, daß alle Parteien sich derartig in — für
das Gesamtwohl eine untergeordnete Bedeutung spielende — Grundsätze verrannt
haben, daß auf dem Wege des Kompromisses nur eine Kleisterarbeit entstehen
kann. Eine der Not der Zeit und dem Wohle der Zukunft entsprechende Parole
aber „Nationale Volksgemeinschaft" kann (oder will?) der oberste Beamte des
Reiches nicht ausgeben: einmal aus Angst vor der Entente, der zu Willen zu
sein, er sich entschlossen zu haben scheint, und dann aus Furcht vor den Führern
von Parteien, die die Partei über das Vaterland stellen. Die Arbeiterschaft
Deutschlands würde einer solchen Parole in ihrer großen Mehrzahl Gehör schenken
und sie würde ihre Führer zwingen, dieser Parole zu folgen. Die mannhaften
Aussagen von Arbeitern im Hölz-Prozeß und der mißglückte Generalstreik in
München beweisen, daß dem einzelnen Arbeiter Wohl und Wehe des deutschen
Vaterlandes weit wichtiger sind als internationale Verbrüderungskongresse.

Parteien gibt es eigentlich nur im Reichstage; im Volke gibt es — wenn
man die aus dem Rahmen der deutschen Volksgemeinschaft völlig herausfallenden
Fremdlinge und Betörten außer Betracht läßt — eigentlich nur noch, wie Dr.'
Stadler im „Gewissen" vom 11. Juni sagt, zwei Fronten. „Die zwei Fronten",
sagt er da*), „um die eS sich handelt, lassen sich durch keinerlei Koalition der
Mitte mehr verschleiern. Es ist die Front des deutschen Widerstandes gegenüber
der Entente einerseits, die Front der sklavischen Hingabe an die Entente anderer¬
seits. Hier die Konjunkturfront, die sich der Fallbewegung der deutschen Er¬
schöpfungsrevolution anschließt. Dort die Willensfront, die sich der deutschen
Erneuerungs- und Aufstiegsbewegung langsam entringt."

Das erkennen aber nicht oder wollen nicht erkennen Männer vom Schlage
eines Wirth und eines Rathenau. Es unterliegt keinem Zweifel, daß es erheblich
leichter und bequemer ist, sklavische Erfüllung als Motto eines Regierungs¬
programms zu wählen, als in passiver Resistenz eine deutsche Volksgemeinschaft
zu schaffen. Für die erstere Aufgabe genügen mittelmäßige Naturen mit guter
Handschrift und mathematischen Kenntnissen, für die letztere Aufgabe sind große,
eigene Ideen, staatsmännisches Können und diplomatisches Geschick erforderlich.
Das lernt man nicht im Dienste einer Partei, dazu bedarf es jahrelanger Eigm-
arbeit und Schulung.

Wir Deutschen leben in einer so bitter ernsten Zeit, daß wir uns den
Luxus von Staatsmänner-Stellvertretern nicht leisten können, wir brauchen ent¬
schlossene, willensstarke und mutige Männer, die bereit sind für eine Idee, für
eine deutsche Volksgemeinschaft zu kämpfen.





*) Gewissen, Für den Ring herausgegeben von Ed. Stadler. Ur. 2-1.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/297>, abgerufen am 23.11.2024.