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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Versuch einer Erneuerung des Riickversicheruugsvertragcs ^"o^/os

jeglicher über den Bereich seiner gegenwärtigen Besitzungen hinausgehenden Er¬
oberungspläne zu enthalten hat. Widrigenfalls wird Deutschland den
Einmarsch russischer Truppen in Österreich-Ungarn nicht als nasus
le>e<Zeris ansehen. 4. In Erwartung, daß die Mächte, die den Berliner
Vertrag unterzeichnet haben, die in diesem Vertrage notwendig gewordenen Ver¬
änderungen formell sanktionieren, wird Deutschland Nußland seine tätige diplo¬
matische Hilfe zur Erreichung einer für das letztere wünschenswerten Lösung
der Meerengenfrage leihen. 6. Dieselbe Unterstützung wird Deutschland der
möglichst schnellen Durchführung des Baues der Donau-Adriabcihn
angedeihen lassen. 6. In Persien erkennt Deutschland die für Rußland aus dem
russisch-englischen Abkommen vom Jahre 1907 sich ergebenden Rechte an".
Dafür wollte sich Rußland in einem Geheimvertrage verpflichten: "Im Falle
eines Angriffes Englands auf Deutschland wird Nußland Neutralität
bewahren." Auch soll "Italien, Frankreich und England den betreffenden
Teilen dieses Abkommens beitreten" (das heißt nach Möglichkeit dafür gewonnen
werden).

Kurz und bündig: Rußland fordert von Deutschland die Preisgabe Öster¬
reichs und sämtlicher österreichischer Interessen am Balkan, M es wollte geradezu
die Mithilfe Deutschlands zur Einschnürung Österreichs und zur Durchführung
der russisch-serbischen Wünsche am Balkan. Über die Tragweite dieser Forde¬
rungen, die selbstverständlich ein Aufheben des Zweibundes bezweckte, braucht
kein Wort verloren zu werden. Rußland wäre mit Hilfe Deutschlands
am Balkan und in Mitteleuropa vorgedrungen und hätte alle seine
ungemessenen Wünsche erfüllt. Wenn man aber etwa entgegnet, zu diesen
Forderungen sei Rußland erst 1908 unter geänderten Verhältnissen gelangt,
es hätte sie nicht gestellt, wenn der alte RückVersicherungsvertrag erhalten geblieben
wäre, so muß erwidert werden, daß Rußland weitgehende Forderungen schon
vor 1890 gestellt hatte und kein Grund dafür vorliegt, daß es nicht allerlei zu
erpressen suchte, ebenso wie Italien es seit seiner Zugehörigkeit zum Dreibund
bewiesenermaßen tat°). Die weitgehenden Forderungen Rußlands, die
Unsicherheit der Verträge mit der zaristischen Regierung wegen des
Bestehens der panslawischen Nebenregierung, die Schwierigkeit so
verwickelte Vertragsverhältnisse zu meistern, sind die Gründe, die
leider gegen den RückVersicherungsvertrag sprechen, trotzdem selbst¬
verständlich das Festhalten Rußlands für die Ruhe Europas von
höchster Bedeutung gewesen wäre.

Und noch eines: Man beachte das Urteil des Zaren von 1904 über
England und ebenso den geplanten Geheimparagraphen von 1908: "Im Falle
eines Angriffes Englands auf Deutschland wird Rußland Neutralität bewahren."
Von England war also die Ruhe Europas und Deutschlands nach
dem Urteil seines nachmaligen Verbündeten schon damals bedrohet





°) Pribram, österreichische Geheimverträge I.
Versuch einer Erneuerung des Riickversicheruugsvertragcs ^«o^/os

jeglicher über den Bereich seiner gegenwärtigen Besitzungen hinausgehenden Er¬
oberungspläne zu enthalten hat. Widrigenfalls wird Deutschland den
Einmarsch russischer Truppen in Österreich-Ungarn nicht als nasus
le>e<Zeris ansehen. 4. In Erwartung, daß die Mächte, die den Berliner
Vertrag unterzeichnet haben, die in diesem Vertrage notwendig gewordenen Ver¬
änderungen formell sanktionieren, wird Deutschland Nußland seine tätige diplo¬
matische Hilfe zur Erreichung einer für das letztere wünschenswerten Lösung
der Meerengenfrage leihen. 6. Dieselbe Unterstützung wird Deutschland der
möglichst schnellen Durchführung des Baues der Donau-Adriabcihn
angedeihen lassen. 6. In Persien erkennt Deutschland die für Rußland aus dem
russisch-englischen Abkommen vom Jahre 1907 sich ergebenden Rechte an".
Dafür wollte sich Rußland in einem Geheimvertrage verpflichten: „Im Falle
eines Angriffes Englands auf Deutschland wird Nußland Neutralität
bewahren." Auch soll „Italien, Frankreich und England den betreffenden
Teilen dieses Abkommens beitreten" (das heißt nach Möglichkeit dafür gewonnen
werden).

Kurz und bündig: Rußland fordert von Deutschland die Preisgabe Öster¬
reichs und sämtlicher österreichischer Interessen am Balkan, M es wollte geradezu
die Mithilfe Deutschlands zur Einschnürung Österreichs und zur Durchführung
der russisch-serbischen Wünsche am Balkan. Über die Tragweite dieser Forde¬
rungen, die selbstverständlich ein Aufheben des Zweibundes bezweckte, braucht
kein Wort verloren zu werden. Rußland wäre mit Hilfe Deutschlands
am Balkan und in Mitteleuropa vorgedrungen und hätte alle seine
ungemessenen Wünsche erfüllt. Wenn man aber etwa entgegnet, zu diesen
Forderungen sei Rußland erst 1908 unter geänderten Verhältnissen gelangt,
es hätte sie nicht gestellt, wenn der alte RückVersicherungsvertrag erhalten geblieben
wäre, so muß erwidert werden, daß Rußland weitgehende Forderungen schon
vor 1890 gestellt hatte und kein Grund dafür vorliegt, daß es nicht allerlei zu
erpressen suchte, ebenso wie Italien es seit seiner Zugehörigkeit zum Dreibund
bewiesenermaßen tat°). Die weitgehenden Forderungen Rußlands, die
Unsicherheit der Verträge mit der zaristischen Regierung wegen des
Bestehens der panslawischen Nebenregierung, die Schwierigkeit so
verwickelte Vertragsverhältnisse zu meistern, sind die Gründe, die
leider gegen den RückVersicherungsvertrag sprechen, trotzdem selbst¬
verständlich das Festhalten Rußlands für die Ruhe Europas von
höchster Bedeutung gewesen wäre.

Und noch eines: Man beachte das Urteil des Zaren von 1904 über
England und ebenso den geplanten Geheimparagraphen von 1908: „Im Falle
eines Angriffes Englands auf Deutschland wird Rußland Neutralität bewahren."
Von England war also die Ruhe Europas und Deutschlands nach
dem Urteil seines nachmaligen Verbündeten schon damals bedrohet





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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/268>, abgerufen am 22.07.2024.